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Proteste in GriechenlandGriechen streiken für Leben in Würde

Für viele Protestierende reicht das Einkommen kaum zum Überleben. Das soll ein Generalstreik ändern.

Saisonfeuerwehrleute fordern höhere Löhne: Generalstreik in Athen am 20.11.2024 Foto: Thanassis Stavrakis/ap

Athen taz | Ein 24-stündiger Generalstreik hat am Mittwoch das öffentliche Leben in Griechenland weitläufig zum Erliegen gebracht. Dicht blieben Ämter, Behörden sowie Schulen. Krankenhäuser boten bloß einen Notdienst an, mit Haltetauen wurden die Passagier- und Autofähren an den Pollern im Kai festgemacht. Metro, Busse und Bahnen streikten in den Stoßzeiten und fuhren nur, um die Menschen zu den Demos zu bringen.

Zur Arbeitsniederlegung hatten die Dachgewerkschaft der Privatangestellten und der Beamten sowie zahlreiche Berufsverbände aufgerufen. Während Generalstreiks in den Krisenjahren in den Zehnerjahren sehr häufig stattfanden, flauten sie seit der Pandemie ab. An den Protestkundgebungen nahmen am Mittwochmittag in Athen, Thessaloniki und Patras wieder Zehntausende teil.

In Sprechchören und auf Transparenten forderten sie sofortige reale Lohnsteigerungen, die Ausweitung der Tarifverträge – sie decken nur 25 Prozent der Angestellten im Privatsektor ab –, einen Steuerfreibetrag für Einkommen bis 12.000 Euro sowie die Besetzung Tausender vakanter Stellen in Krankenhäusern und Schulen. „Um in Würde zu leben“, so das Motto der Beamtengewerkschaft.

Das wird zu Füßen der Akropolis immer schwieriger. Besonders seit dem Beginn des rigorosen Sparkurses in Athen im Frühjahr 2010, den die Regierungen bis heute fortsetzen. Die Griechen leiden seit der Beinahestaatspleite auf Geheiß der öffentlichen Gläubiger EU, EZB und IWF unter den nominal gefallenen Löhnen und Gehältern. Das Konzept: Billige Arbeit soll Griechenland wettbewerbsfähiger machen.

Das Einkommen schrumpft

Das heißt konkret: Betrug 2010 das Jahresgehalt für einen Vollzeitjob im Schnitt 20.722 Euro brutto, belief es sich 2023 auf 17.013 Euro brutto – ein Minus von 3.709 Euro. Hellas ist im EU-Vergleich auf den drittletzten Platz nur noch vor Ungarn (16.895 Euro) sowie Schlusslicht Bulgarien (13.503 Euro) abgerutscht, die indes gewaltig aufgeholt haben. In Hellas fiel das Einkommen – das gibt es in der EU sonst nirgendwo.

Dass die hiesigen Löhne und Gehälter seit 2020 brutto um kumuliert rund 14 Prozent gestiegen sind, reicht bei Weitem nicht aus. Denn die Steuermehrbelastung ist zugleich angewachsen – wegen kalter Progression. Wer einen Vollzeitjob hatte, hatte 2023 nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben im Schnitt 1.027 Euro netto im Monat in der Tasche. Ein Viertel der Angestellten hat Teilzeitjobs. Sie müssen sich mit 425 Euro netto begnügen.

Damit kommt man in Griechenland kaum über die Runden. Denn die hiesige Inflation beläuft sich seit 2020 auf kumuliert knapp 20 Prozent. Die Lebensmittel verteuerten sich seither um 32 Prozent, Wohnen ist fast 25 Prozent teurer. Unterm Strich hat dies zu einem massiven Reallohnverlust geführt.

Griechenlands konservativer Premier Kyriakos Mitsotakis prahlt allenthalben mit dem griechischen Wirtschaftswachstum von rund zwei Prozent. Das Versprechen, wonach bis 2027 das hiesige Durchschnittsgehalt auf 1.500 Euro pro Monat steigen werde, nimmt ihm am Peloponnes derweil kaum einer ab.

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5 Kommentare

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  • Danke für diese deutlichen Zahlen!



    Auch hier in der kommune wurden ja häufig Stimmen laut, die das griechische Wirtschaftswachstum, besonders gegenüber der Flaute bei uns, lobten.



    Es scheint so, als ob die 2% dann doch nicht so aussagekräftig wären.



    Ich wünsche den griechischen DemonstrantInnen Erfolg!



    Ich wünsche den Menschen, die die Wiege der Demokratie beheimaten, ein angemessenes Auskommen in unserem System.



    Es sollte europäische Aufgabe sein, die Menschen dieses Landes zu unterstützen und Ländern, die sich in Europa von der Demokratie verabschieden , die Unterstützung zu entziehen.

  • Mein Problem bei Griechenland ist immer wieder, dass man nicht weiß, wie die Zahlen zu bewerten sind. Vor der Beinahe-Staatspleite konnte man sehr viel auf die nominalen Löhne aufschlagen, weil sehr viel schwarz kassiert wurde. Mit dem Druck von außen wurde zwar dafür gesorgt, dass die Pflichten zur Erfassung von Zahlungen erhöht wurden, aber dennoch soll nach mehreren Medienberichten die Schattenwirtschaft weiterhin dort sehr verbreitet sein.

    Dadurch sind diejenigen wirklich arm, die keine "Nebeneinnahmen" haben, aber viele sind eben nur auf dem Papier arm.

  • Die Beinahestaatspleite wurde von Griechenland selbst herbeigeführt durch Misswirtschaft, Korruption und die verbreitete Steuerhinterziehung. Nach der Euroeinführung haben viele geglaubt, dass man leistungslos gut leben könne. Sehr frühe Renteneintritte waren die Regel. Nur durch externe Geldgeber konnte der Staatsbankrott verhindert werden. Dass es nicht so weitergehen kann wie vorher, sollte selbstverständlich sein.

    • @Odradek:

      Griechenland ist nach wie vor ein gutes Beispiel, was mit einem Land passiet, das Konsum durch Schulden finanziert hat. Irgendwann zahlt das irgendjemand dann doch zurück.

    • @Odradek:

      "dass man leistungslos gut leben könne" denkt deutsche Leitkultur doch auch, somit steht uns entsprechend ähnliche Entwicklung noch bevor.