Britische Avancen an die EU: Brüsseler Rosinenpickerei
Den Briten geht es durch den Brexit schlechter als zuvor. Trotzdem will Premier Keir Starmer sein Land nicht zurück in die EU holen. Das ist gut so.
F ür viele in Deutschland steht fest: Der Brexit war Quatsch, jetzt merken die Briten es endlich und kommen angekrochen. Auch in Großbritannien sehen das manche so. Aber die Regierung ist vernünftiger. Labour-Premierminister Keir Starmer mag einst gegen den EU-Austritt gewesen sein, aber er ist nicht lebensmüde. Er will den Brexit nicht rückgängig machen und damit eine Endloskrise eröffnen, er will sich auch nicht der EU unterwerfen und sich damit lächerlich machen.
Er spricht von einem „reset“, also einem „Neustart“ der Beziehungen: Das Vereinigte Königreich und die Europäische Union sollen sich angesichts der Herausforderungen aus Moskau, Peking und Washington auf gemeinsame Sicherheitsinteressen besinnen.
Dafür ist Keir Starmer am Montag nach Brüssel gereist. Es gäbe viel zu klären. Europas bedrohte Sicherheit kann keine reine EU-Angelegenheit sein. Je schneller man das in Brüssel anerkennt, desto besser. Und Starmer ist ein verlässlicherer Partner als die herrschenden Egomanen in Washington und Ankara.
Ein schrilles Warnsignal
Brüssels Entscheider aber hadern immer noch mit dem Brexit. Sicherheitsabkommen mit Großbritannien werden an Konzessionen geknüpft. Frankreich will, dass Großbritannien seine Fischereipolitik der EU unterwirft. Ganz ernsthaft schlagen EU-Diplomaten vor, dass London nur noch mit Erlaubnis der EU in britischen Gewässern Fangquoten festlegen, die schädliche Schleppnetzfischerei verbieten oder Meeresschutzgebiete ausweisen können soll. Fischerei ist einer von vielen Bereichen, wo schmale Lobbyinteressen in der EU bei jeder Gelegenheit Rosinenpickerei und eine Absenkung von Standards betreiben.
Wer so etwas als Preis für eine Sicherheitspartnerschaft fordert, hat von der Welt nichts begriffen – und treibt die Briten bloß in die Hände derer, die Starmer jetzt schon Ausverkauf unterstellen. Pünktlich zu Keir Starmers Brüssel-Besuch stieg Nigel Farages rechtspopulistische Partei „Reform UK“ erstmals auf den ersten Platz in einer britischen Meinungsumfrage. Das ist ein schrilles Warnsignal. Auch für die EU.
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