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Änderung der Blockfunktion auf PlattformGebt X nicht auf!

Kommentar von Svenja Bergt

Auf X sind öffentliche Posts nun auch für geblockte Accounts sichtbar. Doch es wäre zu billig, die Plattform abzuschreiben. Jetzt ist die EU gefragt.

Elon Musk bei einer Trump-Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania, 17. Oktober Foto: Rachel Wisniewski/reuters

N a, immer noch bei X/Twitter? Für alle, die auf diese Frage zerknirscht nicken, liefert die von Elon Musk verunstaltete Plattform derzeit einen neuen und ziemlich guten Anlass zum Gehen. Denn aktuell gibt es eine umstrittene Änderung: Öffentliche Posts von Nut­ze­r:in­nen sind nun auch für die von ihnen geblockten Accounts sichtbar. Angekündigt hatte Musk das schon im September, nun posten Nut­ze­r:in­nen Meldungen, die über die Umsetzung informieren.

Die Neuerung passt in das umstrittene „Free Speech“-Konzept, das Musk vertritt. Ein Paradigma, das im Prinzip jede Äußerung als Meinungsäußerung und damit als legitim und legal versteht. Beleidigung? Meinung. Hate Speech? Meinung. Aufruf zu Straftaten? Meinung. Schutz von Menschen vor dieser Art von Äußerungen? Überbewertet. Dieser Ansatz ist praktischerweise auch ökonomisch sehr bequem, weil man sich so als Plattformbetreiber die Moderation der Inhalte im Wesentlichen schenken kann. Spart Personal, spart Geld und man muss sich nicht mal die Mühe machen, eine KI dafür zu trainieren. Musks Haltung in Kombination mit seinem klaren rechten Profil hat X zu dem gemacht, was es heute ist: Ein Ort, an dem das Recht dessen gilt, der die eigene Meinung und viel zu häufig auch Hass und Hetze möglichst laut und rücksichtslos ins Netz schreit. Ein Sumpf der algorithmisch verzerrten Realität, in dem sich vor allem Rechte und Po­pu­lis­t:in­nen wohlfühlen.

Die nur konsequente Änderung bei der Blockierfunktion bedeutet im Ergebnis noch weniger Schutz für Nutzende – gerade für Menschen, die ohnehin schon Bedrohungen, Anfeindungen oder Belästigungen ausgesetzt sind. Das technische Angebot von X zur Lösung dieses Problems ist denkbar zynisch: Wer mit den Konsequenzen der Änderung nicht einverstanden ist, soll halt nicht mehr öffentlich posten, sondern die Einstellungen so verändern, dass nur noch Fol­lo­wer:­in­nen die eigenen Veröffentlichungen sehen können. Kein Wunder also, dass Konkurrent Bluesky eigenen Angaben zufolge innerhalb von zwei Tagen einen Zuwachs von 1,2 Millionen Nutzenden verzeichnete. Für die Konkurrenz ist die Geschäftspolitik von Musk die beste Werbung.

Situation nicht hoffnungslos

Die Situation ist also desaströs, aber nicht hoffnungslos. Denn es wäre zu bequem, X einfach abzuschreiben: Die Zahl der Nutzenden geht ohnehin zurück, das Diskussionsklima ist kaum mehr zum Aushalten, warum also überhaupt noch hinschauen? Allerdings lässt sich über X immer noch ziemlich viel Reichweite erzielen. Und in der gesellschaftlich-politischen Wahrnehmung hat die Plattform noch inhaltliche Relevanz – wenn auch vermutlich mehr, als sie verdienen würde. Dazu kommt: Die kontinuierliche Absenkung der Debattenstandards, wie wir sie seit der Übernahme durch Elon Musk erleben, macht auch etwas mit der Kommunikation.

Sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene. Und in einer ohnehin schon polarisierten gesellschaftlichen Situation, in der wir eigentlich mehr Zuhören, mehr Zugewandtheit, mehr Bewusstsein brauchen dafür, dass die eigene Lebenswelt vielleicht nicht die des ­Gegenübers ist, sind Maßnahmen, die das Gegenteil bewirken, extrem kontraproduktiv.

Daher ist nun die EU gefragt, ganz genau hinzuschauen. Denn der Digital Services Act (DSA) der EU schreibt den Plattformen mehr Schutz von Nutzenden, unter anderem vor Hate Speech, vor. Die Musk’sche Agenda konterkariert, nicht zum ersten Mal, dieses Ziel. Die EU-Kommission hat bereits Untersuchungen nach dem DSA gegen X eingeleitet. Gegen die neue Änderung vorzugehen, wäre nur ein kleiner Schritt angesichts der Fülle von Dingen, die X zur Problem-Plattform machen. Doch es wäre ein nötiger.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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11 Kommentare

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  • Stimmt. Die EU sollte endlich einschreiten und die Plattform verbieten. Es gibt genug Alternativen, welche sich an die Gesetze halten oder es zumindest versuchen.

  • Wer denkt die Blockierfunktion kann andere davon abhalten öffentliche(!) Beiträge zu lesen, sollte dringend seine Medienkompetenz auf den Prüfstand stellen und besser sofort seine Social Media Accounts löschen.



    Öffentliche Beiträge konnten geblockte Accounts auch schon vorher lesen, die müssen nur einen privaten Tab in ihrem Browser öffnen.

    • @Mendou:

      Können, wenn sie wollen. Jetzt tauchen solche Posts auch auf der Startseite auf, wenn sie genügend Reichweite generiert haben, von Nutzern, die explizit eingestellt haben, das nicht sehen zu wollen.

  • Reichweite wächst mit der Anzahl User. Noch ein Grund mehr, statt Musks Hassplattform Bluesky & Co zu nutzen.

  • Die Plattform ist zu einer Müllhalde für Hetze und rechtsextremen Quatsch geworden. Warum sich dort noch so viele Journalisten und Medien aufhalten, ist nur mit fehlgeleiteter Vorstellung von "Reichweite" zu erklären. Für Leute, die eh nur senden, nicht aber Diskurse führen wollen, vielleicht egal. Zu verteidigen gibt es da nichts, gebt X einfach auf!

  • Ob nun bei Xitter mehr oder weniger Hate Speech vorkommt, dieses oder jenes Feature eingeführt oder weggelassen wird, ist doch total wumpe.

    Entscheidend ist:

    Es gibt einereits "soziale" Medien, die in den Händen einiger Milliardäre liegen, bzw. im Fall von China in den Händen eines Staates. Dazu gehören Xitter, Instagram, Tiktok, Whatsapp, Bluesky, Facebook, Threads usw.

    Es gibt andererseits dezentralisierte, föderierte soziale Medien auf Basis freier Software, die in den Händen diverser Vereine, Genossenschaften, Firmen, Privatpersonen, Universitäten und Behörden liegen. Derzeit am bekanntesten ist Mastodon, aber es gibt auch andere, z.B. Diaspora.

    Ich wäre nie im Leben darauf gekommen, daß sich als links-liberal-fortschrittlich verstehende Menschen sich mit der ersten Gruppe einzulassen imstande wären.

    Also: Wer noch bei Xitter oder Bluesky oder Tiktok ist — jetzt auf freie, föderierte Alternativen wechseln! Auf Mastodon ganz flink mastodon.social/@tazgetroete folgen!

    (Oder sich überlegen, ob ein Leben ohne Social Media nicht sowieso ein besseres ist.)

  • Ich bin seit vielen Jahren beruflich bei X oder Twitter und habe noch nie irgendwelche hate speech oder ähnliches in meinem Feed gehabt. Ich glaube, viele die sich beschweren, Folgen einfach allen möglichen Idioten und beschweren sich dann, wenn sie deren dumme Äußerungen im Feed sehen.

  • "... Die nur konsequente Änderung bei der Blockierfunktion bedeutet im Ergebnis noch weniger Schutz für Nutzende – gerade für Menschen, die ohnehin schon Bedrohungen, Anfeindungen oder Belästigungen ausgesetzt sind. ..." Neben der Frage, die ich mir schon immer in Bezug auf den zweifelhaften Nutzen dieser sog. sozialen Medien stelle, warum man da überhaupt präsent sein sollte, warum sollte man wenn man Bedrohungen etc. ausgesetzt ist, in diesen schmutzigen dunklen und unkontrollierten Keller des Internet gehen?



    Wo kommt dieser Drang zur Selbstdarstellung und der ständigen medialen Präsenz her, haben die Nutzenden kein Leben, haben die nichts zu tun? Ich dachte schon ich hätte ein Problem, weil ich hier gerne was kommentiere und in moderierten Foren unterwegs bin, wo es um Probleme aus der Realwelt (Finanzen, Hard- und Software, Hobbies ...) geht. Ansonsten reicht Signal für die Kleinfamilie aus.

  • nein! Reichweite blabla. Die Medien tragen selbst dazu bei, indem sie systematisch aus X zitieren.



    Und nein ich sehe keinen Grund dort zu posten, daraus zu zitieren und somit den Menschenfeind Musk zu unterstützen.

  • Es ist eigentlich ganz einfach:

    Niemand, absolut NIEMAND, braucht X.

    Wer glaubt, dass X irgendwie wichtig wäre, lebt im Wahn. Man muss X nicht "aufgeben", weil es von vorneherein absolut unwichtig ist.

  • Unsinn, löscht eure Accounts am besten Gestern! Keine Klicks für Fascho-Seiten.