Biologe über Pandemiebekämpfung: „Afrikaner können mit Epidemien umgehen“
Die Lehren aus der Ebola-Epidemie in Westafrika waren die Grundlage für die Pandemiebekämpfung von Covid, sagt der Biologe Christian Happi.
taz: Herr Happi, warum ist Afrika der beste Kontinent, um Infektionskrankheiten zu studieren?
Christian Happi: Weil viele Infektionskrankheiten dort von Natur aus vorkommen. In Afrika ist die biologische Vielfalt im Allgemeinen und damit auch die von Viren und anderen Krankheitserregern sehr groß. Es ist gut, Krankheitserreger dort zu erforschen, wo sie natürlich vorkommen.
taz: Trotzdem passierte das lange nur sehr eingeschränkt.
Happi: Das stimmt. Früher war es oft so, dass man Proben aus Afrika anderswo getestet hat. Die Ergebnisse hat man dann zeitverzögert zurück nach Afrika gebracht. Das hat dem Kontinent mehr geschadet als genutzt.
ist Professor für Molekularbiologie und Genomik an der Redeemer’s University im nigerianischen Bundesstaat Ogun. Im Jahr 2020 sequenzierte er als Erster in Afrika das Sars-CoV2-Virus. Er ist Direktor des Instituts African Centre of Excellence for Genomics of Infectious Diseases, das bereits Anfang 2020 diagnostische Tests an Partnerspitäler in Nigeria, Sierra Leone und Senegal lieferte.
taz: Sie haben in Nigeria in Biochemie promoviert und fast zehn Jahre in Harvard über Malaria geforscht. 2011 sind Sie nach Nigeria zurückgekehrt – warum?
Happi: Ich hatte das Gefühl, dass es vor Ort mehr Möglichkeiten gibt, die Krankheit Malaria besser zu verstehen. Außerdem wollte ich junge Afrikaner ausbilden, damit sie in Afrika dasselbe tun können wie ich.
taz: Daraus entstand das 2014 zusammen mit der Bioinformatikerin Pardis Sabeti gegründete African Centre of Excellence for Genomics of Infectious Diseases (Acegid).
Happi: Das Zentrum ist das Ergebnis einer Vision, die ich immer für Afrika hatte. Für mich hat es das Potenzial, in den nächsten 20 Jahren den ersten Nobelpreis in den Naturwissenschaften mit Forschung direkt aus Afrika hervorzubringen.
taz: Die Stärkung der Forschung vor Ort steht im Zeichen der Dekolonialisierung Afrikas. Sie kritisieren diese Sichtweise aber. Warum?
Happi: Wir können nicht die ganze Zeit verschütteter Milch nachtrauern. Ich bin dafür, nach vorne zu schauen. Wir müssen sehen, wie wir als globale Gemeinschaft zusammenkommen und dafür mit unseren Partnern im globalen Norden zusammenarbeiten, auch wenn wir in der Vergangenheit kolonisiert wurden. Aber wenn ich von Partnerschaft spreche, dann meine ich Menschen, die auf Augenhöhe mit uns zusammenarbeiten wollen. Und nicht mit der Haltung kommen, uns zu dominieren. Wir müssen uns gemeinsam für eine bessere Welt einsetzen.
taz: Das Acegid ist eines der wenigen exzellenten Forschungsinstitute in Afrika. Warum ist erstklassige Forschung zu Krankheiten vor Ort immer noch eine Seltenheit?
Happi: Es beginnt mit dem Vertrauen in die Fähigkeit, exzellente Forschung machen zu können. Das wurde Afrikanern lange abgesprochen. Dazu kommt ein Mangel an Ressourcen und Investitionen durch afrikanische Regierungen in ihre Forschungs- und Hochschuleinrichtungen. Die Covid-Pandemie hat jedoch zu einem Umdenken geführt. Die Menschen verstehen jetzt, dass die afrikanischen Länder, wenn es hart auf hart kommt, auf sich selbst angewiesen sind.
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taz: Heißt?
Happi: Ein Beispiel: Innovation ist sehr wichtig, aber was in Europa als Innovation gilt, kann für jemanden in Afrika bedeutungslos sein. Und umgekehrt. Um zu beurteilen, was innovativ und wirksam ist, müssen wir den Kontext betrachten. Das heißt, wir müssen in Afrika die Standards für Afrika definieren. Und ebenso wichtig: Wir müssen nicht forschen, um es den Menschen außerhalb Afrikas recht zu machen. Es ist unsere Aufgabe, die Gesundheitsversorgung vor Ort zu verbessern. Dadurch tragen wir indirekt auch zur globalen Gesundheitssicherheit bei.
taz: Wie wichtig lokale Forschung ist, haben Sie der Welt 2014 gezeigt. Damals brach in Westafrika die größte Ebola-Epidemie der Geschichte aus.
Happi: Als Ende 2013 der erste Fall in Guinea auftrat, waren mein Labor und ich sehr besorgt. Wir befürchteten, dass sich die Krankheit in Westafrika und schließlich in Afrika ausbreiten könnte. Eine schnelle Diagnose war wichtig, deshalb haben wir Wissenschaftler in Sierra Leone, Senegal und Nigeria ausgebildet. Das hat gut funktioniert, vor allem in Nigeria.
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taz: Holen Sie mich bitte kurz ab. Wie war das damals in Nigeria?
Happi: Am 20. Juli 2014 stieg ein Passagier am Flughafen Lagos aus einem Flugzeug aus Liberia aus. Er hatte Fieber, stolperte und brach noch am Flughafen zusammen. Er wurde in eines der besten Krankenhäuser des Landes gebracht, auf Malaria und weitere Fieberkrankheiten getestet, aber alle Tests waren negativ. Da der Patient aus Liberia kam und es dort zuvor einen Ebola-Ausbruch gegeben hatte, lag der Verdacht auf Ebola nahe. Ich erinnere mich, dass ich an jenem Abend um 20.40 Uhr einen Anruf erhielt. Ich sollte den Patienten auf Ebola testen. Zu diesem Zeitpunkt hatten mein Team und ich bereits Laborkapazitäten aufgebaut.
taz: Also sind Sie sofort los?
Happi: Ich bin noch in der Nacht ins Labor gefahren. Das war ein großes Risiko. Ich ging mit dem Wissen, dass ich mich infizieren könnte und vielleicht daran sterben würde. Denn ich würde mit einem Virus arbeiten, von dem ich nichts wusste, ohne über die Sicherheitsvorkehrungen zu verfügen, die für eine solche Arbeit notwendig sind. Ich war aber bereit, das Wagnis einzugehen. Lagos hat den verkehrsreichsten Flughafen Afrikas. Ebola hätte sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
taz: Ebola hat sich in Nigeria aber nicht wie ein Lauffeuer verbreitet. Warum?
Happi: Ich testete die Proben zusammen mit einem Assistenten. Am nächsten Morgen wussten wir, dass wir Ebola im Land haben. Als Erstes alarmierten wir die Gesundheitsbehörden. Dann testeten und isolierten wir alle Personen, die mit dem Patienten in Kontakt gekommen waren. Die Arbeit im Jahr 2014 war entscheidend, um zu zeigen, welchen Unterschied zeitnahe Tests vor Ort mit Ergebnissen innerhalb weniger Stunden machen können. So konnte Nigeria innerhalb von 93 Tagen mit nur 20 Fällen und 8 Toten eine schreckliche Krankheit wie Ebola besiegen.
taz: Abgesehen von den vielen verhinderten Todesfällen – was veränderte das schnelle Einschreiten in Nigeria außerdem?
Happi: Es hat sich das Narrativ verändert, dass wir auf Forscher aus etwa Deutschland oder den USA angewiesen sind. Bei manchen Wissenschaftlern hat unser Ansatz große Ängste ausgelöst. Sie waren es gewohnt, anzureisen, Proben mitzunehmen und bei sich zu untersuchen. Ich sage nicht, dass wir gar keine Hilfe brauchen. Internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften sind wichtig. Aber den Menschen vor Ort muss Verantwortung übertragen werden. 2014 haben die Menschen verstanden: Afrikaner können mit Epidemien umgehen.
taz: Das konnte man 2024 in Ruanda erneut beobachten.
Happi: Vergangenes Jahr brach dort das Marburg-Virus aus. Es ist ähnlich schlimm wie Ebola. Die ruandische Regierung hat die Initiative ergriffen und die Epidemie mit nur 15 Todesfällen beendet. Das ist die niedrigste Sterblichkeitsrate bei einem Marburg-Ausbruch.
taz: Gibt es Lehren aus der Ebola-Epidemie, die uns bei der Covid-19-Pandemie geholfen haben?
Happi: Wir nutzten die Genomsequenzierung, um die Übertragung und Verbreitung des Virus zu verstehen. Wir haben gefährliche Varianten identifiziert, die überwacht werden müssen, und zum ersten Mal Open-Source-Ansätze gefördert. Wir haben Schnelldiagnosetests etabliert, die direkt in die Kliniken kamen. Sie sehen: Die Rahmenbedingungen, die wir 2014 geschaffen haben, wurden zu den Rahmenbedingungen, die die Welt 2020 nutzen würde, um auf Covid-19 zu reagieren.
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