Filmfestival Viennale 2024: Was ist mit der Autorschaft?
Das internationale Filmfestival Viennale in Wien spannte den Bogen vom publikumsfreundlichen Arthouse-Schmeichler bis zum heimgewerkten Experiment.
Eine Musikerin in fein aufgeputzter Tracht spielt auf einem sogenannten Hackbrett fingerflinkst ein Stück. Nach einigen Sekunden ein Schnitt, nach zwei Minuten eine Schlussverbeugung Richtung Kamera. Dies ist der Trailer der diesjährigen Viennale, von Festivalchefin Eva Sangiorgi auf der Webseite film.at als „blitzgescheiter kurzer Film“ und „ent-heiligende Einladung zur kulturellen Aneignung eines Symbols der westlichen Musikkultur“ „in einer umgekehrten Plünder-Bewegung“ qualifiziert. Denn die Tsambalistin Nicoleta Tudorache ist rumänischer Deszendenz. Und das gespielte Stück – die „Tritsch-Tratsch-Polka“ – wurde einst vom Walzerheiligen Johann Strauss (Sohn), der übrigens nächstes Jahr den 200. feiert, komponiert.
Etwas überkandidelt klingt Sangiorgis Begeisterung über den kreuzbrav abgefilmten Konzertauftritt in Zeiten weltmusikalischer Übergriffigkeiten schon. Und interessanter daran ist vielleicht ein anderer für die arbeitsteilige Kunst des Filmemachens typischer Umstand. Denn das bei Regisseur Radu Jude in Auftrag gegebene Stück beruht neben der künstlerischen Leistung von Tudorache doch vor allem auf Arbeitsbeiträgen von Kameramann Lóránd Márton und Editor Cătălin Cristuiu – der hier allerdings auch nur einen einzigen Schnitt setzen durfte. So ist der „Film von Radu Jude“ (so im Abspann) auch eine ironische Anspielung auf das Konzept der Autorschaft im Film. Und also guter Einstieg in ein Festival, das traditionell die breite Spannweite vom publikumsfreundlichen Arthouse-Schmeichler bis zum heimgewerkten Experimentalwerk abdeckt. Eckpunkte solcher Positionen sind dieses Jahr etwa Pedro Almodóvars „The Room Next Door“ und das schon in Oberhausen und Rotterdam vorgestellte feministische Polit-Film-Kollektiv „Los Ingrávidos“ aus Mexiko.
An die Frage individueller Autorschaft knüpft perfekt auch die große Retrospektive an, die dem 1939 in New York geborenen Robert Kramer gewidmet war. Der hatte sich vom filmenden Aktivisten zum Essayisten mit persönlicher Caméra-Stylo-Handschrift entwickelt. Der Mitbegründer des Newsreel-Filmkollektivs in den 1960ern fand nach Studium und Studienreisen Anfang der 1980er über die portugiesische Revolution ins Frankreich Mitterrands, wo seine in der Heimat weitgehend ignorierten Filme ein begeistertes Publikum und dann auch Finanzierung fanden. So kam Kramer dann auch mit Cineasten wie Serge Daney und Richard Copans zusammen.
Die Retrospektive galt dem US-Filmemacher Robert Kramer
Kramer probierte sich schon damals in semidokumentarischen Erzählformen – besonders beeindruckend 1975 in „Milestones“, der in einer breit geführten nichtnarrativen Montage mit vier Dutzend Figuren und insgesamt 206 Minuten durch die ins Private abgleitenden Überbleibsel weißer US-Gegenkultur nach dem Ende des Vietnamkriegs streift: Szenen vagabundierenden Lebens zwischen Hippie-Kommune, familiären Auf- und Abbrüchen, Barjobs, Drogenexperimenten, indianischer Kultur und der Repression der Anti-Kriegs-Bewegung, gespickt mit ikonischen Schnipseln aus der Schwarzen und sozialistischen US-Geschichte. Das ist tollkühn gedreht und geschnitten, uns heute (wie auch andere Arbeiten Kramers) in seiner seismografischen Genauigkeit auch eine Fundgrube historischer Erkenntnis – in diesem Fall über die westliche Gesellschaften bis heute prägende Periode der Formation nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der antikolonialen Befreiungskämpfe.
In ähnlicher Weise gilt dies auch für den Niederschlag der Erfahrungen unter japanischer Kolonialherrschaft (von 1910 bis 1945) im südkoreanischen Kino der Nachkriegszeit (in einem Fall noch unter japanischer Besetzung), die beim Wiener Festival unter dem Titel „Haunted by History“ vorgeführt wurden. Ein mit zwölf Filmen aus den Jahren von 1940 bis 2016 quer durch alle Genres vom patriotischen Melodram („Evergreen Tree“) über die Erotik-Burleske („Mulberry“) bis zum Dokumentarfilm über die sogenannten Trostfrauen („The Murmuring“) breit angelegtes Panorama, zu dem der engagierte und kundige Leiter des Koreanischen Filmarchivs KOFA, Kim Hong-joon, persönlich nach Wien angereist war, bei den einführenden Gesprächen von Kurator Gerwin Tamsma aber leider in peinlich paternalistischer Manier ins zweite Glied verwiesen wurde.
Wie sich Praktiken von Dominanz und (territorialer) Herrschaft in filmischer Pose niederschlagen können, zeigte ebenso anschaulich wie lakonisch der Kurzfilm „UNDR“ des in Berlin lebenden palästinensischen Regisseurs Kamal Aljafari. Aus israelischen Archiven versammelte er Luftaufnahmen von israelisch annektiertem palästinensischem Territorium und montierte sie mit Landschaften, Szenen ländlicher Arbeit, archäologischen Grabungen, der Sprengung alter Gemäuer und neu errichteten Siedlungen zu einem eindrücklichen Leporello, das kommentarlos für sich spricht.
Das Palestine Research Archive in Beirut
In seinem teilweise mit demselben Material bestückten, ebenfalls beim Festival präsentierten und preisgekrönten Langfilm „A Fidai Film“ dagegen vergibt der Regisseur durch das Zurückhalten zentraler Informationen (etwa über die Bildquellen) seinem Publikum leider die Chance, eine eigene Bresche der Erkenntnis durch den Film zu schlagen. Einige erhellende Informationen über Aljafaris Inszenierungsstrategien ergaben sich daher erst im Publikumsgespräch. Und auch da erfuhr man erst mehr über das von Aljafari für seinen Film „geborgene“ und ursprünglich aus dem Palestine Research Archive in Beirut stammende Filmmaterial: eine wahre Schatzsammlung, die, wie sein Film (auch) erzählt, schon in den Konflikten Anfang der 1980er Jahre durch Bombenanschläge zerstört und dann von der israelischen Armee ausgeräumt wurde.
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