Innere Sicherheit im Hamburger Wahlkampf: Das besetzte Thema
Die CDU wollte Sicherheit zu ihrem Thema im Hamburger Wahlkampf machen. Doch das klappte nicht: Die SPD bestimmt das Thema seit über 20 Jahren.
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Grote und Faeser müssen samt Gefolge im Anschluss noch ins Miniaturwunderland und winzige Polizistenfiguren in eine Modelleisenbahnlandschaft setzen. Und dann noch weiter zur Zentralen Erstaufnahme für Geflüchtete in Hamburg-Rahlstedt, wo Faeser verkünden wird, dass hier demnächst das bundesweit erste Dublin-Zentrum eingerichtet wird für Asylsuchende, für die eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig ist. Ein klassischer Wahlkampftermin also, bei dem Grote zwei Jahre nach Inkraftsetzen der „Allianz sicherer Hauptbahnhof“ Werbung in eigener Sache machen kann und, Faeser sei Dank, garantiert auf großes Medieninteresse trifft.
Die Quattro-Streifen setzen sich aus Vertreter*innen der Hamburger Polizei, der Bundespolizei sowie der Sicherheitsdienste der Bahn und der Hamburger Hochbahn zusammen. Die gehen immer zu viert auf Streife, kontrollieren mehr und auch niedrigschwelliger. So kurz vor der Hamburg-Wahl am 2. März haben sie noch ein paar Großkontrollen durchgeführt, auch, um Erfolge verkünden zu können.
Insgesamt ein Hamburger Erfolgsmodell, diese Quattro-Streifen, sagte Grote am Ende des Rundgangs sichtlich zufrieden. Sicherheit und Aufenthaltsqualität hätten sich am Hauptbahnhof, den NDR, Bild-Zeitung und Hamburger Abendblatt noch vor ziemlich genau zwei Jahren als gefährlichsten Bahnhof Deutschlands betitelten, seither deutlich verbessert.
Bremen übernimmt Hamburger Konzept
In Bremen sind diese Quattro-Streifen seit vergangenem Juni im Einsatz und weitere Städte prüfen, ob sie sich anschließen wollen. Die Botschaft Grotes ist an diesem eiskalten und sonnigen Mittwoch, an dem Faeser zu Gast ist, jedenfalls eindeutig: Wir haben hier alles im Griff! Das geht vor allem in Richtung CDU, die Sicherheit zum bestimmenden Thema im Bürgerschaftswahlkampf machen wollte und dem auch das erste Kapitel ihres Wahlprogramms gewidmet hat.
Und die Grünen? Setzen bei Sicherheit im Wahlprogramm eher auf Gefühliges und überlassen das Thema im Prinzip ihrem alten und vermutlich auch neuen Koalitionspartner, der SPD. Sie wollen eine intelligente Stadtbeleuchtung für mehr Sicherheitsempfinden und ganz Hamburg zu einem „Safe Space für alle“ machen.
Das entscheidende Thema bei der Bürgerschaftswahl 2001 war die innere Sicherheit. Es ging um die offene Drogenszene, um hohe Kriminalitätsraten, den Hauptbahnhof als Angstraum. Von „Safe Space“ keine Spur. Die SPD holte damals, als sich abzeichnete, dass hier ein Problem aufzieht, zwar noch schnell Olaf Scholz als Innensenator, der hart durchgreifen sollte. Aber es war zu spät: Die CDU gewann, koalierte mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill, der mit seiner Partei und dem Mantra, Hamburg sei die „Hauptstadt des Verbrechens“, aus dem Stand 19,4 Prozent holte. Die SPD musste auf die Oppositionsbank.
Das soll den Sozialdemokraten nicht wieder passieren und darum überbieten sie seither die traditionell restriktivere Politik der CDU auf dem Feld der inneren Sicherheit: mehr Polizei, mehr Videoüberwachung, mehr Kontrolle, Waffenverbotszonen, mehr Vertreibung von als unerwünscht definierter Klientel. Alles mittlerweile völlig normale SPD-Politik in Hamburg.
SPD in Hamburg ungefährdet
Zu befürchten haben die Sozialdemokraten bei den Bürgerschaftswahlen nichts. Laut der aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen kommt die SPD trotz Verlusten immer noch auf 32 Prozent. Die Grünen liegen bei 18 Prozent. Es würde also weiter für Rot-Grün reichen, auch wenn die CDU gegenüber der letzten Umfrage um fast sieben Prozente auf jetzt 18 Prozent zulegen konnte. Einer der Gründe, warum die SPD hier so fest im Sattel sitzt, ist ihre Strategie beim Thema innere Sicherheit. Sie hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, das Thema möglichst nicht mehr aus der Hand zu geben.
Da nützt es auch nichts, dass CDU-Partei- und Fraktionschef Dennis Thering schon vor einem Jahr mit Blick auf die Bürgerschaftswahl ein Sicherheitskonzept vorgestellt hat – mit den üblichen Wir-brauchen-mehr-Forderungen: mehr Kameras im öffentlichen Raum, mehr Polizist*innen auf den Straßen, die mit mehr Tasern und mehr Bodycams ausgestattet sind, mehr Waffenverbotszonen. Im Falle eines Wahlsieges wolle die CDU, das wiederholte Thering bei der Vorstellung des Wahlprogramms im November, Hamburg „zur sichersten Stadt Deutschlands machen“. Die Polizei solle besser gerüstet sein „als die Kriminellen in unserer Stadt“.
Das Problem der CDU ist: All das macht die SPD bereits. „Jahrelang hat die SPD die katastrophalen Zustände am Hauptbahnhof ignoriert und unsere Warnungen als Fake News abgetan“, blieb Thering nach dem Besuch von Bundesinnenministerin Faeser bloß mitzuteilen. Das sei alles bloß Wahlkampf-PR am Hauptbahnhof, helfe aber niemandem.
Seit dem 1. Oktober 2023 gilt am Hamburger Hauptbahnhof ein Waffenverbot, das mittlerweile auf den gesamten öffentlichen Nahverkehr ausgeweitet wurde. Bisher ist zwar noch keine glasklare Trendwende bei der Gewaltkriminalität zu erkennen. Die Bundespolizei zählte an Deutschlands meistfrequentiertem Bahnhof – 500.000 Menschen sind hier jeden Tag unterwegs – im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 290 Gewalttaten. Zum Vergleich: 2023 waren es im ganzen Jahr 720 Fälle gewesen.
Das ergab im vergangenen Herbst die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion. Zugleich registrierte die Bundespolizei im ersten Halbjahr jedoch bereits 21 Messerdelikte –
so viele wie im gesamten Vorjahr. Allerdings muss bei solchen Zahlen immer bedacht werden: Wer mehr Präsenz zeigt und mehr kontrolliert, der findet auch mehr.
In der polizeilichen Kriminalstatistik 2024 findet sich diese Entwicklung wieder, die der SPD in die Karten spielt. Grote konnte verkünden: Hamburg ist sicherer geworden. Die Zahl der Straftaten ist um vier Prozent gesunken, gleich geblieben ist die Aufklärungsquote. Zwar ist die Gewaltkriminalität um sieben Prozent gestiegen, aber Grote sagt: „Besonders hervorzuheben sind die rückläufigen Zahlen bei den Tötungsdelikten und auch bei den ebenfalls gesunkenen Gewaltzahlen am Hauptbahnhof.“ Das Thema Sicherheit ist heute für die Hamburger SPD also kein Problem mehr, sondern eher eine sichere Bank.
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