Nach der Debatte um Thilo Mischke: Kultur für alle? Ja, aber nicht so
Die Gesellschaft braucht engagierte öffentlich-rechtliche Kulturberichte. Doch die ARD sollte erst einmal den Fall Thilo Mischke aufarbeiten.
Nur zu! Gut wäre es dabei, wenn die Aufmerksamkeit der vergangenen Tage als Antrieb genutzt würde, auch noch einmal prinzipiell über die Kulturberichterstattung im Fernsehen nachzudenken. Der Eindruck ist jetzt nämlich, dass man das öffentlich-rechtliche Kulturfernsehen teilweise gegen sich selbst verteidigen muss.
Zunächst: Es war, auch wenn das so behauptet wird, kein Shitstorm und keine Hetzjagd, die da über Mischke und die ARD hereingebrochen sind. Das Statement von Christine Strobl, die meint, die Wucht der Kritik habe eine Debatte unmöglich gemacht, ist fragwürdig.
Es war eine Kampagne, das schon, und man sollte die Dynamik, die so etwas in den sozialen Medien entfalten kann, auch keineswegs unterschätzen. Doch erstens sind Kampagnen in der Meinungsbildung einer modernen Gesellschaft legitim. Zweitens richtete sie sich keineswegs gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehsystem als Ganzes, sondern gegen eine ganz spezifische und tatsächlich problematische Personalentscheidung, unterfüttert mit einem Engagement gegen Sexismus und Bro-Kultur. Und drittens hätte es auch von der Adressatenseite aus Möglichkeiten gegeben, sie ins Konstruktive zu drehen. Diese Möglichkeiten hat die ARD versäumt, und das lag, kann man jetzt denken, keineswegs nur an der missglückten Krisenkommunikation.
Die ARD hätte die Gründe, die für Mischke sprechen, erläutern und das Auswahlverfahren transparent machen können. Doch das hat sie nur andeutungsweise und, wie man inzwischen ahnt, auch nur tendenziös getan. Vor allem aber hätte die ARD die Sache nutzen können, um die Kriterien zu erläutern, die sie an öffentlich-rechtliche Kulturberichterstattung anlegt.
Omertahaftes Schweigegebot
Es ist wirklich interessant, warum die ARD hier so verzagt agierte. Das wird einem doch in jedem Managementcoaching beigebracht: Kritik als Gelegenheit nutzen, um das eigene Vorhaben noch einmal zu erläutern. Doch da kam in diesem Fall halt nichts.
Was das Auswahlverfahren betrifft, kann man sich inzwischen einiges zusammenreimen, und zwar trotz des geradezu omertahaften Schweigegebots, das in der ARD zu herrschen scheint. Dass die Entscheidung für Mischke schon lange, bevor sie publik wurde, intern hoch umstritten war und zu heftigen internen Auseinandersetzungen führte, konnte man einigen Andeutungen in den sozialen Medien entnehmen. Die FAZ hat das dann glaubwürdig aufgeschrieben.
Danach haben sich vier der sechs an der Sendung beteiligten Redaktionen für einen anderen Kandidaten entschieden, nur zwei für Mischke. Es hat dann ein sogenanntes Nutzertesting gegeben. Dabei lag, der FAZ zufolge, „Mischke nur in Kategorien wie Jugendlichkeit vorne, im Bereich Seriosität und kulturelle Kompetenz konnte er nicht überzeugen“. Dennoch haben sich die Kulturchef*innen der beteiligten Sender ohne weitere Rücksprache für Thilo Mischke entschieden.
Kurz, Mischke sollte als Moderator von oben gegen die beteiligten Redaktionen durchgedrückt werden. Legitimation durch Verfahren geht anders. Natürlich konnte das in der Krise so nicht nach außen kommuniziert werden. Lieber sich, so wie Christine Strobl das getan hat, über eine angeblich aus dem Ruder gelaufene Debatte beschweren.
Unterkomplexer Kulturbegriff
Und was ist mit den Kriterien für Kulturberichterstattung? Das Einzige, was in der Sache stehen blieb, ist ein kurzer Film auf Instagram von Thilo Mischke selbst, worin er als da noch designierter Moderator drei Worte droppte: „unterkomplexer Kulturbegriff“, „verkaufen“ und „Kultur für alle“. Darüber hinaus: kein Statement, welche konzeptuellen Überlegungen mit der Berufung Mischkes verbunden worden sind. Mögliche Anknüpfungspunkte in der Debatte wurden auch schlicht überhört.
Der von Autor*innen und Intellektuellen unterzeichnete offene Brief gegen die Besetzung formulierte etwa den Wunsch nach „enthusiastischen und an Kultur interessierten Moderator*innen, die sensibel und in der Lage sind, auf Gegenwartsdiskurse zu antworten und der Komplexität aktueller Kulturdebatten gerecht zu werden“. Offenbar haben die Kulturchef*innen der Sender andere Ansprüche. Aber welche? Man wüsste es gern.
Die Wendung „Kultur für alle“, auf die Mischke sich beruft, ist ein Begriff mit Geschichte. Der damalige Kulturdezernent der Stadt Frankfurt am Main, Hilmar Hoffmann, hat ihn noch in der alten Bundesrepublik in die Debatte eingebracht, gerade auch im Kontext von TV-Berichterstattung über Kultur. Verbunden gewesen war das mit einem Bildungs- und Vermittlungsgedanken. Die Eigengesetzlichkeit von Kunst sollte einem breiten, interessierten Publikum aufgefächert werden – also genau das getan werden, was der offene Brief sich wünschte.
Bei Mischke dagegen klingt das sehr stark nach Vereinfachung und einem Absenken der vermeintlichen Zugangsschranken gegenüber Kultur. Dabei braucht gerade ein aktueller Kulturbegriff, der nicht mehr mit Geniegedanken auskommen und Hochkultur nicht mehr weihevoll beraunen möchte, jeweils viel Hintergrundwissen, was die jeweiligen kulturellen Gegenstände betrifft. Als Beobachter fällt einem allerdings keine andere Möglichkeit ein, als die angestrebte Besetzung so zu verstehen, dass hier ein 43-jähriger Jugendlichkeitsdarsteller ohne kulturelle Expertise als Moderator der wichtigsten Kultursendung der ARD präsentiert werden sollte.
Das konnte in der Krisenkommunikation selbstverständlich auch nicht so nach außen gegeben werden, es hätte genauso zynisch geklungen, wie es tatsächlich auch zu sein scheint. Was hätte denn kommuniziert werden sollen? Mag sein, dass, angetrieben von Teilen der AfD, wieder ein nationalistischer und völkischer Kulturbegriff auf dem Vormarsch ist – aber wir präsentieren hier jetzt mal jemanden, der frisch, fromm, fröhlich, frei alles wegmoderieren kann? Oder: Tut uns ja leid, dass die Kulturszene gerade unter Spardruck leidet – aber wir haben hier jemanden, der zumindest gute Laune verbreitet?
Ein kulturfernes Management
Wer sich in der Mediathek die letzten Sendungen von „titel, thesen temperamente“ anschaut, wird feststellen, dass sie jetzt schon nicht eben einen reflektierten, die Rolle von Kunst und Kultur immer auch mitbedenkenden Kulturbegriff pflegten. Kultur wird nicht befragt. Stattdessen wird affirmativ das jeweilige Thema als bedeutend gesetzt und mit Interviewschnipseln illustriert. Das sollte mit einem Moderator Mischke offenbar auf einen für soziale Medien kompatiblen Stand gebracht werden.
Dagegen kann man aber auch behaupten, dass das Publikum tatsächlich viel weiter und an differenzierter Kulturberichterstattung interessiert ist, gerade auch in den sozialen Medien. Offenbar aber müssen sich die Kulturredaktionen der ARD gegen ein im Grunde kulturfernes Management durchsetzen – und können das nicht. Vielleicht ist jetzt aber zumindest deutlich geworden, dass es höhere Ansprüche an öffentlich-rechtliche Kulturberichterstattung gibt, als die Leitungsgremien es sich vorstellen können.
Mögliche Fragen, die die ARD sich bei der Aufarbeitung – sie kommt doch wirklich, oder? – stellen sollte, lauten: Wäre es nicht eine superfreshe Idee, das nächste Mal jemanden gewinnen zu lassen, der im Bereich kulturelle Kompetenz überzeugen kann? Und was außer einem unterkomplexen Kulturbegriff und internen Mauscheleien spricht eigentlich dagegen?
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