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Projekt und ProjektionFaschismus

Ist Donald Trump ein Faschist? In den USA sind sich immer mehr Analysten darüber einig – und verwaschen so den Sinn dieses Wortes. Anmerkungen zu einem Kampfbegriff

Illustration: Katja Gendikova

Von Dominic Johnson

Die Frage „Ist Trump ein Faschist?“ ist in den USA so alt wie Donald Trumps politische Karriere. „So kommt Faschismus nach Amerika“, schrieb der konservative Kommentator Robert Kagan schon 2016, als Trumps Aufstieg gerade begann. „Wir sollten zögern, bevor wir diese toxischste aller politischen Bezeichnungen auf Trump anwenden“, mahnte demgegenüber der renommierte Faschismusforscher Robert Paxton 2017: Trump sei einfach „eine autoritäre Persönlichkeit bar jeder Verpflichtung zum Rechtsstaat, zu politischer Tradition oder gar Ideologie“.

Der Sturm rechtsradikaler Trump-Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar 2021, um den Machtwechsel zu verhindern, sorgte für einen Umschwung. Gleich in der nächsten Ausgabe des Magazins Newsweek übte Paxton öffentlich Selbstkritik und gab den Faschismusbegriff für Trump frei: „Die Bezeichnung erscheint heute nicht nur akzeptabel, sondern notwendig.“

Trumps Gegner griffen das dankbar auf. Kurz vor den Wahlen 2024 beantwortete Kamala Harris, Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, die Frage, ob sie Trump für einen Faschisten halte, mit „Ja“. Seit seiner erneuten Amtsübernahme am 20. Januar 2025 checken US-Linke Trumps Worte und Taten gegen ihre Listen der Merkmale des Faschismus – Autoritarismus, extremer Nationalismus, Militarismus und „Othering“, also Ausgrenzung, lautet eine der beliebtesten – und kommen zum Schluss: Ja. Trump ist ein Faschist.

In Ländern, die Faschismus selbst erlebt haben, ist er Teil der eigenen Geschichte. In den USA ist es ein abstrakter Begriff, um dessen Definition sich die historische Wissenschaft streitet, vor allem in Bezug auf Europa zwischen den Weltkriegen. Vielleicht nicht ganz zufällig entwickelte sich in den Jahren der Verhärtung in den USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 eine Kontroverse darüber, ob Faschismus eine „revolutionäre“ oder eine „konterrevolutionäre“ Bewegung sei, also mit einer eigenen positiven Vision oder lediglich mit dem Negativziel, unerwünschte Entwicklungen zu zerstören.

Für erstere Annahme stand der in den USA lehrende britische Soziologe Michael Mann, für letztere Robert Paxton. Mann definiert Faschismus in seinem Buch „Fascists“ als eine Form von Staatsumbau, als „das Bestreben, eine transzendente und säubernde Nationalstaatlichkeit durch paramilitärische Organisation zu schaffen“; er unterdrückt zunächst seine Gegner und unterwirft nach dem Sieg alle Klassen und Gruppen einem korporatistischen Einheitsstaat.

Paxton hingegen definiert Faschismus in „The Anatomy of Fascism“ als eine Art Abwehrkampf, nämlich „eine Form politischen Verhaltens, die durch eine obsessive Beschäftigung mit dem Niedergang der eigenen Gemeinschaft, ihrer Demütigung oder Opferrolle sowie durch kompensatorische Kulte von Einheit, Stärke und Reinheit gekennzeichnet ist, in denen eine Partei nationalistischer Kämpfer, die in loser, aber effektiver Zusammenarbeit mit den traditionellen Eliten arbeitet, demokratische Freiheiten aufgibt und mit messianischer Gewalt und ohne ethische oder rechtliche Beschränkungen Ziele der internen Säuberung und externen Expansion verfolgt“.

Als die Öffentlichkeit diese vergleichende historische Forschung für die Analyse des Phänomens Trump ausschlachtete, war die Wissenschaft entsetzt. Denn nun konnte man sich aus unterschiedlichen Faschismusdarstellungen die jeweils passende selbst zusammenstricken und auf die Gegenwart projizieren. Der Politologe Dylan Riley warnte 2018, so missbrauche man „die Vergangenheit als Lagerstätte zusammenhangloser Beispiele“. Als aber Paxton 2021 Trump dann doch als Faschisten bezeichnete, zog er selbst den historischen Bogen. Wenn man, wie Paxton, Faschismus als organisierte Konterrevolution begreift, ist der Sturm auf das Kapitol ein faschistischer Akt und „Make America Great Again“ eine faschistische Parole. Schon Italiens Benito Mussolini hatte 1919 beim Gründungskongress der faschistischen Bewegung gesagt: „Wir Faschisten haben keine vorgefertigte Doktrin, unsere Doktrin ist die Tat.“

Aber genügt ein Aufstand, genügt eine Attitüde, um Faschist zu sein? Im Laufe der Jahre wurden solche Debatten in linken Zirkeln zu einer Art Reinlichkeitstest für Trump-Gegner, „ein Proxy dafür, wie man zu anderen Fragen steht“, bemerkte der New Yorker im März 2024 in dem Essay „Wieso wir nicht aufhören können, darüber zu streiten, ob Trump ein Faschist ist“, und schlussfolgerte: „Um zu wissen, wann wir Panik kriegen sollen, müssen wir wissen, wonach wir Ausschau halten.“

Wonach also hält man Ausschau? Hitlergrüße? Hakenkreuze? NS-Reizwörter? Rufe nach „Remigration“?

Vielen genügt das. Faschismus ist aber nicht auf Gesten und Worte zu reduzieren. Faschismus ist keine Show und auch keine bloße Haltung. Es ist ein politisches und gesellschaftliches Organisationsprinzip. In zeitgenössischen Schilderungen des Faschismus aus den 1930er Jahren fällt auf, dass an erster Stelle immer die Massen­organisationen und ihre rohe Gewalt stehen, die allen Konkurrenten den Rang streitig machen. Mit der Machtergreifung rücken sie selbst an die Schaltstellen der Macht. Staatliche Institutionen sind fortan nur noch ausführende Organe des durch den Faschismus ausgedrückten Volkswillens. Man gehört dazu – oder man ist Volksfeind. Der gesunde Volkskörper muss von kranken Elementen gesäubert werden, Gewalt gegen Abweichende und Andersdenkende ist systemisch und unbarmherzig.

„Die faschistische Diktatur findet das nächste Moment für ihr Handeln in der Notwendigkeit, jede Kritik, jede gegnerische Organisation zu vernichten, die gesamte gesellschaftliche Tätigkeit ihrer Kontrolle und Leitung zu unterwerfen“, hieß es in einem der letzten Manifeste der nicht stalinistischen deutschen Linken vom Mai 1933, bevor sie alle ins KZ wanderten oder in die Emigration zogen. „Der Faschismus treibt die bürgerliche Staatsgewalt auf die höchste Spitze. Er reduziert sie auf die nackte Gewalt. Zugleich setzt er an seine Spitze den Abschaum der bürgerlichen Gesellschaft, eine Bande von Abenteurern, Dieben, Meuchelmördern, Banditen.“

Es gibt viele Länder, auf die all dies heute zumindest teilweise zutrifft: Wladimir Putins Russland mit seiner Dauerhysterie und seinen Dauerkriegen, Xi Jinpings China mit seiner totalen sozialen Kontrolle und der Dominanz der Partei gegenüber dem Staat, Assads Syrien und Kims Nordkorea ebenso.

Dominic Johnson

ist Co-Leiter des taz-Auslandsressorts, britischer Staatsbürger und studierte in den 1980er Jahren an der Universität Cambridge in Groß­britannien.

Aber die USA? Trumps Politik mag zu Recht Widerstand hervorrufen. Aber die USA bleiben ein Land, in dem die Opposition frei tätig bleibt, die Gewaltenteilung funktioniert, Justiz und Medien unabhängig arbeiten und wo man den Präsidenten ungestraft einen Verbrecher nennen darf.

Eine Faschismusdefinition, die ohne die Praxis faschistischer Machtausübung auskommt, die nicht von der Gewalterfahrung von Faschismusopfern ausgeht, degradiert Faschismus von Herrschaft zu Performance, vom Terror zum Habitus. Man läuft dabei Gefahr, wahre Faschisten zu verkennen.

Putin etwa einen Faschisten zu nennen ist in den USA verpönt. Zwar führte der russische Kommentator Wladislaw Inosemzew 2022 sorgfältig Parallelen zwischen Putin und Mussolini auf und wies darauf hin, mit dem Krieg gegen die Ukraine sei diese Frage jetzt von „mehr als theoretischem Interesse“. Aber in Deutschland sträubt man sich dagegen. In der taz meinte der deutsche Historiker Ulrich Herbert: „Faschismus ist in Bezug auf Russland ein rhetorischer Kampfbegriff, der das Böse und Gegnerschaft assoziieren soll. Analytisch taugt er nicht. In dieser Logik könnten wir auch China als faschistisch bezeichnen.“

Worauf man antworten könnte: Ja, warum eigentlich nicht? Und es ist vor allem Russland selbst, das den Faschismusvorwurf ungeniert als rhetorischen Kampfbegriff gegen den „kollektiven Westen“ im Allgemeinen und die Ukraine im Besonderen missbraucht. Rechte Israelis und radikale Palästinenser bezeichnen sich gegenseitig als Nazis. Weltweit gehört „Faschist“ zu den beliebtesten politischen Beschimpfungen.

Der Faschismus­vorwurf sollte Harris zum Wahlsieg verhelfen. Aber mussten die US-Demokraten nach der Wahlniederlage in den Untergrund?

Das ist nicht neu, wie man im Essay „Was ist Faschismus?“ des britischen Schriftstellers George Orwell aus dem Jahr 1944 feststellt. Aus heutiger Sicht waren damals, zum Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges und des Kampfes gegen Hitler, die Dinge eigentlich eindeutig. Aber Orwell führt aus, dass „Faschist“ im Alltag vor allem als Schimpfwort diente, das in Großbritannien schon alles und jeden traf: „Konservative, Sozialisten, Kommunisten, Trotzkisten, Katholiken, Kriegsgegner, Kriegsbefürworter, Nationalisten“. Seine Schlussfolgerung: „Das Wort Faschismus ist fast komplett bedeutungslos.“

Auch heute dient der Faschismusvorwurf vor ­allem der Abgrenzung. Es ist die Definition eines Bösen, mit dem man unter keinen Um­ständen ­etwas zu tun haben darf. Es ist eine Negativ­definition ohne eigenen Inhalt. Der Faschismus­vorwurf gegen Donald Trump sollte, wie linke ­Kritiker während des US-Wahlkampfs be­mängelten, in erster Linie Kamala Harris zum Sieg verhelfen, denn er stilisierte die Präsidentschaftswahl zu ­einer Entscheidung zwischen Gut und Böse. Aber regiert heute das Böse? Müssen die US-Demokraten nach der Wahlniederlage in den Untergrund?

Was Trump heute als Faschismus vorgeworfen wird, trifft auf so gut wie alle autoritären ­Regime der Welt zu: Eine personalisierte Staatsmacht ohne Achtung für Rechtsstaat, Tradition und Ideologie schützt eine oligarchische Klüngelwirtschaft. Bleibt man dabei, sind die meisten Länder der Welt faschistisch. Das banalisiert den Begriff, es führt geopolitisch in die Isolation – und es ist eine Diagnose der Hoffnungslosigkeit.

Das Fehlen von Hoffnung galt in den 1930er Jahren als Hauptmotiv derer, die sich den Faschisten zuwandten. Nie wieder ist jetzt? Dann braucht es jetzt neue Analysen.

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