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Der fliegende Sauerländer

Fast wöchentlich hat Friedrich Merz’ Privatflugzeug in den vergangenen drei Jahren abgehoben. Das zeigt eine Datenanalyse der taz. Der Hobbypilot emittiert damit das Vielfache des Durchschnitts

Friedrich Merz in seinem Privatflugzeug, 2022 Foto: Fo­to:­Axel Heimken/picture alliance

Nicolai Kary und Lalon Sander

Am frühen Nachmittag hebt das Flugzeug von CDU-Parteichef Friedrich Merz auf dem Flugplatz im sauerländischen Arnsberg ab. Rund neun Grad Außentemperatur, Sonne und klare Sicht. Es ist der 8. März 2024, Weltfrauentag, und in Stuttgart findet die Grundsatzkonferenz der CDU statt. Hier soll der Entwurf des Grundsatzprogramms der Union „In Freiheit leben“ diskutiert werden. Mindestens 324 Kilometer legt das Flugzeug in der Luft zurück.

Der Flug dauert etwas mehr als eine Stunde. Um circa 15 Uhr landet die Maschine mit dem Kennzeichen D-IAFM. Das FM steht wohl für Friedrich Merz. Um 18 Uhr wird er eine Grundsatzrede halten und sich dagegen aussprechen, dass der Verkauf von neuen Verbrenner­autos in der EU ab 2035 verboten wird: „Wer das heute verbietet, ist morgen dafür verantwortlich, dass dieses Land ärmer wird.“

Im Anschluss geht es für ihn ins Stuttgarter Neckarstadion, ein Instagram-Post zeigt ihn zusammen mit dem Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, und der Bundestagsabgeordneten Christina Stumpp. Gemeinsam verfolgen sie dort eine Unions-Niederlage: 2:0 endet das Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem FC Union Berlin. Am nächsten Tag hebt die Maschine von Merz wieder ab. Mit einem rund vierstündigen Zwischenstopp in Frankfurt-Egelsbach geht es weiter zum Flugplatz Arnsberg-Menden.

Mit seinem Propellerflugzeug sorgte Merz bereits im Jahr 2022 für Aufregung. In Begleitung seiner Ehefrau flog er zur Hochzeit von FDP-Chef Christian Lindner auf die Insel Sylt. Das sorgte für Häme und Kritik. Merz verteidigte sein Luxus-Hobby: „Ich stehe dazu, und es ist, wenn Sie so wollen, ein alter Traum von mir.“ Merz’ Flugzeug ist eine Propellermaschine mit fünf Sitzen, eine Diamond DA62, ein Flugzeug, das fast eine Million Euro kostet.

Merz ist der Kanzlerkandidat der Union, die derzeit in den Umfragen zur Wahl führt. Sollte er zum Kanzler gewählt werden, wäre er der erste mit einem Pilotenschein. Als Kanzler wäre er dafür verantwortlich, Deutschlands internationale Klimaschutz-Zusagen umzusetzen. Kann Merz, der im Monat seines Sylt-Flugs private Haushalte zum Energiesparen aufrief, glaubwürdig für Klimaschutz einstehen?

Anhand von Fluglisten der Wissenschaftsdatenbank Opensky und der europäischen Flugkontrollorganisation Eurocontrol konnte die taz die Flüge von Merz’ Maschine in den vergangenen drei Jahren analysieren: Seit 2022 hat die Diamond DA62 mindestens 160 Mal abgehoben, also alle paar Tage. Insgesamt ist sie mehr als 50.000 Kilometer geflogen und hat dabei mehr als 23 Tonnen CO2 emittiert. Erstmals wird deutlich, wie viel Merz mit seinem Flugzeug unterwegs ist.

Häufigste Flugroute dabei: Die Strecke zwischen Arnsberg – wo Merz wohnt und der örtliche Flughafenchef stolz Journalisten Merz’ Flugzeug zeigt – und Schönhagen, südlich von Berlin, taucht 60 Mal auf. Der Hinflug fällt oft auf den Beginn von Sitzungswochen des Bundestags. Wenn diese enden, gibt es einen Flug zurück nach Arnsberg. In der Merz-Biografie von Volker Wesing heißt es, die Flüge nach Berlin seien „die schönste Stunde seines Tages“.

Ansonsten taucht die Propellermaschine an vielen Regionalflughäfen in Deutschland auf – oft, wenn Merz einen Termin in der Gegend hat. Deutlich seltener geht es ins Ausland: mal nach Tschechien, in die Schweiz oder nach Frankreich. Die meisten von der taz analysierten Flüge sind offensichtlich beruflich: Medienberichte und Social-Media-Posts von den Reisetagen belegen, dass Merz an Parteiveranstaltungen oder anderen öffentlichen Terminen teilnahm. Hin und wieder sind auch private Reisen dabei, wie jene nach Sylt.

Merz stoße allein durch seine Privatflüge so viel CO2 aus „wie je­de:r Deutsche im Schnitt insgesamt pro Jahr“, sagt Lena Donat, Mobilitätsexpertin bei Greenpeace. Laut Umwelt­bundesamt emittieren Deutsche etwa 10,5 Tonnen CO2 im Jahr, nur 2,1 Tonnen davon werden der Mobilität zugeschrieben, inklusive Flugreisen. Merz kommt auf etwa 8 Tonnen nur mit seiner ­Propellermaschine. Auf Fragen der taz zu Merz’ Flugverhalten und seiner Klimabilanz antwortete die Pressestelle nicht.

Als Abgeordneter hat Friedrich Merz eine Bahncard 100, kann also kostenlos Zug fahren. Warum fliegt er trotzdem so oft, und wer zahlt dafür? Ein CDU-Sprecher teilte lediglich allgemein mit, dass Reisekosten mit einem Privatfahrzeug im Rahmen der internen Richtlinien übernommen würden – in Höhe eines vergleichbaren Bahntickets.

Der CO2-Fußabdruck variiert stark mit dem Einkommen. Einer Studie zufolge kamen die Haushalte mit einem Einkommen von monatlich mehr als 10.000 Euro netto auf etwa 4,4 Tonnen Mobilitätsemissionen pro Person – immer noch die Hälfte von Merz’ Flugzeug. Die ärmsten Haushalte mit weniger als 900 Euro monatlich kamen nur auf 0,6 Tonnen.

Auf seinen Flug nach Sylt angesprochen, machte Merz im Sommerinterview 2022 einen anderen Vergleich: „Mit meinem Kleinflugzeug verbrauche ich weniger Sprit als jeder Dienstwagen eines Mitglieds der Bundesregierung.“ Tatsächlich nutzt Merz keinen Geschäftsreisejet, die oft ein Vielfaches an Treibhausgasen emittieren. Sein Flugzeug gilt als besonders effizient: Laut Hersteller verbraucht es etwa 16 Liter Diesel auf 100 Kilometer.

Dennoch ist Merz’ Behauptung falsch. Faktenchecks zeigten schon damals, dass sein Flugzeug in etwa so viel Sprit verbraucht wie der gepanzerte Dienstwagen des Bundeskanzlers, der etwa 20 Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Die von anderen Mi­nis­te­r*in­nen genutzten Dienstwagen verbrauchen eher 10 Liter auf 100 Kilometer – wobei Benzin emissionsarmer ist als Diesel. Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir witzelte: „Mein Dienstwagen ist ein E-Auto und verbraucht deshalb direkt gar keinen Sprit. Mein Fahrrad auch nicht.“

Merz wäre der erste Hobbypilot im Kanzleramt. Kann er glaubwürdig für Klimaschutz stehen?

Arnsberg und Schönhagen – Merz’ häufigste Flugstrecke – liegen 370 Kilometer Luftlinie auseinander. Die Diamond DA62 schafft die Strecke in weniger als anderthalb Stunden, verbraucht dafür 60 Liter Diesel und emittiert rund 157 Kilo CO2. Bis in die Berliner Innenstadt sind es dann noch 50 Kilometer, die Merz mit dem Zug oder Dienstwagen fahren muss.

Mit dem Auto fährt man von Arnsberg nach Berlin 490 Kilometer, braucht über 5 Stunden und emittiert bei 10 Litern Verbrauch etwa 116 Kilo CO2. Würde Merz mit einem E-Auto fahren, sinken die Emissionen auf ein Drittel, weil Strom in Deutschland noch nicht vollständig emissionsfrei ist. Mit der Bahn müsste Merz einmal in Dortmund in den ICE umsteigen, wäre in viereinhalb Stunden in Berlin und würde für die gesamte Distanz nur etwa 15 Kilo emittieren – ein Zehntel dessen, was die Diamond DA62 ausstößt. Und die Fahrt wäre für den Abgeordneten kostenlos.

„Das ist eine klimaschädliche und elitäre Form des Reisens. Das können wir uns vor dem Hintergrund der Klimakrise einfach nicht mehr leisten“, sagt Greenpeace-Expertin Lena Donat. Die steigende Zahl der Privatflüge sei ein weltweites Problem. Merz ließ eine Frage dazu, wie er die Klimabilanz seiner Flüge bewertet, unbeantwortet.

„Ein Großteil der Menschen wünscht sich mehr Klimaschutz“, so Donat. „Sollte Merz ins Kanzleramt einziehen, braucht er Antworten, wie die Union sich bezahlbaren Klimaschutz vorstellt.“ In Sachen Mobilität seien Maßnahmen wie der Ausbau und die Verbesserung des öffentlichen Fern- und Nahverkehr sowie ein bezahlbares Deutschland­ticket wichtig, so Donat.

Es scheint nicht so, als würden für Merz und die Union die Emissionen aus dem Verkehr eine hohe Priorität einnehmen. Im Gegenteil: In ihrem Wahlprogramm betonen CDU und CSU den Individualverkehr als „Inbegriff von Freiheit“ und wollen Anreize zum Klimaschutz abschaffen. Das Verkaufsverbot für Verbrenner ab dem Jahr 2035 solle rückgängig gemacht werden, Tempolimits und Fahrverbote für Innenstädte lehne man ab. Merz selbst lehnt auch eine Umweltprämie für E-Autos ab. Zum Fliegen heißt es, dass die Luftverkehrskosten sinken sollen, damit mehr aus Deutschland geflogen wird.

Gerade Vielreisende wie Merz – ob mit Privatflugzeug oder Auto unterwegs – dürften damit kaum noch Druck verspüren, ihren Klima-Abdruck zu reduzieren. Dabei liegt der Bereich Verkehr und Mobilität schon seit Jahren zurück. Während Deutschland die Gesamtemissionen seit 1990 mehr als halbiert hat, sind diese im Bereich Verkehr nur um etwa 10 Prozent gesunken.

Seit November scheint Merz’ Propellermaschine in Arnsberg zu stehen. Ob der Wahlkämpfer einfach keine Zeit hat? Oder ob es beim Spitzenkandidaten Sicherheitsbedenken gibt? Oder ob der Pilot wie auch in den vergangenen Jahren im Winter seltener fliegt? Vom Bundeskriminalamt, das schon jetzt für Merz’ Sicherheit zuständig ist, heißt es, dass dazu aus Sicherheitsgründen keine Angaben gemacht werden. Auch von Merz gab es dazu keine Antwort.

Sicher ist: Sollte Merz Kanzler werden, wird er weiterhin fliegen – dann aber mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr und nicht selbst am Steuer.

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