piwik no script img

Geschichtenhaus bald Geschichte

Das Projekt, in dem Langzeitarbeitslose historische Bre­me­r:in­nen mimen, gilt als Modell für gelungene Arbeitsmarktintegration. Nun droht das Aus, weil das Jobcenter die Fördermittel streicht

Auch Hunde bekommen eine Führung: Geschichtenerzähler Sven Halberstadt im Geschichtenhaus Foto: Ingo Wagner/dpa

Von Robert Matthies

Als lebendiges Museum versteht sich das Geschichtenhaus im St.-Jakobus-Packhaus im Bremer Stadtteil Schnoor – und es ist gleichzeitig ein Beispiel für gelungene Arbeitsmarktintegration. Seit 18 Jahren führen hier Langzeitarbeitslose, verkleidet als Bremer Persönlichkeiten wie der Böttchermeister, Heini Holtenbeen, die Fisch-Lucie oder die Giftmörderin Gesche Gottfried, durch die Geschichte der Stadt, vom Kaufmannskontor über den Marktplatz bis zum Schokoladenbrunnen. Nun droht dem Projekt das Aus.

Das Geschichtenhaus gilt in Bremen als ein Vorzeigeprojekt. Finanziert wird es überwiegend aus öffentlichen Mitteln der Stadt, des Bundes und des Europäischen Sozialfonds. Alle Dar­stel­le­r:in­nen im Geschichtenhaus sind bisher als sogenannte Arbeitsgelegenheiten (AGH) vom Jobcenter Bremen und vom Arbeitsressort gefördert worden. Im Geschichtenhaus werden ihnen unter professioneller Anleitung schauspielerische Fähigkeiten und historisches Wissen vermittelt. Aber nun streicht das Jobcenter Bremen die Förderung, weil die unmittelbare „Arbeitsmarktnähe“ fehle. So teilt es der Trägerverein des Hauses „Bras“ mit. Mit Arbeitsmarktnähe ist der unmittelbare Bezug der Tätigkeit mit einer anschließenden Tätigkeit in regulären Arbeitsmarkt gemeint.

Sollte keine Lösung für die Kürzungen bei den Fördermitteln gefunden werden, könnten die Türen des Museums ab Anfang Februar dauerhaft geschlossen bleiben, sagt die Betriebsleiterin des Geschichtenhauses, Sara Fruchtmann, zur taz. Eine Förderung über eine andere Stelle stehe aktuell nicht in Aussicht. „Im nächsten Jahr habe ich ein Drittel dessen zur Verfügung, was ich im Jahr zuvor hatte. Und das war schon nicht üppig“, sagt Fruchtmann. Bislang sei die Arbeitsmarktnähe für die Förderung nie ein Problem gewesen. Auf taz-Nachfrage, warum das nach 18 Jahren jetzt ein Problem ist, verweist das Bremer Jobcenter eine strategische Neuausrichtung von AGH infolge von Budgetkürzungen, weshalb langjährige bestehende Förderungen von geprüft worden seien.

Für Fruchtmann ist es unverständlich, dass „ein derart erfolgreiches und angesehenes Projekt“ nicht mehr gefördert wird. Es sei für die Beschäftigung von arbeitslosen Menschen „ein optimaler Ort“. Das hohe Besucheraufkommen im Geschichtenhaus erfordere eine professionelle Arbeitsweise, Kundenansprache und Serviceabläufe werden nicht nur eingeübt, sondern auch angewandt. Sprachkompetenz und Selbstvertrauen der Beschäftigten werden in besonderem Maße gestärkt, so Fruchtmann. All das sind Schlüsselqualifikationen für den Wiedereinstieg in den regulären Arbeitsmarkt.

Der Trägerverein Bras sieht sich insgesamt mit massiven Kürzungen konfrontiert. Von ehemals 540 geförderten Stellen sollen etwa 40 Prozent wegfallen, einzelne Standorte mussten bereits schließen. Die drohende Schließung des Geschichtenhauses ist also nur die Spitze des Eisbergs.

Die Mit­ar­bei­te­r:in­nen protestierten nun zweimal in der Woche mit einem Pfeifkonzert gegen die Kürzung, sagt Fruchtmann. Und sie sammelten Unterschriften, mehr als 300 haben sie trotz Regens in ein paar Tagen schon zusammenbekommen. Es gebe viel Unterstützung von Be­su­che­r:in­nen und Passant:innen. 5.000 Unterschriften will der Trägerverein Bras den Verantwortlichen übergeben, um auf die Situation des Hauses aufmerksam zu machen.

Fruchtmann sieht nun aber vor allem die Politik in der Pflicht zu prüfen, ob sie helfen kann. Zwar seien die Jobcenter-Mittel Bundesmittel, aber wenn eine Behörde entscheide, wie mit arbeitslosen Menschen umgegangen wird, gehe es auch grundsätzlich um die Frage, wie Stadt und Gesellschaft mit Menschen umgehen, die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten können, so Fruchtmann. Die Stadt Bremen müsse erkennen, dass sie mit dem Geschichtenhaus einen wichtigen touristischen Anziehungspunkt verlieren würde und das kulturelle Angebot im Schnoor-Viertel dann schrumpfe.

„Im nächsten Jahr habe ich ein Drittel dessen zur Verfügung, was ich im Jahr zuvor hatte. Und das war schon nicht üppig“

Sara Fruchtmann, Betriebsleitern des Geschichtenhauses

Offen ist derzeit, ob noch alternative Finanzierungsmodelle gefunden werden können. Laut Bremer Jobcenter sei noch in Verhandlung, wie es mit AGH im Bremer Geschichtenhaus weitergeht. Eine abschließende Entscheidung zur weiteren Zusammenarbeit mit dem Bremer Geschichtenhaus sei noch nicht getroffen. Ob und wie es weitergehe, hänge davon ab, ob Förderungen über andere Stellen erfolgen.

Wenn in den kommenden Wochen keine Lösung gefunden wird, könnte das Geschichtenhaus also schon bald ein Stück Bremer Geschichte sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen