: „Allesindwillkommen,diesüßsind“
Zehn Jahre war LCavaliero Mann künstlerischer Direktor des SchwuZ, dem größten queeren Club Berlins. Ein Gespräch über Gender als Performance, das Recht auf Selbstbestimmung und den Einfluss des Rechtsrucks auf queere Kämpfe
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Von Stefan Hunglinger und Raweel Nasir (Gespräch) und Anja Weber (Foto)
taz: Brauchen wir wieder mehr „männliche Energie“, Herr Mann?
LCavaliero Mann: Dass es eine „männliche“ oder „weibliche“ Energie gibt, würde ich infrage stellen.
taz: Facebook-Chef Mark Zuckerberg fordert wieder mehr „maskuline Energie“ und Aggression in der Unternehmenskultur.
Mann: Wenn mit „maskuliner Energie“ Sexismus und Übergriffe im Arbeitsalltag gemeint sind, dann möchte ich dem vehement widersprechen. Das ist eher patriarchale Energie!
taz: Tatsächlich haben viele Firmen in den letzten Jahren vor allem Frauenförderung und Queerfreundlichkeit signalisiert, überall war das Regenbogenfähnchen zu sehen.
Mann: Das war oft oberflächlich und fragil. FLINTA*-Personen, also Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans* und ageschlechtliche Personen, durften ein bisschen mitspielen. Auch People of Colour durften mitmachen. Jetzt werden sie wieder ausgeladen und ausgegrenzt. Viele Firmen ziehen gerade ihre Diversitäts-Initiativen zurück und sagen, das hätte wirtschaftliche Gründe. Ich sehe das aber eher als Ausrede.
taz: Was ist der tatsächliche Grund?
Mann: Der Diskurs verschiebt sich auch durch den Einfluss von Rechtspopulisten. Wir leben in Krisenzeiten; in teils tatsächlichen, teils imaginierten Krisen. Und es ist leider nach wie vor so, dass man in Krisenzeiten versucht, irgendwelche Schuldigen zu finden, auf die man das abwälzen kann.
taz: Von 2014 bis 2024 waren Sie künstlerischer Leiter des SchwuZ, des vielleicht wichtigsten queeren Clubs in Berlin. In ihrer Zeit fand dort die LGBTIQ-Karrieremesse „Sticks and Stones“ statt. Da gab es auch Kritik, dass das nur oberflächliche Queerfreundlichkeit sei.
Mann: Es ist gut und richtig, wenn Firmen sich hinstellen, um zu sagen: Wir freuen uns über queere Mitarbeitende. Die Messe hat sich im SchwuZ ja nur eingemietet, da kann man schlecht überprüfen, was die beteiligten Firmen dann tatsächlich tun. Aber viele Unternehmen waren und sind immer noch ein Motor dafür, dass sich queere Menschen auf Stellen bewerben. Und häufig sind das welche, bei denen sie sich vorher nicht getraut hätten. Speziell trans* Personen, genauer trans* Frauen, haben Schwierigkeiten, an gute Jobs zu kommen. Deswegen finde ich die Idee einer queeren Karrieremesse erst mal gut.
taz: Ein queeres Firmenimage ist das eine. Was braucht es, damit auch faire Arbeitsbedingungen für Queers gelten?
Mann: Es reicht nicht aus, einfach Menschen auf einem Poster abzubilden. Die Unterstützung muss tief in der Firmenkultur verankert sein und es muss eine kontinuierliche Auseinandersetzung innerhalb des Unternehmens stattfinden. Gleichheit braucht auch Gerechtigkeit.
taz: Es sind nicht nur heterosexuelle Männer, die jetzt zur „guten alten Zeit“ zurück wollen. In den sozialen Medien feiern „Tradwives“ extrem konservative Frauenbilder. Alice Weidel steht als Frau und Lesbe an der Spitze der AfD.
Mann: Manchmal passen sich Menschen an bestimmte Erwartungen an, um Anerkennung zu bekommen. Gefährlich wird es, wenn solche Verhaltensweisen als „natürlich“ dargestellt werden und andere Verhaltensweisen als falsch oder als nicht männlich oder nicht weiblich genug gebrandmarkt werden.
taz: Genau das erleben zum Beispiel nicht binäre und trans* Menschen. Warum lässt sich gegen sie so gut hetzen?
Mann: Selbstbestimmte Geschlechtsdefinitionen oder auch Geschlechtstransition sind offensichtlich immer noch ein Tabu, das nicht überschritten werden darf, weil das dann die vermeintlich „natürliche Ordnung“ infrage stellt.
taz: Haben Sie Verständnis für Leute, denen die gesellschaftlichen Veränderungen zu schnell gehen?
Mann: Ich habe Verständnis für Menschen, die Fragen zur queeren Identität haben oder sich durch Veränderungen verunsichert fühlen. Solange sie respektvoll sind. Kein Verständnis habe ich für Menschen, die anderen ihre Identität oder Lebensrealität absprechen. Die Diskussionen darum, inklusive Sprache zu verbieten, finde ich albern. Sprache entwickelt sich mit der Gesellschaft weiter, und es ist nicht sinnvoll, sie starr zu regulieren oder nur die männliche Form zu verwenden.
taz: Sie sprechen die CDU und CSU an, die das Gendern in manchen Bundesländern in Schulen, Behörden und im Rundfunk verboten haben und das jetzt im ganzen Land tun wollen. Auch das Selbstbestimmungsgesetz, das im November in Kraft getreten ist, soll wieder weg.
Mann: Dass das Selbstbestimmungsgesetz kassiert werden soll, finde ich wirklich unmöglich. Es zeigt die unglaublich menschenverachtende Haltung der CDU. Die Kritik war ja, dass die Leute durch psychologische Gutachten quasi beweisen mussten, dass sie trans* sind. Ich fand das übergriffig und respektlos meiner Person gegenüber. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz kann ich die Personenstandsänderung auf dem Amt nun kundtun. Ich weiß doch am besten, wer ich bin.
taz: Ab 14 Jahren können Minderjährige selbst den Antrag zur Änderung des Geschlechts abgeben. Dass auch sie schon so genau wissen, wer sie sind, daran zweifeln manche.
Mann: Das spricht den Jugendlichen die Selbstbestimmung ab. Es ist ja nicht so, dass Jugendliche keinen Verstand haben und kein Selbstverständnis. Sie wissen, wer sie sind, und sie wissen es am besten. Zusätzlich gibt es ja auch Beratungs- und Unterstützungsangebote.
taz: Wie sind Sie selbst denn zu dem LCavaliero Mann geworden, der Sie heute sind? Aufgewachsen sind Sie in einer baden-württembergischen Kleinstadt …
Mann: Nach dem Abitur bin ich nach Wien gegangen und habe freie Malerei und Tapisserie studiert. Dort konnte ich auch Vorlesungen zur Frauen- und Geschlechterforschung hören, so hieß das damals noch an der Akademie. Es ging um historische Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in der Kunst – ein Thema, das mich sehr fasziniert hat.
taz: Warum?
Mann: Ich habe schon früh gemerkt, dass meine Geschlechtsidentität anders ist. Manche Vorstellungen von Weiblichkeit waren mir zu eng. Später zog ich nach Berlin, und traf dort viele Menschen, die jenseits von traditionellen Geschlechternormen lebten. Im Laufe des Studiums wurde mir dann immer klarer, dass ich mich nicht als Frau fühle, sondern als transmaskulin – das passte einfach besser zu mir.
taz: Wer waren dabei Ihre Vorbilder?
Mann: Zum Beispiel gab es eine Gruppe von Drag-Kings namens Kingz Of Berlin, die in den frühen 2000ern sehr aktiv waren. Ich erinnere mich noch an ihren Auftritt bei der 10-Jahres-Feier der Gender Studies, als sie im Senatssaal der Humboldt-Universität performt haben. Das war einer der ersten Momente, in denen mir klar wurde: Gender ist Performance, es hat nicht nur mit Biologie zu tun.
taz: Manche sagen ja, Gender Studies hätten wenig mit Wissenschaft zu tun.
Mann: Mein Eindruck war ganz anders. Ich fand den Studiengang unglaublich spannend und bereichernd. Weil er sich auch mit der Frage auseinandersetzt, wie Wissenschaft gemacht wird, wie Wissen produziert wird – und was das mit Gesellschaft zu tun hat. Welche Annahmen sind historisch bedingt und wie beeinflussen sie die Wissenschaft heute? Was wird vielleicht ausgeblendet? Ein Klassiker in diesem Kontext ist die Geschichte der Farbe Rosa: Um die Jahrhundertwende galt Rosa als eine männliche Farbe. Erst später wurde sie kulturell mit Mädchen in Verbindung gebracht. Das zeigt, wie sehr gesellschaftliche Entwicklungen unsere Wahrnehmung von Dingen beeinflussen und verändern. Dass das zu untersuchen keine „richtige“ Wissenschaft ist – diese Idee halte ich für völligen Quatsch.
taz: Wie sind Sie dann von der Forschung in die Clubszene gerutscht?
Mann: Ich war schon im Studium politisch aktiv und in Berlin konnte man so viele tolle Projekte starten. Dann bin ich Teil einer Performancegruppe geworden – die Spicy Tigers on Speed. Da habe ich gemerkt, dass ich eine richtige Rampensau bin. Es macht mir einfach Spaß, auf der Bühne zu stehen. Aber auch, Räume zu schaffen, in denen queere Menschen so sein können, wie sie sind und sich vom Alltag in der heteronormativen Realität erholen können. Als solchen Raum habe ich das SchwuZ kennengelernt.
Im Hörsaal1980 in Laupheim in Baden-Württemberg geboren, studierte Mann zunächst in Wien Freie Malerei und Tapisserie, anschließend Gender Studies und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2021 machte er einen Master in Kulturmanagement an der PH Ludwigsburg.
Auf der BühneSchon während des Studiums trat Mann als Performer und DJ auf, von 2014 bis Ende 2024 war er künstlerischer Leiter des queeren Clubs SchwuZ in Berlin-Neukölln. Heute finden seine Partykonzepte andernorts statt. Mann tritt auch auf queeren Comedy-Bühnen auf.
taz: Kurz nachdem das SchwuZ 2013 von Kreuzberg nach Neukölln umgezogen ist, haben Sie die künstlerische Leitung übernommen.
Mann: Als ich beim SchwuZ anfing, hieß es in meinem Bewerbungsgespräch: „Wir suchen jemanden, der das SchwuZ repolitisiert.“ Und für mich bedeutete Repolitisierung auch Diversifizierung – des Teams, der Außendarstellung, des Bookings, der Veranstaltungen. Mir war es wichtig, nicht nur Angebote für weiße, schwule Männer zu schaffen, sondern zum Beispiel die Tasty-Party für Fans von Hip-Hop und arabischer Popmusik oder La Discotheka mit Latin-X-Musik und Afrobeats. Ich habe auch Soli-Veranstaltungen organisiert und mich dafür eingesetzt, dass das SchwuZ mehr als nur eine Disco ist. Es sollte auch ein Ort sein, der gesellschaftliche Themen aufgreift: Rassismus, queere Teilhabe, Behinderung. Und ein Ort, an dem queere Leute mit weniger Kohle Spaß haben können.
taz: Neukölln hat ja bei vielen nicht gerade einen queerfreundlichen Ruf.
Mann: Es gibt Gewalt gegen queere Menschen in ganz Berlin, in allen Institutionen. Ich habe selbst massive Diskriminierungen in großen, auch staatlichen Organisationen erlebt, an der Universität, in Krankenhäusern. Diese Form von Gewalt durchdringt einfach alle Bereiche und sie kann den Leuten leider überall passieren. Das ist auch Teil des Backlashs, dass man Queerfeindlichkeit jetzt ausschließlich in Neukölln sucht und nur arabischen Männern zuschiebt. Ein Mann aus Syrien, der geflüchtet war und sich für einen Job als Türsteher im SchwuZ bewarb, sagte mir, dass er das SchwuZ als den Ort kennt, an dem alle so sein dürfen, wie sie sind. Er war hetero, aber das SchwuZ war in seiner Geflüchteten-Community bekannt als der Ort mit der größten Freiheit. Er wollte Teil davon sein.
taz: Sie sollten das SchwuZ repolitisieren – aber vielleicht waren Sie etwas zu politisch und sozial? Die Geschäftsführung des SchwuZ hat Ihnen im Dezember gekündigt. Seitdem sind Sie nicht mehr künstlerischer Leiter und Ihre Stelle wurde nicht nachbesetzt.
Mann: Die Entscheidung, die Position des künstlerischen Leiters im SchwuZ abzuschaffen, hat mich getroffen. Ich hatte dort zehn Jahre lang sehr viel Herzblut und Arbeit reingesteckt.
taz: Steht Ihre Kündigung im Zusammenhang mit einer größeren Veränderung in der Berliner Clubkultur?
Mann: Die Clubkultur steckt definitiv in einer Krise. Zuerst kam Corona, dann die gestiegenen Energiepreise und Personalkosten. Gleichzeitig haben viele Menschen selbst weniger Geld. Der Kostendruck führt zu einer stärkeren Kommerzialisierung, was der Clubkultur nicht guttut. Clubs sind auch Freiheitsräume und Schutzräume. Wenn diese Räume durch hohe Eintrittspreise weniger zugänglich werden und gleichzeitig die Angebote für Nachwuchskünstler*innen oder politische Veranstaltungen nicht mehr finanzierbar sind, ist das sehr problematisch.
taz: Man setzt jetzt auf wohlhabende, schwule Touristen statt auf arme, queere Geflüchtete und politische Inhalte. Und der Berliner Senat spart auch noch massiv bei den Kulturzuschüssen.
Mann: Dabei ist die Kultur in Berlin auch auf anderer Ebene ein wichtiger Faktor für die Stadt – die Menschen, die herkommen, buchen Hotels, gehen essen, tragen zur lokalen Wirtschaft bei. Das zu gefährden, indem man diese kosteneffizienten und gewinnorientierten Strategien verfolgt, ist meiner Meinung nach für die gesamte Stadt und ihre Ökonomie sehr gefährlich.
taz: Und was haben Sie jetzt als nächstes vor?
Mann: Ich schaue gerade noch, wie es für mich weitergeht. Für mich steht fest, dass ich weiterhin Veranstaltungen für die queere Community machen möchte. Als nächstes mache ich eine Diskussionsveranstaltung mit anschließender Party im SO36. Der Titel ist „Hi Bossi“. Bossy, also rechthaberisch und dominant zu sein, wird ja vor allem FLINTA*-Personen vorgeworfen, wenn sie ihre Meinung sagen und Kritik äußern. Die ganze Veranstaltung soll diesen Mut und dieses Selbstbewusstsein feiern.
taz: Das klingt, als ob Sie eher die Community selbst erreichen wollen, als in die breitere Gesellschaft zu wirken.
Mann: Bei der Podiumsdiskussion von „Hi Bossi“ geht es darum, wie die Filmbranche inklusiver für FLINTA*-Personen werden kann. Dort gibt es immer noch ähnliche Herausforderungen wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, was die Rollen von Frauen, Queers und trans* Personen angeht. Wir wollen diskutieren, mit welchen Strategien sich das ändern lässt. Daher hoffen wir, dass auch die Filmbranche kommt und aktiv mitdiskutiert. Die Party im Anschluss ist speziell für Queers, Feminists und Friends. Aber es sind alle willkommen, die süß sind. Ich habe bewusst ein FLINTA*-Line-up für das Panel und die Party gewählt, um zu zeigen, wie viele großartige Künstler*innen und Aktivist*innen es gibt.
taz: Wie viele von denen sind denn nicht weiß?
Mann: Das Panel ist zwar nur weiß besetzt, aber im Line-up der Party gibt es viele FLINTA*-BIPOC-Künstler*innen.
taz: Ist das SO36 Ihre neue künstlerische Heimat?
Mann: Ich fühle mich sehr wohl hier. Letztes Wochenende war ich hier bei der Gayhane, einer türkisch-queeren Party, die es seit 27 Jahren gibt. Es war ein unglaublich schöner Abend, die Leute sind herzlich und offen, es läuft arabische und türkische Popmusik und einmal am Abend Hava Nagila. Das klingt extrem kitschig, aber der Saal war einfach voll von Liebe und Freude. Es gibt nicht diese Einzelkämpfer-Mentalität, wie es oft in Techno-Clubs der Fall ist. Es war einfach ein Ort der Verbindung und des Feierns. Und dann trat die alte Tunten-Moderatorin auf die Bühne, die schon in den Neunzigern mit dabei war und rief: Nationalismus raus aus den Köpfen! Das ist heute wieder dringender denn je!
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