: Der schillernde Staatsanwalt
Er hat Nazis gejagt und – fürs Kino – Menschen zu Wurst verarbeitet: Dem Hamburger Juristen, Filmkritiker und Gesamtkunstwerk Dietrich Kuhlbrodt hat Regisseur Arne Körner einen schönen Porträtfilm gewidmet. Passender Titel: „Nonkonform“
Von Wilfried Hippen
Er verfolgte echte Naziverbrecher und trat in einem bundesdeutschen Undergroundfilm als Reichspropagandaminister Joseph Goebbels auf. Er ist promovierter Jurist und war Staatsanwalt und versteckte ein Jahr lang in seinem Keller in Hamburg einen Afrikaner, dem die Abschiebung drohte. Er bekam 1975 den Halsbandorden der Alliierten Widerstandskämpfer in Europa und zerkaut Glas, wenn er mal wieder glaubt, seinen Geltungstrieb befriedigen zu müssen: Dietrich Kuhlbrodt ist eine coole Socke, einer, dem man stundenlang zuhören kann, wenn er aus seinem Leben erzählt.
Das fiel auch Arne Körner auf: Kuhlbrodt hat eine Kritik zu dessen erstem Kinofilm „The Bicycle“ geschrieben – Filmkritiker ist er auch, auch für die taz hat er geschrieben –, und die beiden hatten sich angefreundet. In „Nonkonform“ lässt Körner Kuhlbrodt also reden – und der erzählt ganz wunderbar: anschaulich und analytisch, spannend und vor allem sehr witzig.
Natürlich ist er ein Selbstdarsteller, ein Performer, der sowohl in seinem Brotjob als Staatsanwalt wie auch bei seinen künstlerischen Selbstverwirklichungen gelernt hat, einen großen Auftritt hinzulegen. Erkennbar begeistert nimmt er die Gelegenheit war, endlich einmal in einer Hauptrolle zu glänzen. Aber das kann er eben auch, und wenn er dabei ein wenig an seinem eigenen Mythos bastelt, macht das seine Geschichten nur besser.
Hat Regisseur Rainer Werner Fassbinder wirklich einst mit ihm geflirtet – und ihm bei einem nächtlichen Gelage die „Rippchen“ von seinem Teller zum Abkauen angeboten? Egal, gut erfunden ist es allemal. Dabei hat Kuhlbrodt es gar nicht nötig zu flunkern, er hat so viel erlebt, dass er sich an vieles kaum noch erinnern kann. „Stimmt, ich hab ja ein Drehbuch geschrieben!“, sagt er kokett, als er auf seine Zusammenarbeit mit Werner Schroeter bei dessen Film „Liebeskonzil“ (1982) angesprochen wird. Darin ließ er eine Staatsanwältin auftreten, damals noch völlig unvorstellbar, und Körner zeigt die passenden Ausschnitte mit einer juristisches Kauderwelsch von sich gebenden Margit Carstensen.
„Nonkonform“, Regie: Arne Körner, mit Dietrich Kuhlbrodt, Musik: Helge Schneider. Deutschland 2024, 117 Minuten. Ab heute in vielen Kinos
Sondervorstellungen: Fr, 7. 2., Hamburg, Alabama (Gäste: Dietrich Kuhlbrodt und Arne Körner, Moderation: Monika Treut)
Do, 13. 2., Hamburg, Schanzenkino 73 (Gäste: Dietrich Kuhlbrodt und Arne Körner)
Fr, 14. 2., Hannover, Kino im Sprengel (Gast: Arne Körner)
Mi, 19. 2., Oldenburg, Cine K (Gast: Arne Körner)
Fr, 27. 3., Hamburg, Lichtmess-Kino (Gäste: Dietrich Kuhlbrodt und Arne Körner)
Zu seinen ersten und prägenden Erinnerungen gehören für den 1932 geborenen Kuhlbrodt die Bombenangriffe auf Hamburg im Jahr 1943. Für ihn war es damals ein großes Abenteuer, nachts die Explosionen und die Leuchtspuren der Flak am Himmel zu bewundern. Hier decken sich Kuhlbrodts Erinnerungen übrigens mit denen des nur drei Monate jüngeren britischen Filmemachers John Boorman: Der erzählt in seinem autobiografischen Film „Hope and Glory“ (1987) davon, dass das zerbombte London ihm als riesiger Abenteuerspielplatz erschienen sei. Dies Art Spiegelung würde Kuhlbrodt gefallen, so kinoverrückt wie er sich beschreibt, seit irgendwann die Oma mit ihm im Schlepptau in einem Film mit Willy Birgel ging.
Auch dafür hat Körner den passenden Filmausschnitt gefunden.Überhaupt hat er Kuhlbrodts geplauderte Memoiren sehr sorgfältig und durchaus aufwendig illustriert; das Archivmaterial wurde in der Postproduktion dann auch noch einfallsreich bearbeitet und verfremdet. Zu den Kriegserinnerungen des jungen Kuhlbrodt laufen die Bilder dann schon mal rückwärts, oder Körner zeigt sie als „farbenverkehrte“, inverse Negative. Er hat sich ganz offensichtlich bemüht, dem Filmkritiker Kuhlbrodt auch filmisch gerecht zu werden – so lässt er die Kamera auch mal kreiseln, während Kuhlbrodt davon erzählt, wie ihm bei seinem ersten Auftritt als Staatsanwalt vor einem Gericht schwindelig wurde. Ein geschickter Zug Körners war es, Helge Schneider die Filmmusik besorgen zu lassen: Der hat auf Piano, Bass, Saxofon, Orgel, Schlagzeug und Werweißnochwas einen flotten Jazzscore eingespielt, der wunderbar passt zur übermütig spielfreudigen Persönlichkeit des Protagonisten.
Kuhlbrodt war als junger linker Staatsanwalt bei den alten Herren um ihn herum verhasst, im Film erzählt er nun auch davon, mit welch raffinierten Mitteln der Justizapparat ihn kaltstellte. So wurde er in den 1960er-Jahren an die zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im badischen Ludwigsburg berufen, die sich aber als eine juristische Alibi-Institution entpuppte: Den dort tätigen Staatsanwälten war es untersagt, gegen Naziverbrecher auch Anklage zu erheben.
Ähnlich absurd war der Grund dafür, dass ein von Kuhlbrodt angestrengter „Euthanasie“-Prozess platzte: Die Verteidigung plädierte auf Prozessunfähigkeit des Angeklagten, eines hochrangigen Hamburger Beamten, weil dieser sich derart über die Anklageschrift aufgeregt habe, dass er sie nicht zu Ende habe lesen können. Dass der vom Gericht bestellte Gutachter ein alter Kollege eben dieses Angeklagten war, fand Kuhlbrodt dann erst zu spät heraus.
Erfolgreicher war er als Nebendarsteller in den Filmen von Christoph Schlingensief, für den er 1998 in „Das deutsche Kettensägenmassaker“ Ossis zu Wurst verarbeitete. Bei Schlingensief improvisierte er auch auf der Theaterbühne, für seine „Partei 2000“ zog er als Vorstandsmitglied in den Wahlkampf der Bundestagswahl 1998.
Wie schillernd Kuhlbrodts Persönlichkeit bis heute ist, wird dann bei einer Besichtigung seines kleinen Hauses im Elbvorort Blankenese deutlich: Wir erfahren, dass der Hausherr gern Micky-Maus-Hefte liest, während sein Lieblings-Plüschtier Wauwi im eigenen Bettchen schläft. Wir sehen ihn in Unterwäsche, und zum Schluss zerbeißt der 92-Jährige ein Sektglas. Er ist eben noch immer eine Rampensau.
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