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In Sachsen bröckelt’s

Eine Zusammenarbeit mit der AfD? Ein Blick nach Sachsen zeigt: Auf kommunaler Ebene ist das längst Praxis. Neun Beispiele

Hat Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz das Risiko im Blick? Foto: Lisi Niesner/reuters

Von Konrad Litschko

Bis vor Kurzem ließ die Führung der Union keinen Zweifel daran, an der Brandmauer zur AfD festhalten zu wollen. Doch wurde das an der Basis auch so gesehen?

Es gibt Zweifel, wie ein Blick nach Sachsen zeigt – wo die Partei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft ist. Im Landtag überließ die CDU der AfD gerade die Vorsitze des Innen-, Haushalts-, Bildungs- und Rechtsausschusses. Letzteren soll Alexander Wiesner führen, der bis vor Kurzem Landeschef der Parteijugend „Junge Alternative“ war und zwei Mitarbeiter beschäftigte, die von der Bundesanwaltschaft unter Rechtsterrorverdacht gegen die Gruppe „Sächsische Separatisten“ festgenommen wurden. Auch in die Kontrollkommission wählten CDU und BSW einen AfD-Mann. Diese kontrolliert den Verfassungsschutz – der wiederum auch Rechtsextreme in der AfD beobachtet.

Eine taz-Umfrage in allen Landkreisen Sachsens zeigt: Während sich CDU, BSW und andere Parteien mancherorts von der AfD abgrenzen, existiert die Brandmauer anderenorts nicht mehr. Neun aktuelle Beispiele.

Kreistag Bautzen

Es war gleich in der ersten Sitzung im August, als der Kreistag einen AfD-Beschluss mit breiter Mehrheit verabschiedete: die Abschaffung des hauptamtlichen Ausländerbeauftragten. Zuvor hatte CDU-Landrat Udo Witschas – der schon länger betont, mit allen gewählten Parteien zusammenzuarbeiten – erklärt, er mache bei der Abstimmung keine Vorschriften, und votierte für eine geheime Abstimmung. Dem Antrag wurde mit 47 zu 30 Stimmen zugestimmt – 15 mehr als die AfD-Fraktion besitzt. SPD, Grüne und Linken sagten, sie hätten gegen die Abschaffung des Ausländerbeauftragten gestimmt. Die Landesdirektion prüft bis heute, ob der Kreistagsbeschluss rechtmäßig ist. Das sächsische Sozialministerium hatte bereits erklärt, dass es diesen als unvereinbar mit dem Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetz sieht.

Matthias Grahl, Bautzener CDU-Kreisrat und Landesschatzmeister der CDU, plädierte zuletzt offen für Gespräche mit der AfD. Eine Koalition solle man nicht mehr ausschließen – sonst mache man sich weiter erpressbar von SPD, Grünen und Linken, die „für alles stehen, was in diesem Land schiefläuft“. Grünen-Kreisrat Jonas Löschau sagte der taz, über die Brandmauer habe man im Landkreis vor ein paar Jahren diskutiert. „Das ist vorbei. Die Brandmauer gibt es hier nicht mehr. Die AfD ist als größte Fraktion längst Taktgeber und die CDU lässt sich davon treiben.“

Kreistag Meißen

Als der Kreistag im November über den Posten der Vizelandrätin abstimmte, gab es neben AfD-Frau Angelika Meyer-Overheu auch eine demokratische Gegenkandidatin, Anita Maaß von der FDP, Bürgermeisterin von Lommatzsch. Doch der Kreistag votierte gleich im ersten, geheim abgehaltenen Wahlgang mit 46 Stimmen für Meyer-Overheu – obwohl die AfD nur 27 Mandate hat. „Ohne Not“ sei hier eine AfD-Vertreterin in ein Amt gewählt worden, schimpfte Linken-Landeschef Stefan Hartmann. CDU-Landrat Ralf Hänsel hatte schon zuvor in einem Interview erklärt, eine Brandmauer zur AfD habe man im Landkreis „nie errichtet“. Er selbst sei „ein strikter Gegner“ einer solchen – man müsse anfangen, „alle in die Verantwortung zu nehmen“. Grünen-Kreisrätin Eva Oehmichen sagte der taz, auch aus ihrer Sicht habe es im Landkreis „eine Brandmauer zur AfD von Seiten der CDU zu keinem Zeitpunkt gegeben“. Beide Fraktionen duzten sich, Teile der Fraktionen würden das Vorgehen bei Anträgen gemeinsam absprechen. Ihr Eindruck sei eher, die Brandmauer werde „in Richtung Grünen und Linken errichtet“.

Kreistag Sächsische Schweiz-Osterzgebirge

Der Antrag fand im Dezember eine breite Mehrheit: Das laufende Besetzungsverfahren für die Integrationsbeauftragte zu stoppen. Der Vertrag lief zum Jahresende 2024 aus, Amtsinhaberin Yvonne Böhme hatte sich erneut beworben, als einzige qualifizierte Bewerberin. Der Antrag kam von der CDU, aber wenig überraschend stimmten auch AfD, Freie Wähler, FDP, Konservative Mitte und die Rechtsextremen der Freien Sachsen zu. Die Stelle bleibt nun vorerst unbesetzt. Böhme hatte zuvor eine Ausstellung über Geflüchtete im Landratsamt in Pirna mitinitiiert – das Amt ließ sie noch vor der Eröffnung wieder abbauen, wegen angeblicher Beschwerden von Bürger*innen.

Eine Kirchengemeinde beherbergte danach die Ausstellung. Der Flüchtlingsrat Sachsen kritisierte den Kreistagsbeschluss als „verheerendes Signal in Bezug auf demokratische Vielfalt und Repräsentation im Landkreis“. Die Integrationsbeauftragte sei „ein unverzichtbarer Bestandteil der kommunalen Integrationsarbeit“. Böhme selbst sagte, die „Allianz“ aus CDU, AfD und anderen „wirft Fragen auf“. Sie sei „persönlich getroffen“, dass CDU-Kreisräte, die auch Bürgermeister seien, den Beschluss mitgetragen haben – diese wüssten doch, wie wichtig diese Arbeit sei.

Kreistag Mittelsachsen

Es sah nach einer unspektakulären Personalie aus: Der neugewählte Grünen-Kreisrat Michael Seidel erklärte zu Beginn der Legislaturperiode, er könne sein Mandat nicht antreten. Er habe einen neuen Job als Lehrer, ein Nachrücker stehe parat. Doch AfD, CDU, Freie Wähler und Teile der SPD stimmten gegen den Mandatsverzicht: Seidels Grund sei vorgeschoben, der Aufwand machbar. In gleich zwei Sitzungen lehnte der Kreistag Seidels Antrag ab. Weshalb das Parlament am Mittwoch auf Anordnung der Landesdirektion, die Seidels Position teilt, eine Sondersitzung einberufen musste.

Doch auch da blieben AfD und CDU hart. Nun muss ein Verwaltungsgericht entscheiden. Die Grünen nannten den Vorgang „bizarr“, der Beschluss sei rechtswidrig. Auch Kreisrätin Jana Pinka (parteilos) sagte der taz, sie sei „fassungslos“: AfD und CDU täten sich hier bereits bei einem Thema zusammen, das eine reine Formalie hätte sein müssen.Schon in der vergangenen Legislaturperiode machte der Kreistag Schlagzeilen, weil AfD und CDU eine Übernahme von 3,5 Millionen Euro für Asylkosten durch den Landkreis ablehnten – als Protest gegen die Asylpolitik im Bund. Landrat Dirk Neubauer (parteilos, einst SPD) hatte dagegen Widerspruch eingelegt und betont, dass dies eine Pflichtaufgabe des Landkreises sei. Auch hier musste sich am Ende die Landesdirektion einschalten.

Neubauer trat später zurück, beklagte rechte Drohungen gegen ihn. Aussichtsreichster Nachfolger ist nun der parteilose Freiberger Bürgermeister Sven Krüger, der von CDU und Freien Wählern unterstützt wird – und der 2023 Schlagzeilen machte, weil er auf einem Ball in St. Petersburg für ein „gutes Miteinander“ zwischen Deutschland und Russland warb.

Stadtrat Leipzig

Bereits 2020 trat Leipzig dem Bündnis „Sicherer Hafen“ bei, womit sich Städte verpflichten, über den Verteilungsschlüssel hinaus freiwillig mehr Geflüchtete aufzunehmen. Ende 2024 brachte die AfD im Stadtrat einen Antrag ein, Leipzig müsse „unverzüglich“ aus dem Bündnis austreten. Das Projekt sei „gefährliche moralgetriebene Symbolpolitik“.

Die CDU reagierte darauf, indem sie den Antrag inhaltlich übernahm, verschärfte und nochmal selbst einbrachte. Damit sollen der Stadt nun auch Spendenaufrufe an den sächsischen Seenotrettungsverein Mission Lifeline und jede weitere Unterstützung des Bündnis Seebrücke untersagt werden. Abgestimmt wurde über den Beschluss bisher noch nicht. Aber er kann mit einer Mehrheit rechnen: AfD und BSW signalisierten bereits Zustimmung. Auf der anderen Seite unterzeichneten gut 15.000 Personen eine Petition, dass Leipzig „sicherer Hafen“ bleiben soll.

Die Leipziger Linken-Abgeordnete Jule Nagel nannte den Fall symptomatisch, wie eine Brandmauer zwischen AfD und CDU auf kommunaler Ebene in Sachsen „nicht mehr erkennbar“ sei. Auch das BSW habe „keinerlei Bedenken, mit den Faschisten gemeinsame Sache zu machen“, sagte Nagel. „Das ist dramatisch, weil so gerade im Kleinen menschen- und demokratiefeindliche Einstellungen normalisiert werden.“ Und auf Landesebene bleibe die Frage, ob CDU und SPD so wirklich ihre Ansage durchhalten, nicht mit der AfD zu kooperieren.

Stadtrat Zwickau

Er sitzt für die AfD im Zwickauer Stadtrat, war seit August auch Abgesandter im Jugendbeirat: Julian Bader. Im Herbst berichtete dann der NDR, dass der angehende Schornsteinfeger einst zur 2020 verbotenen Neonazi-Gruppe „Nordadler“ gehörte und auch aktuell Teil einer sich neu formierenden Gruppe sei. Der Jugendbeirat weigerte sich darauf, weiter mit Baden zusammenzuarbeiten. Im Stadtrat sollte seine Abwahl aus dem Beirat erfolgen. Doch die scheiterte im November im Stadtrat: 27 Stadträte stimmen in geheimer Wahl gegen die Abwahl Baders – 11 mehr als die AfD-Fraktion Mitglieder hat.

Die AfD hatte Bader verteidigt, gegen ihn liege strafrechtlich nichts vor. Was er in seiner Freizeit tue, gehe niemanden etwas an. Dabei hatte in der Debatte zuvor auch Kripo-Leiterin Grit Blöse, die für „Bürger für Zwickau“ im Parlament sitzt, deutlich für die Abwahl von Bader appelliert und vor seinen engen Kontakten zu Rechtsextremen gewarnt – die CDU reagierte laut Freier Presse mit Schweigen. Kurz darauf verkündete Bader selbst, er wolle den Jugendbeirat verlassen – wegen beruflicher Belastung. Andere Fraktionen warfen der AfD darauf ein „Schmierentheater“ vor. Im Stadtrat sitzt Bader für die AfD bis heute.

Stadtrat Chemnitz

Es war schon länger ein Streitthema in Chemnitz: Die Schließung von bis zu zehn Kitas mit bis zu 1.000 Plätzen. Das Jugendamt hatte dies angekündigt, weil seit Jahren das Angebot den Bedarf übersteige und es teils hohen Sanierungsbedarf gebe. Im Oktober taten sich dann AfD und BSW zusammen und beantragten eine Sondersitzung des Stadtrats zu dem Thema. Grüne, Linke und andere warfen beiden Parteien eine „Inszenierung“ und Verschwendung von Sitzungsgeldern vor. Tatsächlich, so argumentierten die Grünen, brauche es eine Lösung, so viele Kita-Plätze dürften nicht abgebaut werden. Aber BSW und AfD gehe es nicht um eine Lösung, sondern nur um öffentlichen Zuspruch. Und das BSW mache „ohne Not“ gemeinsame Sache mit einer Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt, so die Linke.

Die Sondersitzung selbst endete ergebnislos. Ein finaler Beschluss zu den Kitas wurde bis heute nicht gefällt.

Stadtrat Meißen

taz themenwoche emanzipation

Die Zukunft der offenen Gesellschaft steht zur Wahl. Kommt nun eine Rückschrittskoalition, für die Migration wirklich die Mutter aller Probleme ist? Wird Gleich­be­rech­tigung wieder zu Gedöns? Wir berichten über den Kampf der Zivilgesellschaft für gleiche Rechte. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:

Schon seit Monaten polterte der AfD-Stadtrat René Jurisch, eine früherer NPD-Mann, gegen das alternative Projekt „Buntes Meißen“, warf diesem eine „Selbstbedienungsmentalität“ und „Heile Welt Veranstaltungen“ vor. Im Oktober machte das Stadtparlament dann Ernst: Es stimmte mehrheitlich für eine – von der AfD vorgeschlagene – geänderte Prioritätenliste für die Förderung von Lokalprojekten durch den Europäischen Sozialfonds. Ein neues Projekt rutschte nach oben, das Projekt „Sozialer Garten“ vom „Bunten Meißen“ rutschte nach unten und fällt damit nun für die kommenden drei Jahre aus der Förderung. 15 Stadträte stimmten für den Beschluss – die AfD hat 9.

Das Projekt „Buntes Meißen“, das seit 11 Jahren in der Stadt wirkt, sprach danach vom „Anfang vom Ende der Abgrenzung gegen die AfD“. Und ergänzte: Die Stadt verliere „eine ambitionierte Initiative für das soziale Miteinander“. Die Fraktion „Bürger für Meißen“ beklagten ebenso, dass der Stadtrat fachliche Expertise „gegen persönliche Befindlichkeiten, gegen politische Abneigungen und eine ideologische Vorgehensweise ausgetauscht“ habe. AfD-Mann Jurisch dagegen jubilierte: „Die Selbstbedienung an Steuergeldern ist vorbei. Nicht nur in Meißen!“

Stadtrat Weißwasser

Die AfD in Weißwasser führte an, dass die Stadt sparen müsse, und stellte deshalb im Dezember im Stadtrat den Antrag, Zuschüsse für soziale Vereine und der Jugendhilfe um 50 Prozent zu kürzen, rückwirkend für das komplette Jahr 2024.

Nach einer Debatte einigte man sich auf 30 Prozent Kürzungen, dann bekam der Antrag eine Mehrheit – mit Stimmen eines SPD-Abgeordneten und einem der Gruppe „Veränderung jetzt“.

Der Beschluss betrifft etwa das Soziokulturelle Zentrum Telux, das gemeinsam mit fünf anderen Projekten erklärte, der Beschluss reiße „erhebliche Finanzierungslücken“, und ihre weitere Arbeit in der Stadt stehe nun „wirklich infrage“. Genau solche Zentren hatte AfD-Chef Tino Chrupalla zuvor bei einer Veranstaltung in Weißwasser ins Visier genommen.

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