: „Jüdisch war wie ein unsagbares Wort“
Sylvia Salomon erfuhr erst nach dem Tod ihres Vaters, dass er Jude war und die NS-Zeit nur knapp überlebt hatte. Ein Gespräch über Familiengeheimnisse, koscheres Gebäck und die Möglichkeit von Glück
Von Jan Feddersen (Gespräch) und Doro Zinn (Foto)
Noch immer lebt Sylvia Salomon in derselben Wohnung, in die sie 1972 einzog, ein Jahr, nachdem sie nach Westberlin gekommen war. Damals waren sie in den fünf Räumen eine WG, schon sehr lange wohnt Sylvia Salomon nun alleine hier. Mitten in Kreuzberg in einem schmalen Altbau, etwas Gründerzeit da, etwas Biedermeier dort, gemütlich arrangiert. Es gibt Kaffee, ein paar Kekse, das Fenster ist geöffnet, um rauchen zu können. Direkt vor der Tür des Hauses steht ihr Motorrad, nur ein paar Treppen entfernt, um jederzeit losfahren zu können.
taz: Frau Salomon, etwas ängstlich gefragt: Ist es gefährlich, sich mit einem Motorrad durch den Verkehr zu bewegen?
Sylvia Salomon: Für mich nicht. Ich fühlte mich von Anfang an wohl auf einem Bike. Es stand mir, so durch die Welt zu kommen, auch durch eine Großstadt wie Berlin. Ich habe auch einen Führerschein für Autos und einen für Motorboote, aber der für Motorräder ist mir am wichtigsten.
taz: Wie haben Sie Motorrad fahren gelernt?
Salomon: Anfang der Achtziger war ich mit meinem damaligen Freund an der Nordsee. Die Männer vergnügten sich mit ihren Enduros in den Dünen. Ich langweilte mich etwas und fragte dann, ob ich vielleicht auch mal das Motorrad ausprobieren könne. Und was soll ich sagen: Das machte gleich viel Spaß.
taz: Das war mutig.
Salomon: Kann sein. Aber ich bin so. Und heute würde ich sagen: Ich traute mich, weil mein Vater eine ermutigende Person war. Wir sollten auch technisch was können, um im Leben zu bestehen.
taz: Das sollte man doch von Vätern erwarten, oder?
Salomon: Mein Vater hat besonders darauf geachtet, dass seine Kinder tüchtig werden, dass er ihnen etwas zutraut, dass sie sich, wenn notwendig, selbst vertrauen und sich vieles zutrauen, ohne Angst, dass ihnen etwas auch mal misslingt. Das war in meiner Kindheit bei den meisten anderen Kindern nicht so.
taz: Wie machte sich das bemerkbar?
Salomon: Nur zwei kleine Beispiele: Mein Vater nahm mich auf den Rücken, um mir das Schwimmen beizubringen. Im Bodensee. Schwamm raus ins Tiefe. Immer wieder sagte er, dass es nicht so schwer sein wird – und ich wusste, mir kann nichts passieren. Oder: Mit vierzehn setzte er uns in seinen Mercedes, fuhr in den Wald und meinte, jetzt lernst du Autofahren. Keine Angst vor Kollisionen mit einem Baum, wäre ja nur Blechschaden. Und vor den „grünen Männchen“ bräuchte ich sowieso keine Angst zu haben, die seien ja nur verkleidet.
taz: Außergewöhnlich für eine Zeit, in der Polizeileute noch viel Angst stifteten.
Salomon: Später erst wurde mir klar, durch seine Verfolgung in der Nazizeit hatte er lernen müssen, auf Angst nicht immer Rücksicht zu nehmen. Er wollte uns Kinder spielerisch vorbereiten, sollten wir in unserem Leben ebenfalls mit einem faschistischen Staat konfrontiert werden.
taz: Hat es geklappt mit dem Schwimmen?
Salomon: Ja, hat es. Er hat ja zu allem eine Story erzählt. Bei einer Schwimmstunde erzählte er, stell dir vor, wir sind auf einem Schiff, das gerade untergeht. Aber du weißt: Wir können ja schwimmen – und siehst du, da vorne ist schon das Ufer.
taz: Sie waren erst sechs Jahre alt. Hat Sie diese Vorstellung nicht geängstigt?
Salomon: Nein, im Gegenteil. Ein Gefühl von Sicherheit, das hatte ich sicher unbewusst auch. Vor allem war es tolles Spiel.
taz: Wussten Sie als Kind, später als Jugendliche, welchen Weg als Überlebender der Nazizeit Ihr Vater hinter sich hatte?
Salomon: Nein, so etwas realisiert ein Kind nicht, so etwas nimmt man auch als Jugendliche nicht so wahr. Eltern sind Eltern, die für einen da sind, einen beschützen. Warum sollte man Fragen stellen? Außerdem hatte er uns bewusst nichts erzählt.
taz: Was wissen Sie über die Verfolgung, die Ihr Vater erlitt?
Salomon: Er überlebte den Nationalsozialismus knapp, 1933 ging er nach Amsterdam. Bis zur Besetzung der Niederlande baute er sich dort eine eigene Existenz auf, eine florierende Firma. 1940 wurde sie wieder enteignet, und es war ihm laut der neuen deutschen Verwaltung nicht mehr erlaubt, sich in einer Stadt wie Amsterdam oder an der Nordseeküste aufzuhalten. Er ging daraufhin in den Untergrund und verhalf mit anderen Holländern verfolgten Menschen zur Flucht.
taz: Er blieb in den Niederlanden?
Salomon: Ja. Wohnungswechsel, ständig neue Verstecke. Fälschte für andere Juden Pässe, vermittelte Kontaktadressen und Verstecke. Aber er wurde in den Niederlanden verraten und floh nach Wien, wo er nach einigen Monaten durch die Gestapo verhaftet und in das berüchtigte Hotel Metropol überführt wurde, dort folterte man ihn in den Kellern. Er überlebte und wurde ins KZ Buchenwald überstellt. Auch dort arbeitete er mit dem Untergrund zusammen und beschaffte dem Widerstand Materialien aus der Waffenfabrik.
taz: Wie überlebte er?
Salomon: Er musste am Ende der Nazizeit, bevor die Amerikaner das KZ befreiten, auf den Todesmarsch. Er floh und überlebte. Berlin gab es ja auch nicht mehr. Er kehrte nach Amsterdam zurück, um Überlebende seiner Familie zu suchen.
taz: Sie und Ihr älterer Bruder sind in Amsterdam geboren, hauptsächlich aufgewachsen aber in Stuttgart, auf der Schwäbischen Alb und in Rottweil am Neckar. Waren Sie als Familie in dieser neuen Umgebung hervorgehoben – quasi die Neuzugezogenen?
Salomon: Ja, wir sprachen anfänglich nur holländisch, verstanden die Kinder im Kindergarten nicht und wurden gehänselt. Nach der Scheidung meines Vaters von meiner Mutter zogen wir in eine neue Wohnung, und da war plötzlich eine andere Frau, die dann von meinem älteren Bruder und mir Mama genannt wurde.
taz: Die Scheidung Ihrer Eltern …
Salomon: … habe ich nicht wahrgenommen. Meine Mutter war weg, bis heute ein Blackout. Damals war es üblich, dass alleinerziehenden Vätern keine kleinen Kinder zugesprochen wurden. Mein Vater erzählte mir viel später einmal, dass er die Kraft, das KZ zu überleben, aus der Hoffnung schöpfte, in besserer Zeit eine Familie zu gründen. Daher kämpfte er dafür, nach der Scheidung unbedingt beide Kinder zu behalten.
taz: Das ging beim damaligen Familienrecht umstandslos?
Salomon: Nein, natürlich nicht. Wichtig war, dass in unserem Haushalt eine weibliche, erwachsene Person mit lebt. Das war unsere Haushälterin. Nach einiger Zeit heirateten sie beide auch, dann war es ohnehin kein Problem mehr. Und bald bekam ich noch einen kleinen Bruder.
taz: Wer war Ihr Vater für Sie damals?
Salomon: Eine Person, auf die ich mich – und meine Geschwister auch – absolut verlassen konnte. Ein Vater, der präsent war, bei dem ich mich immer sehr aufgehoben fühlte, einer, der uns zeigte, dass wir wichtig für ihn sind. Und jemand, mit dem man über alles reden konnte, dafür nahm er sich immer Zeit.
taz: War er denn immer da?
Salomon: Er war Geschäftsmann und viel unterwegs. Dennoch verbrachte er jedes Wochenende mit der Familie, bei Regen wurden Gesellschaftsspiele zusammen gespielt, vor allem Schach.
taz: Wie war Ihre Zeit des Aufwachsens – jenseits des Familiären?
Salomon: Unspektakulär, würde ich sagen. Und doch anders. Wir waren anders, ich fühlte mich anders. Es passierten auch seltsame Dinge, die ich mir nicht erklären konnte. Etwa, dass meine Stiefmutter am Wochenende den üblichen schwäbischen Hefezopf buk – und mein Vater ein ähnliches Stück Gebäck ab und zu mitbrachte. Viel später erklärte ich mir, dass es ein koscherer Zopf war, mit Sesam oder Mohn bestreuselt, eben ein jüdisches Stück Backwerk.
taz: Sie wussten damals nicht, dass Ihr Vater jüdisch war?
Salomon: Nein. Darüber sprach man nicht. Jüdisch war wie ein unsagbares Wort. Haben wir nie und nirgends gehört. Irgendwie hing es vielleicht in der Luft, ohne dass wir als Kinder auch nur ein wenig davon verstanden hätten, was das bedeuten könnte: jüdisch. Wir kannten dieses Wort überhaupt nicht.
taz: Zur Einordnung: Von welcher Zeit sprechen wir?
Salomon: Vornehmlich vom Ende der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre, als ich noch in der Familie lebte. Als ich 1966 nach Freiburg ins Internat umzog, war schon die 68er-Atmosphäre. Alle waren aufgeregt, alles wurde diskutiert, wobei das bei uns Zuhause auch so war. Alles wurde beredet, ich kannte es gar nicht anders.
taz: Hatten Sie keine Neugier, mehr hinter die Familiengeheimnisse zu kommen?
Salomon: Kinder forschen Familiengeheimnissen nicht hinterher. Für mich war meine Welt, wie sie eben war. Natürlich war auch in meiner Studienzeit …
taz: Sie studierten was?
Salomon: Psychologie, Ethnologie und Philosophie, ich bin Sozialpädagogin vom Abschluss her. Der Nationalsozialismus war immer ein Thema – aber doch nicht so persönlich, so gründlich vor der eigenen Türe stattfindend. Es gab nicht einmal das Gefühl, es könnte ein Familiengeheimnis existieren.
taz: Sie erzählen im Dokumentarfilm „Des Vaters Schweigen“, den Mariella Santibáñez über Ihre Familiengeschichte gemacht hat, erst nach dem Tod Ihres Vaters von dessen Jüdischsein erfahren zu haben.
Salomon: Im Laufe seines späteren Lebens, wir Kinder wohnten schon länger nicht mehr Zuhause, machte er manchmal kurze Andeutungen, flüchtige Bemerkungen. Mehr nicht. Als junge Erwachsene interessierten wir uns zunehmend für seine Zeit in Berlin, aber wir hatten wenig historisches Wissen.
taz: Zum Beispiel?
Salomon: Erst nach seinem Tod ist mir die Szene mit dem koscheren Zopf wieder eingefallen. Oder dass aus so vielem hervorging, dass er die Nazizeit überstand, weil er heftig daran glaubte, überleben zu müssen – und Kinder in der Welt haben wollte, seine Kinder. Und ich verstand viel später, dass das etwas sehr Jüdisches ist. Wir feierten Weihnachten, ich war ja als Kind auch getauft worden, zu meinem Schutz. Wir wollten ja nicht auffallen, nicht anders sein.
taz: Sie haben das Jüdische schon vorher für sich selbst wahrgenommen?
Salomon: Bewusst allerdings erst Anfang 2000, als mich nach Jahren meine frühere Berliner WG-Mitbewohnerin Rebecka kontaktierte und fragte, ob ich eigentlich auch einen jüdischen Background hätte, ich hieße doch Salomon. Sie vermittelte mir eine Zweite-Generation-Therapiegruppe und fragte mich direkt, ob ich mich auch anders und nirgends richtig zugehörig fühle. Ich fühlte mich durch ihre Frage erkannt. Mir war in vielerlei Hinsicht nie ganz wohl. Nicht in Rottweil in meiner Kindheit, nicht sonst wo – immer blieb mir unverständlich, warum ich eine Art innere Einsamkeit fühlte.
taz: Aber waren Sie nicht Teil in der linken Szene der 1970er?
Salomon: Mittendrin. 1968, in Freiburg, war der Holocaust noch kein Thema. Später, in Berlin, war ich an diversen Projekten beteiligt, zum Beispiel der Besetzung der ufa-Fabrik, andere gründeten später die taz. Linke Geschichten eben. In direkter Nachbarschaft wohnten die Leute vom Grips-Theater, die in der Zeit das Stück „Ab heute heißt Du Sara“ spielten.
taz: Eine Geschichte über die Verfolgung von Juden in der Nazizeit.
Salomon: Ja, aber trotzdem blieb da immer eine Distanz. Irgendwann merkte ich, dass eine individuelle Meinung und an die Szene unangepasstes Verhalten zu Ausgrenzung führte.
taz: Inwiefern?
Salomon: Ich hatte das Gefühl, in unserer Szene muss ich Mitläufer sein, um akzeptiert zu werden. Ich hielt das nicht mehr aus und ging, legte die „alternative Uniform“ ab und entdeckte, dass ich gerne auch etwas glamourösere Sachen trug.
taz: Sie begannen, sich neu zu entdecken?
Salomon: Ja, so verstehe ich es heute. Ich trug als bürgerlich verpönte Sachen. Einer erlaubte sich allerdings zu sagen: Willst du uns provozieren? Du gehörst nicht zu Kreuzberg! Ich erwiderte: Ach, haben wir wieder ’33?
taz: Gab es deshalb Streit?
Salomon: Nein, nicht direkt, aber ich kritisierte das unausgesprochen erzwungene Einheitliche, das Nichtindividuelle, ich bestand darauf, dass ich anziehe, was ich möchte, ohne es weiter zu thematisieren.
taz: Ihr Vater war ja selbst ein Berliner Kind. Hat er Sie dann in Kreuzberg besucht?
Salomon: Nein, viele Jahre nicht. Ich wusste nicht, dass die Wiederbegegnung mit Berlin für ihn belastend sein würde, erst fünf, sechs Jahre vor seinem Tod wagte er, nach Berlin zu kommen – und danach kam er öfters.
taz: Er sagte nichts?
Salomon: Alles, was mit ihm und seinem Jüdischsein zu tun hatte, wurde sanft, aber entschieden abgeblockt. Unser Vater hat gesagt, so erinnert sich auch mein kleiner Bruder, „Rede nie darüber, dass es was Jüdisches in der Familie gibt“. Es würde sonst alles wieder hochkommen. Erst nach der TV-Serie „Holocaust“ 1979 sprach er ein wenig darüber.
taz: Diese Serie wäre 1979 beinah nicht ausgestrahlt worden. Immerhin beim Regionalsender WDR wurde sie dann erstmals auf Deutsch gezeigt.
Salomon: Über Juden zu sprechen, die Opfer der Nationalsozialisten schlechthin, das war auch damals nicht einfach. Mein Vater hat sich nicht wirklich zum Thema geäußert.
taz: Haben Sie ihn nie unkontrolliert erlebt, etwa, dass er mal außer sich geriet?
Salomon: Oh doch, das war in den 60er Jahren, als mein älterer Bruder aus der Schule kam und fragte: Papa, was heißt denn „Jud Süß“?
taz: … der Titel des berüchtigten antijüdischen Films von Veit Harlan aus dem Jahr 1940 …
Salomon: … als er das hörte, wurde sein Gesicht bleich, kreidebleich. Und in scharfem Ton fragte er: Wer hat das gesagt? Aber erklärt hat er es trotzdem nicht. Ich erfuhr nur später, dass er offenbar in die Schule ging und sich beschwerte.
taz: Hat er zu seinen Lebzeiten so gar nichts über seine Zeit vor der Heirat mit Ihrer Mutter berichtet?
Salomon: Nein, das war wie ein Tabu. Ich empfand es jedoch nicht als solches. Es existierte halt nicht.
taz: Wie war es, als Ihr Vater Sie in Berlin besuchen kam?
Salomon: Es entstand eine neue Nähe. Einmal, als er kam, brachte er mir zwei Kerzenleuchter mit, Silberleuchter. Er sagte, du liebst es doch, einen Tisch festlich zu decken. Sie stehen immer noch in meinem Wohnzimmer.
Geboren 1950, wuchs Salomon in Amsterdam, Stuttgart, Rottweil und Freiburg auf. Sie hat einen älteren und einen jüngeren Bruder.
Studiert hat sie Philosophie und Ethnologie. Salomon machte einen Abschluss in Sozialpädagogik und arbeitete unter anderem als Familientherapeutin. Sie hat einen Sohn und lebt seit 1971 in Berlin.
taz: Und wie verbrachte er seine Tage bei Ihnen?
Salomon: Ich weiß, dass er immer darauf beharrte, keine Umstände machen zu wollen, bloß nicht zur Last zu fallen. Morgens stand er viel früher als ich auf, das weiß ich noch. Er bestellte dann ein Taxi und ließ sich von den Fahrern – Studenten oder arbeitslose Akademiker – beraten, welches Frühstückscafé sie denn empfehlen können. Sie brachten ihn in Kreuzberger Szenecafés.
taz: Hat er sich die Stätten seines Berliner Lebens neu angeguckt?
Salomon: Er lieh sich einmal mein Auto aus und fuhr durch Steglitz und Zehlendorf, wo er aufgewachsen war. Einmal fuhr ich mit, er wollte mir seine Heimat, seinen Wohnort, das Gymnasium zeigen. Plötzlich brach es aus ihm raus, er rief: Lenchen, Lenchen, was haben sie mit dir gemacht!
taz: Wer war Lenchen?
Salomon: Ich weiß es nicht, ich wagte nicht zu fragen. Er hatte es nicht gemerkt, dass er schrie und ich daneben saß. Es hat mich zutiefst erschreckt, der Schmerz in der Stimme. So wie ich von meiner Stiefmutter erfuhr, dass er nachts immer schrie.
taz: Hat er seine alte Uni, die Humboldt-Universität, wieder besucht?
Salomon: Noch vor dem Mauerfall, ja. Wir sollten dort unsere Ausweise zeigen, die uns als Studenten oder anderweitig dort Tätige ausweisen. Er sagte ernsthaft zum Pförtner: Junger Mann, leider haben mir die Nazis 1933 meinen Studentenausweis abgenommen. Tut mir leid, ich kann ihn Ihnen daher nicht vorzeigen! Daraufhin wurde sofort der Direktor gerufen und wir in allen Ehren empfangen. Ein Gegner des NS-Regimes, der bis 1933 an der Uni war, war schon was Besonderes.
taz: Sind Sie mit der Recherche zu Ihrem Vater am Ende?
Salomon: Nein, die wird nicht aufhören. Wir sind ihm dankbar, dass er die Kraft und die Klugheit besaß, uns im Nachkriegsdeutschland aufwachsen zu lassen.
taz: Wie geht es Ihnen heute?
Salomon: Ich bin jüdischer geworden.
taz: Ein Auftrag Ihres Vaters?
Salomon: Mein Vater hat uns die Möglichkeit von Glück hinterlassen. Und mich oft darauf hingewiesen, keiner Partei anzugehören und alle Zeitungen zu lesen, wie er auch. Sonst bekomme man einen Tunnelblick.
taz: Ist er auf einem jüdischen Friedhof bestattet?
Salomon: Nein. 1991 ist er gestorben, und wir als seine Angehörigen dachten, ihn in die Heimat zurückzubringen, nach Berlin, nach Steglitz, das wäre ihm wichtig. Ob er damit einverstanden gewesen wäre, auf einem jüdischen Friedhof begraben zu werden – wir wussten es nicht.
Jan Feddersen, Jahrgang 1957, ist taz-Redakteur und weiß aus eigener Erfahrung um die Herausforderungen (auch jüdischer) Familienforschung.
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