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Festnahme in SüdkoreaDer stoische Präsident

Mit Yoon Suk Yeol ist erstmals ein formal amtierender Präsident Südkoreas festgenommen worden. Nun könnte er mit Verschwörungstheorien Erfolg haben.

Polizisten und Korruptionsermittler am frühen Mittwochmorgen vor der verbarrikadierten Residenz des suspendierten Präsidenten Yoon Foto: Uncredited/YNA/dpa

Seoul taz | Man muss sich Yoon Suk Yeol als stoischen Mann vorstellen. Als die Weltöffentlichkeit auf seine Verhaftung wartet, die Fahnder der Antikorruptionsbehörde (CIO) bereits mit tausend Polizisten vor seiner Einfahrt stehen, reagiert der suspendierte Präsident mit erstaunlicher Gelassenheit: Er schmiert seinem Anwaltsteam erst einmal zehn Thunfisch-Sandwiches. So schildert es einer der konservativen Abgeordneten, die den 64-Jährigen am Mittwochmorgen in seiner Residenz in Seoul besucht haben.

Dabei befindet sich Yoon seither in Staatsgewalt: Nach zähen Verhandlungen und mehreren kleineren Rangeleien ist es den Ermittlern im zweiten Anlauf gelungen, erstmals in der Geschichte des Landes einen formal noch amtierenden Präsidenten festzunehmen. In einem schwarzen Geländewagen fuhren die Ermittler Yoon schließlich an diesem bitterkalten Morgen über den Han-Fluss in den südlichen Vorort Gwacheon. Dort wird er nun von Mitarbeitern der Antikorruptionsbehörde verhört. Amtsmissbrauch und Aufruhr lauten die Vorwürfe, keine Kleinigkeiten also.

Doch der ehemalige Staatsanwalt Yoon verliert auch weiterhin nicht seine Fassung. Während der Mittagspause, als die Fahnder dem suspendierten Präsidenten gerade eine Lunch-Box überreicht hatten, musste die CIO in einem Briefing einräumen: Bislang habe der Beschuldigte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Aussagen gab es nicht.

Gegenüber der Öffentlichkeit gibt sich Yoon hingegen überaus gesprächig: Noch ehe er abgeführt wurde, hatte er eine kurze Videobotschaft aufgenommen, in der er die Ermittlungen gegen ihn „illegal“ nannte. Der Rechtsstaat in Südkorea sei „vollständig zusammengebrochen“. Dennoch habe er sich dazu entschieden, dem Verhör der Ermittler Folge zu leisten, um ein „Blutbad“ zu verhindern.

Yoon: „Das Kriegsrecht ist kein Verbrechen“

Wenige Stunden später veröffentlichte sein Team auf Facebook einen handgeschrieben Brief, der sich wie die Notizen eines Mannes las, der alles unter Kontrolle hat. Darin verteidigte Yoon zum wiederholten Male jenes Vorgehen, mit dem er in den Nacht des 3. Dezember sein Land in eine tiefe Krise stürzte: „Das Kriegsrecht ist kein Verbrechen. Es ist eine Ausübung der Autorität des Präsidenten zur Bewältigung einer nationalen Krise.“

Es ist erstaunlich, wie gut Yoons Kommunikationsstrategie bislang aufgeht. Geschickt lenkt der geschasste Präsident davon ab, dass er – ohne reale Gefahrenlage – Spezialeinheiten zur Nationalversammlung geschickt hat, um diese abzuriegeln. Dass er Haftbefehle gegen Abgeordnete und auch Journalisten ausgegeben hat. Und, so behaupten es zumindest einige Politiker, auch einen Schießbefehl in den Raum gestellt hat.

Insbesondere bei Yoons Anhängern spielt dies kaum eine Rolle. Hunderte von ihnen haben rund um die Uhr vor der Einfahrt seines Anwesens kampiert, wo sie trotz zweistelliger Minusgrade ausharrten. Jeden Samstag ziehen weiterhin mehrere zehntausende Demonstranten vors Rathaus, um Yoon als Verfechter der Freiheit und gegen eine kommunistische Verschwörung zu zelebrieren.

Bei der breiten Mehrheit werden solche Narrative – zu Recht – als Verschwörungstheorien abgetan. Doch kritisieren auch moderate Stimmen in Teilen das aggressive Vorgehen der Antikorruptionsbehörde: Sie können nicht verstehen, warum die Fahnder inmitten eines laufenden Amtsenthebungsverfahrens vorpreschen wollen.

Opposition unter Manipulationsverdacht

Der Verdacht eines taktischen Timings liegt im Raum: Je schneller es nämlich zu Neuwahlen kommt, desto sicherer kommt der linke Oppositionsführer Lee Jae Myeong ins Präsidentenamt. Gegen ihn läuft derzeit ebenfalls ein Strafprozess. Ein Schuldspruch vor einem möglichen Wahltermin würde den 61-Jährigen disqualifizieren.

Und was wird aus Yoon? Die Antikorruptionsbehörde muss den suspendierten Präsidenten nach maximal 48 Stunden entweder freilassen oder – und das ist der wahrscheinlichere Fall – eine formale Festnahme beantragen.

Doch neben den Ermittlungen wegen Aufruhr und Machtmissbrauch läuft auch noch das Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon. Beim Verfassungsgericht urteilen die derzeit acht aktiven Richter in einer finalen Entscheidung über sein politisches Schicksal. Mindestens sechs von ihnen müssten die Amtsenthebung bestätigen. Andernfalls würde Yoon wieder ins Präsidentenamt zurückkehren.

Für den morgigen Donnerstag ist nun der nächste Gerichtstermin angesetzt. Dann hat Yoon die Chance, den Richtern seine Sicht der Dinge darzulegen. Oder aber erneut zu schweigen.

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