Frieden in der Ukraine: Faule Deals
Donald Trump behauptet, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine innerhalb kürzester Zeit beenden zu können. Ist das realistisch?
D er Wahlsieg von Donald Trump löste eine Welle von pessimistischen Prognosen in Kyiw und in den europäischen Hauptstädten aus. Aber auch in Moskau scheint keine große Freude zu herrschen – da sieht man Trump als ein unvorhersehbares Risiko für die Kriegsziele des Regimes Putin. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand genau sagen, wie Trump sein Versprechen erfüllen will, den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. Möglicherweise weiß es Trump selbst nicht.
Eine Möglichkeit, auf die immer wieder hingewiesen wird und die in die Rhetorik von Trump ganz gut passen würde, wäre ein „Big Deal“: das Einfrieren des Konflikts entlang der aktuellen Frontlinien. Einige Mitglieder von Trumps Team haben das bereits vorgeschlagen. Die Erwartung wäre, dass die Ukraine auf die militärische Befreiung der besetzten Territorien im Osten verzichten würde. Im Gegenzug würde Russland das Ziel aufgeben, durch militärische Gewalt ein neues moskautreues Regime zu erzwingen. Um diesen Deal umzusetzen, würde Trump der Ukraine damit drohen, seine militärische und wirtschaftliche Unterstützung zu reduzieren. Russland wiederum könnten die USA damit unter Druck setzen, die Unterstützung der Ukraine massiv auszubauen – und sogar mit noch radikaleren Szenarien wie der direkten Einmischung der USA und der Nato in den Krieg. Falls das der Plan Trumps wäre, gäbe es vier Szenarien.
Beide Seiten akzeptieren den Deal
Auf den ersten Blick scheint es ein bitteres Ergebnis für die Ukraine zu sein – sie muss sehr lange Zeit darauf verzichten, dass ihre territoriale Integrität wiederhergestellt wird. Und sie wird dauerhaft mit der Gefahr aus dem Osten leben müssen, denn Putins Regime und seine militärischen Kapazitäten bleiben intakt. Wenn man aber auf den aktuellen Kriegsverlauf blickt, scheint das Szenario aus ukrainischer Perspektive vielleicht doch nicht so schlecht zu sein.
Denn anders als viele es ursprünglich erwartet hatten, ist Putins Regime in Russland trotz 1.000 Tagen Angriffskrieg stabil. Was wichtiger ist: Auch die russische Wirtschaft bleibt stabil. Das Regime ist deswegen in der Lage, die Militärproduktion sicherzustellen und für ausreichend Soldaten zu sorgen. Putin braucht nicht unbedingt eine Mobilmachung, denn neue Rekruten werden durch großzügige finanzielle Anreize angelockt (was wiederum nur geht, weil die Wirtschaft läuft). Der Westen kann die Ukraine zwar mit militärischer Ausrüstung und Geld unterstützen, aber das Problem knapper personeller Ressourcen kann er nicht lösen.
Von Anfang an bestanden keine Zweifel, dass der Krieg irgendwann mit einem Verhandlungsfrieden abgeschlossen wird. Die Frage war immer nur, ob gerade jetzt schon der richtige Moment dafür ist, oder ob man die Ukraine durch weitere Unterstützung in eine bessere Verhandlungsposition bringen kann. Falls man aber weder erwartet, dass ihre Lage besser wird, noch dass Putins Regime (oder die Wirtschaft) kollabieren, ergibt es keinen Sinn, darauf zu hoffen, dass die Bedingungen des Friedens in der Zukunft besser werden.
Das gilt umso mehr, weil es gerade für die Ukraine Chancen eröffnet, den Krieg einzufrieren. Ob die Ukraine der Nato beitreten wird, ist unklar. Aber in jedem Fall würde der Westen dem Land dabei helfen, sein militärisches und wirtschaftliches Potenzial wieder aufzubauen. Trump wäre dabei wohl besonders aktiv, um lukrative Geschäfte für US-Konzerne zu sichern. Man würde die Grenze zu den besetzten Territorien militärisch gegen eine eventuelle neue Aggression sichern. Die Geflüchteten kämen zurück, und man könnte die Energieinfrastruktur aufbauen. Freilich könnte auch Russland die Zeit nutzen, um sich militärisch zu stärken, aber gerade jetzt sieht es danach aus, dass die Vorteile einer Atempause für die Ukraine größer werden. Falls Trump dazu noch die Ölförderung in den USA stärken würde (was er beabsichtigt) und die Rohstoffpreise weltweit fallen, würde das die russische Wirtschaft hart treffen. Für Putin könnte eine solche Entwicklung gefährlich werden.
Russland nimmt den Deal nicht an
Aus den genannten Gründen erscheint es plausibel, dass Putin an einem Deal gerade jetzt eigentlich kein Interesse hat. Aus seiner Sicht kann es attraktiver sein, weiteren Druck auf die Ukraine auszuüben, um irgendwann doch sein strategisches Ziel (ein ihm untergeordnetes Regime in Kyiw) zu erreichen. Aktuell kann er den Krieg weiterführen und sich verhandlungsbereit präsentieren, mit dem Verweis, dass vom Westen keine Angebote kommen. Falls Trump so ein Angebot machen würde, stünde Putin jedoch vor großen Problemen.
Erstens würden die USA die militärische Unterstützung der Ukraine massiv erhöhen, wenn Putin das Angebot ablehnt. Trump hat den alleinigen Vorteil unter allen westlichen Staatsoberhäuptern, dass er glaubwürdig unvorhersehbar ist – der Kreml müsste also sogar die radikalsten Drohungen Trumps ernst nehmen. Diesen Trumpf hat Trump bereits während seiner ersten Präsidentschaft sehr erfolgreich gegen Nordkorea ausgespielt. Zweitens wäre eine Weigerung Putins, auf einen Deal einzugehen, sehr wahrscheinlich ein enormes Problem in den Augen des Globalen Südens und eventuell auch Chinas. Und drittens würde die Entscheidung, das Angebot nicht anzunehmen, für die russischen Eliten und die Bevölkerung bedeuten, dass ein dauerhafter Krieg die einzige Option bleibt. Denn außer Trump scheint heute niemand im Westen bereit zu sein, Angebote an Putin zu machen, und man würde die allerletzte Chance ablehnen, einen Exit zu finden. Putin mag zu jahrelangem Krieg bereit sein – ob das auch auf die Eliten zutrifft, ist unklar.
Die Ukraine nimmt den Deal nicht an
Auch dieses Szenario ist nicht ganz ausgeschlossen. Für Selenskyj wäre ein Deal politisch gefährlich. Er hat seinem Volk versprochen, den russischen Angriff ohne Zugeständnisse an den Aggressor abzuwehren. Unmittelbar nach einem Waffenstillstand würden Präsidentschaftswahlen stattfinden, weil das Kriegsrecht dann nicht mehr gilt. Für Selenskyi könnte ein solches Szenario auch deshalb unvorteilhaft sein, weil es in der ukrainischen Elite und Bevölkerung noch immer Stimmen gibt, die auch ohne amerikanische Unterstützung weiterkämpfen wollen. Doch auch wenn die Ukraine den Kampf ohne die USA fortsetzen würde, bleibt unklar, ob sie dabei noch Erfolgschancen hätte. Die europäischen Verbündeten müssten dann überlegen, ob sie die ausfallende amerikanische Hilfe ersetzen können – was zumindest schwierig zu sein scheint.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Trump schlägt keinen Deal vor
Auch dieses Szenario darf man nicht ausschließen. Es kann sein, dass Trumps Berater*innen – oder die der Ukraine –ihn dazu bringen, Russland gar keine Angebote zu unterbreiten. Zum Beispiel könnte Trump die Möglichkeit attraktiv finden, einen privilegierten Zugang zu ukrainischen Ressourcen zu erhalten. Oder es kann sein, dass sich Trumps Aufmerksamkeit auf andere Themen konzentriert und er gar keine Zeit findet, sich um die Ukraine zu kümmern.
Diese vier Szenarien sind natürlich extrem vereinfacht. Auch wenn der Deal kommt, sind seine Bedingungen völlig unklar. Und keines der Szenarien bedeutet, dass es zu dauerhafter Stabilität im östlichen Europa kommt. Sie sind alle lediglich als Vorbereitungsphase auf einen sehr langen neuen Kalten Krieg zu sehen, mit dem die EU und Deutschland zu leben haben werden.
Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland an der FU Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was