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Digitalpakt 2.0 vor dem AusDie Schulen hoffen auf Özdemir

Mit dem Ampel-Aus steht der Digitalpakt 2.0 infrage und damit eine bessere IT-Ausstattung an Schulen. Eine neue Studie zeigt: Der Bedarf ist groß.

Plötzlich auch Bildungsminister: Ob sich Cem Özdemir (Grüne) noch in die Umsetzung des Digitalpakts reinkniet, ist fraglich Foto: Thomas Trutschel/imago

Bettina Stark-Watzinger ist, wie derzeit viele zurückgetretene oder verbliebene Ampel-­Minister:innen, im Wahlkampfmodus. „Der Mittelstand ächzt, Arbeitsplätze gehen verloren und internationale Konzerne halten ihre Investitionen zurück. Jetzt braucht es eine echte #Wirtschaftswende“, schrieb die ehemalige Bundesbildungsministerin Anfang der Woche beim Kurznachrichtendienst X.

Noch am Tag ihrer Entlassung aus dem Kabinett vergangenen Donnerstag bescheinigte sie ihrer Partei „staatspolitische Verantwortung“ – ungeachtet der Tatsache, dass die noch ausstehenden Regierungsvorhaben sowie der Haushalt für das kommende Jahr ohne die FDP-Stimmen im Bundestag zum Scheitern verurteilt sind.

Das gilt vor allem für zwei zentrale Bildungsversprechen der Ampel: erstens die in der Wissenschaft sehnlich erwartete Reform für bessere Arbeitsbedingungen an Hochschulen, die seit Oktober im parlamentarischen Verfahren hängt und nun endgültig vom Tisch sein dürfte. Daran wird auch der Bildungsausschuss im Bundestag nichts ändern können, der sich am Mittwoch noch mit der geplanten Gesetzesnovelle befasst. Und zweitens: die Einigung mit den Ländern über einen Digitalpakt 2.0.

Özdemir sendet positive Signale

Ob und inwieweit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der das Bildungsministerin bis zu den Neuwahlen kommissarisch übernimmt, sich hier noch reinkniet, ist fraglich. Am Dienstag kündigte Özdemir zwar an, dass er die Fortführung des Digitalpakts für „richtig“ halte. Er werde sich dafür starkmachen, die Verhandlungen mit den Ländern über den Digitalpakt 2.0 „zeitnah erfolgreich“ abzuschließen. Das aber hat auch Stark-Watzinger versprochen. Eine Bund-Länder-Einigung, die schon mit Ende des ersten Digitalpakts im Mai hätte stehen sollen, kam bislang dennoch nicht zustande.

Was die Aufgabe für Özdemir nicht leichter macht: Seine Vorgängerin hatte das Ministerium rigoros auf Parteilinie gebürstet. Nach Recherchen des Spiegel hat Stark-Watzinger während ihrer Amtszeit mindestens 22 Posten in der Führungsebene mit FDP-Gefolgsleuten besetzt – und dafür erfahrene Mit­ar­bei­te­r:in­nen in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Ein Teil ist jetzt mit Stark-Watzinger gegangen, wie die beiden parlamentarischen Staatssekretäre Jens Brandenburg und Mario Brandenburg. Ob Özdemir die Posten neu besetzt oder ob seine Staatssekretäre aus dem Landwirtschaftsministerium die Aufgabe mit übernehmen, ist noch unklar.

Klar ist jedenfalls: Aktuell ist das Bildungsministerium nur bedingt handlungsfähig. Ein Indiz dafür lieferte vergangene Woche Staatssekretär Roland Philippi, ein FDP-Vertrauter aus Stark-Watzingers Heimat Hessen. So blieb Philippi am Tag nach dem Ampel-Aus der Bund-Länder-Verhandlungsgruppe zum Digitalpakt 2.0 fern, das Ministerium begründet das gegenüber der taz mit „kurzfristig anberaumte[n] Termine[n]“.

Einfacher ohne die FDP?

Bemerkenswert ist in dieser Situation die Reaktion der Länder. Sie geben teils unverhohlen zu, dass sie nun, da Stark-Watzinger weg ist, bessere Chancen für den Digitalpakt 2.0 sehen. So spricht etwa die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot (SPD), auf Anfrage von einem „Chancenfenster, mit der veränderten Bundesregierung zu einem guten Ergebnis zu kommen“.

Bisher scheiterte eine Einigung vor allem an zwei Punkten: Stark-Watzinger beharrte auf einer 50-prozentigen Kofinanzierung durch die Länder und forderte mehr Verbindlichkeit in der Lehrkräftefortbildung. Die Länder lehnen dies ab. Auch weil der Bund für den ersten Digitalpakt noch 90 Prozent der Mittel bereitstellte, insgesamt 6,5 Milliarden Euro für fünf Jahre. Stark-Watzinger hingegen hatte 2,5 Milliarden Euro für den Zeitraum 2025 bis 2030 in Aussicht gestellt – und das nur, wenn die Länder noch mal so viel dazugeben.

Wie ein Kompromiss aussehen könnte, ist unklar. Eine Möglichkeit wäre, dass sich die Länder ihre Investitionen in digitalen Unterricht anrechnen lassen können. Auf einen ähnlichen Kompromiss haben sich Bund und Länder bereits beim „Startchancen-Programm“, das die Chancengleichheit für benachteiligte Schü­le­r:in­nen steigern soll, eingelassen. Ob Özdemir dazu oder zu anderen Zugeständnissen bereit ist, hat er noch nicht erklärt.

Doch selbst wenn sich Bund und Länder noch vor den Neuwahlen einigen und eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung unterzeichnen, wird wohl erst einmal kein neues Geld fließen. Dafür nämlich muss der Bundestag erst die entsprechenden Haushaltsmittel freigeben – und das wird wohl erst nach den Neuwahlen möglich sein. Gut möglich also, dass der Digitalpakt 2.0 komplett neu aufgerollt wird.

Kommunen können nicht planen

In einem gemeinsamen Appell an Bund und Länder forderten Vertreter von Kommunen, Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften sowie der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche bitkom am Montag deshalb ein „breites politisches Bündnis über die Parteigrenzen hinweg“. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, betonte, dass die Schulträger ohne den Digitalpakt 2.0 keine digitalen Endgeräte erneuern oder IT-Support bezahlen könnten.

Was das für Folgen hat, kann Andreas Breiter von der Universität Bremen beschreiben. Der Professor für Informations- und Wissensmanagement in der Bildung berät zusammen mit seinem Team bundesweit Kommunen bei der Frage, wie Schulträger mit welchem Aufwand die IT-Infrastruktur an Schulen aufbauen und warten können. Er beobachtet seit Jahren, wie unterschiedlich die Kommunen ausgestattet sind.

„Die ungleiche Entwicklung, die vom Reichtum der Kommune abhängt, ist dramatisch“, sagt Breiter der taz. Aus seiner Sicht wird sich daran nichts ändern, wenn Bund und Länder nicht mehr Geld in die Hand nehmen als bisher. „Wir gehen davon aus, dass die Schulträger 500 Euro pro Schüler im Jahr brauchen, um eine gute digitale Infrastruktur aufzubauen und zu erhalten – also etwa das Fünffache von dem, was jetzt für den Digitalpakt 2.0 im Raum steht“.

Wie dringend der Handlungsbedarf ist, zeigt auch die am Dienstag vorgestellte internationale Schulleistungsstudie ICILS (International Computer and Information Literacy Study). Demnach hat ein Großteil der deutschen Schulen trotz aller Anstrengungen in den vergangenen Jahren bei der IT-Ausstattung und dem Einsatz von digitalen Medien im Unterricht weiter teils erheblichen Nachholbedarf. Es gebe zwar im Vergleich zur letzten Studie vor fünf Jahren deutliche Fortschritte, sagte die Leiterin des nationalen ICILS-Forschungszentrums, Birgit Eickelmann, im Gespräch mit der taz. Manche Zahlen seien jedoch „alarmierend“.

Auf ein Gerät kommen vier Schü­le­r:in­nen

So gab je­de:r dritte Acht­kläss­le­r:in an, über kein WLAN an der Schule zu verfügen. Auf ein digitales Endgerät kommen im Schnitt vier Schüler:innen. Und zwei Drittel der Schulen gaben zum Zeitpunkt der Befragung vor gut einem Jahr an, dass ihre IT-Ausstattung ohne den Digitalpakt 2.0 nicht sichergestellt sei. Eickelmann vermutet, dass die Quote mittlerweile noch deutlich höher liegen dürfte.

Ein zentrales Problem sieht die Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn in dem „digital divide“ – also der Tatsache, dass Schü­le­r:in­nen von nichtgymnasialen Schulformen bei den getesteten digitalen Kompetenzen deutlich schlechter abschneiden als Gymnasiast:innen. „Wir sehen, dass rund die Hälfte der Acht­kläss­le­r:in­nen an diesen Schulformen, die wir ja für Digital Natives halten, im Grunde nur klicken und wischen können.“ Eine Erklärung dafür sieht Eickelmann auch in der strukturellen Benachteiligung von nichtgymnasialen Schulen. Dort sei die Personaldecke häufig dünner und fachfremder Unterricht üblicher als an Gymnasien.

Den Handlungsbedarf sehen auch die früheren Ampel-Koalitionäre. Allerdings ziehen sie unterschiedliche Schlüsse aus den ICILS-Ergebnissen: Die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Ria Schröder, sieht die Länder in der Pflicht, sich zu verpflichtenden Lehrerfortbildungen zu bekennen. Fachpolitikerinnen der Grünen machen Stark-Watzinger für die Versäumnisse verantwortlich. Die wiederum nimmt ihren Nachfolger in die Pflicht: „Der #Digitalpakt 2.0 muss zum 1. Januar an den Start gehen.“ Die Schü­le­r:in­nen verdienten eine verlässliche Perspektive für eine digitale Bildung, die ihnen alle Möglichkeiten eröffnet.

Der Wahlkampf geht weiter.

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5 Kommentare

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  • Die Schulen haben ganz andere Probleme als noch mehr Computer.

    Und ob Özdemir als Bildungsminister mehr bringt als als Landwirtschaftsminister, darf stark bezweifelt werden.

    Tier- und Naturschutz haben unter Özdemir nur noch weiter verloren. Gewonnen hat die Tierindustrie, die Chemieindustrie und der Bauernverband.

    Eine unendlich traurige Bilanz.

    Özdemir ist sicherlich sympathisch, einen Ministerjob sollte er nicht mehr besetzen.

  • Da stelle ma uns mal janz dumm ... und fragen uns, welche die großen und ganz dringlichen Probleme unserer Schule und unseres Unterrichts sind. Dann listen wir die nach Relevanz auf. Danach gehen wir Punkt für Punkt durch und fragen uns, wie und ob überhaupt 'Digitalisierung' bei dessen Lösung von nützen sein könnte.

    Ich habe ein schönes Foto von meinem Sohn, das hat seine Freundin gemacht. Beide studieren Physik, er hat einen Job an der Uni als Tutor, dabei hat sie ihn fotografiert. Man sieht ihn, wie er in einem Hörsaal riesige Tafeln, die übereinander hoch- und runterschiebbar sind, mit Formeln zuschreibt. Er gibt gerade angehenden Informatikern einen Kurs in Rechenmethoden. Mit Kreide.

    • @fleischsalat:

      Geht einer Freundin von mir genauso.

      Sie unterrichtet internationale Stipendiaten, ein ziemlich anspruchsvolles Völkchen.

      Computer, White Board und das ganze Zeugs wieder abgeschafft. Zurück zur Kreide.

      Und die Leute sind happy damit.

  • Es ist einfach völlig absurd, dass die Bundesländer glauben Geld vom Bund verlangen zu können, die alleinige Hoheit in Bezug auf die Bildungspolitik aber Ländersache zu bleiben hat. Dann sollen sie es halt selbst finanzieren.

    ODER (verrückte Idee): Man guckt sich halt DOCH mal die Bildungserfolge der einzelnen Bundesländer und deren Konzepte an und wählt DANN aus dem besten eine Grundlage für Gesamtdeutschland. Ich als Förderschullehrer arbeite in Hessen z.B. grundlegend anders als Lehrer in Bayern oder Berlin. Akten meiner Schüler dürfen bei einem Wohnortwechsel in ein anderes Bundesland NICHT versendet werden, sondern bleiben bei uns. Die Liste könnte ewig weitergehen. Und das alles nur, weil die Bundesländer ihre Ministerien nicht verlieren wollen. Für was? Die direkte Koordination läuft ohnehin über die Schulämter, ob der Bildungsminister nun in Berlin, Wiesbaden oder sonstwo sitzt ist schlicht egal. Hier halte ich den Apparat tatsächlich für zu aufgeblasen und bin sehr für eine deutliche Entschlackung. Das eingesparte Geld kann dann direkt in die Digitalisierung gesteckt werden.

  • "Der Bedarf ist groß". Durchaus auch bereits vor 30 Jahren. Wie sehr haben wir Autodidakten uns Fächer, Inhalte oder Studiengänge gewünscht, die die Generationen erst 20 Jahre später bekommen haben. Wir wurden von Politik und Verwaltung ausgebremst, und die Kinder sollen nun auch zu Arbeitsknechten nichtausgebildet werden. Immerhin haben sie mehr Online-Möglichkeiten im Ausland den Machenschaften der die Vergangenheit konservierender Konservativer zu entkommen.