: „Ich genieße es, begehrt zu werden“
Selbstbestimmte Unterwerfungsspiele, eine zwanglos-offene Beziehung, endlich Kommen ohne Druck: Drei Frauen erzählen, wie sie ab 50 ihr Sexleben und ihre Beziehungen verändert haben
Protokolle von Amelie Sittenauer und Stefan Hunglinger
Eva*, 57, glaubt an Christus und BDSM
Das Schöne am Dominiertwerden ist, dass ich mich komplett fallen lassen, dass ich völlig vertrauen kann. Da darf ich ganz Mensch sein, mit allen Gefühlen, die hochkommen. Sex generell ist etwas Wunderschönes und ich glaube nicht, dass Gott BDSM verbietet.
Das Älterwerden und die Menopause verändern einiges. Manche Praktiken gehen nicht mehr, meine Hormone haben sich verändert und ich habe nicht mehr jeden Tag Lust auf Sex. Aber der Qualität nimmt das nichts. Ich bin heute ruhiger und gelassener als früher. Wenn es bei meinem Partner mal nicht funktioniert, wenn ich nicht mehr so feucht werde wie früher, dann ist das halt so, es gibt ja Gleitcreme.
Ich bin groß geworden in einem nichtchristlichen Elternhaus, habe aber in einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde den Glauben gefunden. Heute hat sich auch da vieles geändert, aber damals hatten sie erzkonservative Vorstellungen. Für Frauen galt KKK – Kirche, Küche, Kinder. Sex vor der Ehe war tabu, aber wir begehrten uns natürlich. Deshalb habe ich mit 20 Jahren geheiratet.
Ich habe meinen Mann sehr geliebt, wir haben uns gestreichelt und hatten auch Sex. Aber er stand nicht auf das Spiel mit der Dominanz. Deshalb haben wir vereinbart, dass ich diese Leidenschaft außerehelich auslebe. Vor zehn Jahren starb mein Mann, das hat mich getroffen. Doch seitdem stehe ich offener zu meinen sexuellen Vorlieben.
In meiner Kirchengemeinde fanden das nicht alle gut, aber im Arbeitskreis BDSM und Christsein habe ich Gleichgesinnte kennengelernt. Auch meinen jetzigen Partner. Mit ihm gelingt beides: Liebe und sexuelle Vorliebe. Wir sind nicht verheiratet und wohnen nicht zusammen, sind aber sexuell exklusiv.
Das Spiel mit Dominieren und Dominiertwerden, mit oben und unten muss einvernehmlich sein. Das zentrale Wort ist für mich Konsens. Genauso wie man sich über andere Abhängigkeiten klar werden muss: finanziell, emotional. In der BSDM-Szene haben wir einen Kodex, der nennt sich „SSC“: save, sane and consensual. Menschen mit anderen sexuellen Vorlieben könnten davon viel lernen.
Maren*, 53, führt ein erotisches Parallelleben
Mein erotisches Leben war lange kein Thema für mich. Kinder, Job, den ganzen Kram auf die Kette kriegen. Als ich dann in den letzten Jahren wieder mehr Zeit hatte, hab ich angefangen, rückwärts zu zählen, mich gefragt, was mir eigentlich wichtig ist. Für mich war es immer Leichtigkeit, die ich spüren wollte, trotz aller Zwänge und Verantwortung. Doch wann hatte ich eigentlich das letzte Mal in meinem Leben so richtig toll rumgeknutscht? Das war, bevor ich 40 war. Es kann doch nicht sein, dass etwas, das ich so mag, das mir angenehme Gefühle verschafft, so völlig weg ist aus meinem Leben.
Es gibt viele Sachen, in denen mein Mann und ich super sind, als Paar, als Eltern. Aber wir waren nicht in der Lage die erotische Spannung über die letzten 25 Jahre zu erhalten. Wir haben dann beschlossen, es mit einer offenen Beziehung zu versuchen. Seitdem nehme ich mich ganz anders wahr, fühle mich mehr als Frau, gucke mich auch wieder gerne an. Und werde von anderen auch wieder mehr angeguckt. Unsere Beziehung hat das von diesen allumfassenden Ansprüchen entlastet.
Die Lebenssituation ist in unserem Alter natürlich nicht die von 25-Jährigen, als alle ungebunden herumgesprungen sind. Fast niemand weiß, dass wir eine offene Beziehung führen. Wenn ich jemanden interessant finde, muss ich erst mal herausfinden, ob er offen ist für Erotik. Können wir „uns“ aus dem Arbeitskontext oder Gruppenkontext herauslösen? Einmal hatte ich das: Er und ich haben sehr intensiv geflirtet. Doch als ich versucht habe, ihn alleine zu treffen, hat er geblockt. Ich habe mir echt die Zähne ausgebissen.
Bisher hatte ich zwei Romanzen. Da ist natürlich auch Risiko dabei. Ich suche ja keine neue Beziehung, meine Familie hat die allerhöchste Priorität. Diese Verantwortung könnte ich gar nicht leisten. Trotzdem will ich niemanden verletzen. Die aktuelle Beziehung habe ich über ein Portal gefunden. Das ist super, der wichtigste Faktor ist von vorneherein abgeklärt. Nämlich: Habe ich Lust auf eine erotische Begegnung? Toll ist: Da ist kein Drama, keine Belastung, sondern sehr viel gegenseitige Toleranz für die Lebenssituation.
Das heißt auch, wir sehen uns gar nicht so oft. Mein neuer „Partner“ ist ein total zugewandter Mensch, da ist viel Freude zwischen uns. Ich bin wesentlich besser gelaunt, selbstbewusster, ich genieße es einfach, begehrt zu werden. Ich habe lange gebraucht, meine erotischen Bedürfnisse anerkennen zu können. Ich habe mir früher nie erlaubt und mich aber auch nie dazu gezwungen, das mal zu äußern. Nun rede ich einfach und mein Partner reagiert darauf. Wir haben wunderbar sinnlichen Sex, der macht mein Leben schöner.
Finja*, 52, kann jetzt „einfach so”kommen
Es ist mir echt unangenehm, darüber zu sprechen, aber ich möchte anderen Mut machen, denen es ähnlich geht. Ich habe erst mit über 50 gelernt, mir selbst mit der Hand einen Orgasmus zu verschaffen. Ich kann zwar kommen, seitdem ich ein Teenager bin, aber nur mit Hilfsmitteln. Erst mit der Dusche, später mit Vibratoren. Das hat mich immer gestört: so technisch, so zielgerichtet, kalt. Gesprochen habe ich mit meinen Partnern nie darüber. Von selbst hat sich niemand ins Zeug gelegt, mich zum Höhepunkt zu bringen, aber das will ich keinem vorwerfen. Wenn ich nicht weiß, wie es geht: Wie soll ich es dann zeigen?
Auch mit meinen Freundinnen habe ich lange nicht darüber geredet, weil ich mich geschämt habe. Wenn in meinem Freundeskreis über Sex gesprochen wurde, schien es mir immer so, als ob alle außer mir mühelos kommen, manche ejakulierten sogar. Erst mit Ende 30 habe ich mir ein Herz gefasst und meine beste Freundin darauf angesprochen. Sie gab mir Tipps, mit denen ich nichts anfangen konnte: Mit voller Blase, durch das Höschen streicheln. Auch das Gespräch mit einer zweiten Freundin war nicht hilfreich. Sie reagierte erstaunt, fast besorgt. Ich hatte das Gefühl, mit mir stimmt was nicht.

Nach der Trennung von meinem Mann kam ich mit Mitte 40 in eine Art zweite Pubertät, vielleicht wegen der Wechseljahre. Ich hatte ständig Lust, entdeckte meine Sexualität neu und erlebte erstmals Hingabe. Aber der Vibrator störte mehr denn je. Irgendwann hörte ich dann von „OMGYes“, einer Website, deren Macher:innen die Orgasmuserfahrungen von Frauen systematisch ausgewertet haben. Da stand, dass es einigen Frauen schwerfällt zu kommen, was mich sehr erleichtert hat. Ich las auch, dass bei vielen kreisförmige Bewegungen zum Höhepunkt führen. Das probierte ich aus und bin im Sommer 2023 das erste Mal „einfach so“ gekommen. Ich war unfassbar glücklich. Nie hätte ich gedacht, dass das jemals gehen würde!
Ich komme immer noch nicht leicht, vor allem zu zweit fühlt es sich wie harte Arbeit an. Auch bei Sex mit meinem Partner mache ich es deshalb selbst. Er fühle sich dann abgemeldet, sagt er. Eigentlich komisch. Irgendwo habe ich mal gelesen, Sex unter Frauen sei einfacher, weil sie selbstverständlich nacheinander kommen oder auch gar nicht und es trotzdem schön ist. Bei Heterosex gibt es immer diesen Druck: Dass beide immer gleich viel Lust empfinden, dass beide auf jeden Fall kommen müssen – was für Männer eben deutlich besser funktioniert.
Es braucht ein Verständnis von Sexualität, bei dem sich niemand abgemeldet fühlt. Ich glaube, wir müssen aufhören, so penetrationsfixiert zu sein. Ich hoffe, dass junge Frauen heute offener über Sex sprechen, vor allem ehrlicher. Meine Befürchtung ist aber, dass die Versagensängste eher noch größer werden. Wenn in der eigenen Blase alle super sexpositiv sind und poly sowieso: Wer traut sich dann noch zu sagen, „es fällt mir schwer zu kommen“?!
*Namen von der Redaktion geändert
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