: „Es ist nicht die Zeit für Schulterzucken“
Nach Trumps Wahlsieg: Der Musikwissenschaftler David Grubbs über die Heuchelei der Libertären, die Rolle Elon Musks im Wahlkampf und den Angriff der Evangelikalen aufs Bildungssystem
Interview Julian Weber
taz: Wenn führende US-Neurowissenschaftler:Innen dereinst das Gehirn von Donald Trump untersuchen, was werden sie herausfinden?
David Grubbs: Kurz nach der Wahl machte ein Zitat von Quincy Jones die Runde. Er kannte Trump persönlich und hatte ihn als extrem narzisstisch veranlagten Egoisten in unguter Erinnerung. Jones bescheinigte Trump beschränkte geistige Fähigkeiten.
taz: In der US-Geschichte suchten jene, die ein zweites Mal ins Oval Office kamen, stets den Ausgleich. Trump dagegen setzt auf Hardliner im Kabinett und klare Kante. Ist die US-Gesellschaft besser auf ihn vorbereitet als 2016?
Grubbs: Das glaube ich nicht. 2016 verfielen viele Bürger:Innen, so auch ich, in Schockstarre. Diesmal ist mein ganzer Körper von nacktem Grauen erfasst. Überrascht war ich höchstens, wie deutlich Trumps Sieg ausfiel. Was die Stimmverteilung angeht, ist die USA weiterhin polarisiert, das spiegelt sich nur nicht im Wahlmännersystem wider, weil es ein Mehrheitswahlrecht ist. Dass alle sieben Swingstates an Trump fielen, war nicht zu erwarten, genauso wenig, dass er Gewinne bei Jungwähler:Innen erzielt, bei der Latinxcommunity und breiten Bevölkerungsschichten in Großstädten.
taz: Inweit ist die Öffentlichkeit im Bilde über die Politik, die nun droht?
Grubbs: Mir fallen da nur zwei Jungmänner ein, die der TV-Sender CNN nach Stimmabgabe vor dem Wahllokal befragt hatte. Beide deckungsgleich hip tätowiert. Beide bekundeten im Wortlaut, sie hätten Trump die Stimme wegen der hohen Inflation gegeben. Desinformation ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Soweit ich weiß, hat Trump noch gar keine Maßnahmen gegen Inflation verkündet. Einzig zur Einführung von Strafzöllen auf Importwaren hat er sich bekannt. Strafzölle werden Preise auf Importe und die Lebenshaltungskosten eher noch erhöhen. Kurz vor der Wahl wurde ein Offener Brief von 300 Ökonomen veröffentlicht, in dem sie ausdrücklich vor den Folgen der Einführung von Strafzöllen warnen.
taz: Dass Trump die Klimakrise nicht ernst nimmt, wissen wir. Dringen die Fakten im Alltagsleben durch?
Grubbs: Wenn, dann taucht das Thema eher unsystematisch in den Nachrichten auf: Wieder fegt ein Hurrikan übers Land. In Trumps zweiter Amtszeit wird es schwieriger sein, an verlässliche Informationen über Wetterphänomene zu kommen. Klimaforschung ist stark politisiert. Dadurch wird objektive Berichterstattung schwierig, denn die Medienlandschaft ist fragmentiert. Umso wichtiger ist es, dass Bürger:Innen aufgeklärt werden, um sich besser wappnen zu können.
taz: Mir ist ein Zitat Ihres Musikerkollegen Chris Brokaw in Erinnerung geblieben. Am Wahlsieg von Trump erkenne er auch die Geografie, liberale Gegenden an den Küsten und in einigen Großstädten und Collegetowns. Der Rest Fly-Over-Country, wo es auch früher nur wenige Außenseiter gab.
Grubbs: Es wäre ein Fehler, weite Landesteile komplett abzuschreiben. Wir kommen in dieser fatalen Situation nur weiter mit konstruktivem Engagement. Ich bin in Kentucky aufgewachsen, wo es seit Langem eine absolute republikanische Mehrheit in der Landesregierung gibt. Wir sollten endlich anerkennen, was mein Freund, der public intellectual Raúl Ramos, nach der Wahl postuliert hat: „Welcome to Texas!“ Ramos unterrichtet in Houston mexikanisch-amerikanische Geschichte, Grenzwissenschaften, und ist gefragter Experte für Einwanderungsfragen. Seit Längerem hat er darauf hingewiesen, dass der konservative Wandel von einzelnen Bundesstaaten im Süden aus quer über die ganze Nation wandert.
taz: Wird Bildung jetzt bevorzugter Austragungsort für Kulturkämpfe?
Grubbs: Wie Sie wissen, unterrichte ich Musikwissenschaft an der City University New York (CUNY), einer staatlichen Bildungsinstitution. CUNY ist mit ihren 400.000 Studierenden eine Keimzelle von sozialem Wandel. Öffentlich geförderte Unis und Colleges sehen sich Gegenwind ausgesetzt.
taz: Warum?
Grubbs: Es gibt eine längere Vorgeschichte beim Thema Bildungspolitik. So wurden in Florida, Texas und einigen Bundesstaaten im Süden bereits Gesetze eingeführt, die finanzielle Anreize für mittellose Eltern schaffen, damit diese ihre Kinder bei Privatschulen anmelden, vor allem bei Religionsschulen. Ein Einfallstor von Evangelikalen, das zu Lasten der Budgets von öffentlichen Schulen geht. Ich habe ein Auge für Neologismen der extremen Rechten entwickelt. Sie sprechen bei öffentlichen Schulen nur von „Regierungsschulen“. George Orwell lässt grüßen.
taz: War diese Wahl wirklich eine Abstimmung zwischen dem libertären Donald Trump und der freiheitsliebenden Kamala Harris, wie von manchen prognostiziert?
Grubbs: Über Trump und seinem schwerreichen Adlatus Elon Musk schwebt, bei aller libertärer Rhetorik, eine dicke Wolke Heuchelei. Allein Musk, der bei X zig User:Innen-Accounts wieder hergestellt hat, von Leuten, die vorher gesperrt waren. Dann wurde „cis-gender“ zum Flag-Begriff. Angeblich findet keine Zensur bei X statt, bis sie selbst damit begonnen haben. Das Gleiche werden wir sehen, sobald Trump die Amtsgeschäfte übernimmt. Zu Kamala Harris und ihrer Freiheitsliebe Folgendes: Für die Kürze ihres Wahlkampfs hat sie sich achtbar geschlagen, die Kampagne war gut. Es sollte nicht unterschätzt werden, wie sehr Mysogynie und Rassismus Teil des republikanischen Wahlkampfs waren und nun das grauenhafte Bild der USA in der Welt prägen werden. Eine Präsidentin als Staatsoberhaupt bleibt somit undenkbar. Sobald Harris die Wahlkampfbühne betrat, bildete sie als schwarze Politikerin maximalen Kontrast zu Trump. Hier die ehemalige Staatsanwältin, dort der altbackene frauenfeindliche Polterer. Die ständigen rassistische Anfeindungen ignorierte sie einfach. Indem sie drüber stand, verwickelte sie die Republikaner weiter in Widersprüche.
David Grubbs, 57, lebt und arbeitet als Musikwissenschaftler in New York. Seit den 1980ern spielte er in Bands wie Bastro, Gastr del Sol, Red Krayola und vielen anderen.
Momentan ist er als Stipendiat an der American Academy Berlin. Dort hält er am 18. 11. einen Vortrag über „Sound in Multidisciplinary Collaboration“. Es gibt einen Livestream.
taz: Warum wird Elon Musik nicht als der Räuberbaron charakterisiert, der er ist?
Grubbs: Weil er die öffentliche Aufmerksamkeit beherrscht, so wie Trump die Medien um sich kreisen lässt. Das Klischee besagt, Trump gewinnt immer die Schlagzeilen, so bleibt jenseits vom täglichen Tabubruch kein Platz mehr für rationale Gedanken. Musk weidet im selben Jagdgrund. Vor Kurzem hat er eine Lotterie gestartet, mit Millionengewinn für jene, die eine Petition zum Recht aufs Waffentragen unterschreiben – wie im zweiten Verfassungszusatz garantiert. Musk inszeniert sich als Genie, das sich mit einem seltsamen Alten verbündet hat. Durch seine Erfolgsstory hat er Trump für unpolitische junge Leute attraktiv erscheinen lassen.
taz: Bro-Culture und Manosphere sind aufgeblüht. Reaktionäre Kreise haben moderne Medientechniken für sich zu nutzen gewusst. Auf der anderen Seite gab es keine Volksfront der Progressiven, oder?
Grubbs: Nein. Die Rolle von neuen Medien wurde unterschätzt, auch wenn alle Menschen links des Mainstreams mit einer Wiederwahl Trumps rechnen mussten. Es ist alles viel zu vereinzelt.
taz: Vielleicht noch schwerer wiegt, dass nun Resignation einkehrt.
Grubbs: Es ist jetzt absolut die falsche Zeit, um das Ergebnis schulterzuckend hinzunehmen.
taz: Sie forschen über das Kollektiv in der Kunst. Nun ist ein Kollektiv zwar keine Volksfront, dennoch ist es ein Gegenentwurf zum Solisten.
Grubbs: Was die Musik angeht, Klangerzeugung eignet sich hervorragend für Ko-Autor:Innenschaft, es geht dabei nicht um strikte Arbeitstrennung, sondern um Zusammenarbeit. Dabei fällt leicht, sich von anderen Sounds ermutigen zu lassen und trotzdem bei der Kollektivarbeit bei den Partner:Innen zu intervenieren. Durch kritische Wertschätzung kann besondere Dynamik entstehen.
taz: Auch Kamala Harris sprach davon, dass die Leute sich besser organisieren müssen.
Grubbs: Die Demokratie ist durch Trump ernsthaft in Gefahr. Dafür stehen die Leute nicht erst jetzt auf. Ersichtlich ist das an den Protesten gegen das Abtreibungsverbot oder gegen Genderbeschränkungen. Auch Einschnitte bei der Bildung haben große Proteste hervorgerufen. Trumps zweite Amtszeit muss alle links vom Mainstream einen.
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