Autor über Angst: „Es hilft nicht, zu erstarren“
Thorsten Glotzmann hat das Buch „Herr G. hat Angst“ geschrieben. Hier erzählt er, wie man Ängste besänftigt und was sie mit Freiheit zu tun haben.
taz: Herr Glotzmann, Sie haben ein Buch über Angst geschrieben. Vor was fürchten Sie sich aktuell am meisten?
Glotzmann: Ich trage im Alltag viele Versagens- und Verlustängste mit mir herum. Meine größte Angst aber betrifft unsere Zukunft: die Klimakrise, der Rechtsextremismus, jetzt auch noch Trump und all die bedrohlichen Szenarien, die in seiner zweiten Amtszeit Wirklichkeit werden könnten. Das sind echte Gefahren und begründete Ängste, die sich nicht so einfach auflösen lassen. Trotzdem gelingt es mir, mich nicht mehr so leicht davon aus der Bahn werfen zu lassen.
arbeitet als Journalist, Autor und Regisseur in Berlin. Sein neues Buch „Herr G. hat Angst“ ist 2024 im Berlin Verlag erschienen.
taz: Und wie stellen Sie das an?
Glotzmann: Indem ich einen Schritt zurücktrete und meine Angstgedanken neugierig erforsche wie Wolken am Himmel: Ah interessant, da ist Angst. Indem ich mir bewusst mache: So wie die Angst kommt, wird sie auch wieder gehen. Wie alles im Leben kommt und geht. Und: Gedanken sind nur Gedanken, ich muss nicht alles glauben, was ich denke. Damit sind die Probleme noch nicht gelöst, aber es hilft auch nicht, vor ihnen in Angst zu erstarren.
taz: Sondern?
Glotzmann: Ich glaube, es geht darum, die Angst als Warnsignal ernst zu nehmen, um sie dann in etwas Positives zu verwandeln. Denn meist liegt ein Wert in ihr: etwas, was mir wichtig ist und wofür ich mich einsetzen will: zum Beispiel unsere Umwelt und ein solidarisches Miteinander. So komme ich raus aus der Lähmung und rein ins Handeln.
taz: Um mit Ihrer Angst besser zurechtzukommen, haben Sie oder besser Ihr Alter Ego Herr G. eine Reise unternommen: „durch Philosophie, Wissenschaft und Spiritualität“. Was hat Herr G. von der Philosophie über seine Angst gelernt?
Glotzmann: Sehr viel! Und nicht nur Theoretisches. In der Antike haben philosophische Schulen ganz praktische Übungen vorgeschlagen, die zu einem angstbefreiten Leben führen sollen. Unter anderem den Kontrolltest, bei dem man sich bewusst macht, was in der eigenen Macht liegt und was nicht, um sich nicht von unnötigen Sorgen beunruhigen zu lassen. Ein Beispiel: Was ein zukünftiger US-Präsident möglicherweise tun wird, liegt vollkommen außerhalb meiner Kontrolle. Aber ich kann mich auf die Dinge in meinem Einflussbereich konzentrieren: mich zum Beispiel ehrenamtlich in einem Verein engagieren und an meiner mentalen Widerstandskraft arbeiten. Philosophen haben auch viel über den Tod nachgedacht. Oft heißt es ja, das sei die größte aller Ängste.
taz: Angst vor dem Tod ist ja eigentlich schon ein Klischee. Wer hat denn keine Angst vor dem Tod?
Glotzmann: Die Stoiker zum Beispiel. Zumindest empfehlen die, sich den Tod – den eigenen und den geliebter Menschen – immer wieder zu vergegenwärtigen. Sie nennen das die „Einübung des Todes“.
taz: Das klingt irgendwie makaber.
Glotzmann: Erst einmal schon. Aber führt man sich die Unvermeidlichkeit des Todes jeden Tag aufs Neue vor Augen, verliert er seine Bedrohlichkeit. Er ist dann nicht mehr das große Schreckgespenst, sondern der Hafen, in den man eines Tages einfährt, in dem kein Schmerz mehr ist – und auch keine Angst. Bei Montaigne, einem Philosophen aus der Renaissance, gibt es den schönen Satz, man brauche keine Angst vor dem Sterben zu haben, denn die Natur werde die Sache voll und ganz für uns übernehmen. Mich tröstet das.
taz: Ist das noch philosophisch oder ist Herr G. schon zur Spiritualität übergegangen?
Glotzmann: Ich sehe jedenfalls starke Parallelen zu buddhistischer Spiritualität, die letztlich auch nichts anderes ist als aufmerksame Selbstbeobachtung – mit dem Ziel, Geisteszustände wie eben Angst zu überwinden. Die neueren Ansätze der kognitiven Verhaltenstherapie, die bei Angststörungen empfohlen ist, beziehen übrigens auch buddhistische Praktiken mit ein.
taz: Welche wären das?
Glotzmann: Vor allem Achtsamkeitsübungen. Ich weiß, dass es Abwehrreflexe gibt, wenn Begriffe wie „Achtsamkeit“ oder „Mindfulness“ fallen. Aber letztlich sind das sehr hilfreiche Übungen, die die Aufmerksamkeit schulen. Ich gebe ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem Fluss, und immer wenn ein Angstgedanke auftaucht, legen Sie ihn auf ein Laubblatt und lassen ihn den Fluss hinunterfließen. Ziel dieser Übungen ist es, sich aus Grübelschleifen und Sorgenspiralen zu befreien, was alles passieren könnte.
taz: Und das gelingt Ihnen auch in Momenten akuter Panik?
Glotzmann: Nicht immer, aber ich finde es hilfreich, mir zu vergegenwärtigen, dass es sich dabei um eine Stressreaktion des Körpers handelt, und zu wissen, was da konkret im Körper vorgeht. Auch zu wissen, dass es vorübergeht. In akuten Panikmomenten hilft es mir aber auch, meine besten Freund:innen anzurufen oder Sport zu machen.
taz: Mittlerweile belegen Studien, dass regelmäßige Bewegung bei Depressionen hilft. Wie ist das bei Angstzuständen?
Glotzmann: Auch da gibt es Studien, die zeigen, dass Bewegung hilft. Bei mir ist es vor allem das Laufen. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass ich die Angst und den Stress aus meinem Körper herauslaufen kann. Außerdem muss ich mich beim Laufen auf meine Atmung konzentrieren, was zur Folge hat, dass mein Kopf klarer und meine Gedanken ruhiger werden.
taz: Um Unruhe oder Missstimmung zu kompensieren, wird ja auch gern zu Alkohol oder anderen Substanzen gegriffen. Wie steht denn Herr G. dazu?
Glotzmann: Alkohol und andere Substanzen bieten für Herrn G. keine Lösungen, sie machen alles nur noch schlimmer. Im Augenblick laufen zwar spannende Studien mit dem Wirkstoff Psilocybin, der in bestimmten Pilzen vorkommt und der in der Therapie bei Angststörungen und Depressionen helfen könnte, aber das ist für Herrn G. bisher keine Option.
taz: Also wird es erst mal kein Buch mit dem Titel „Herrn G.s Reise ins Unbewusste“ geben. Würden Sie denn sagen, dass Herrn G.s Droge die Musik ist?
Glotzmann: Auf jeden Fall. Sowohl beim Musikmachen als auch beim Musikhören hat Herr G. das Gefühl, dass sich Ängste beruhigen. Das kennen sicher viele: diesen Moment, in dem man sich selbst vergisst und ganz in der Musik aufgeht. In der Angst fühlen wir uns allein, in der Musik sind wir verbunden.
taz: Besonders eindrücklich in ihrem Buch fand ich den Zusammenhang zwischen Freiheit und Angst, wie ihn beispielsweise Søren Kierkegaard und auch Jean-Paul Sartre erkannt haben. Heißt das, je freier der Mensch ist, desto ängstlicher wird er?
Glotzmann: Gut möglich. Angst scheint tatsächlich eng mit unserer menschlichen Freiheit verknüpft zu sein: mit der Freiheit, eine Entscheidung zu treffen, die falsch sein kann. Mit der Möglichkeit, sich schuldig zu machen, andere zu enttäuschen und sich selbst zu verfehlen. Wenn wir nur einer vorherbestimmten Route folgen würden und nicht die Fantasie hätten, uns in eine offene Zukunft hinein zu entwerfen, wäre da nicht diese monströse Angst, die alle möglichen und unmöglichen Zukunftsszenarien durchspielt. Ich denke, deshalb ist sie auch so eng mit dem Menschsein verwachsen, wir werden sie nie ganz los. Umso wichtiger ist es, dass wir lernen, gut mit ihr umzugehen und sie zu besänftigen.
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