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Ende des Clubs WatergateAn Silvester ist Schluss

Mit dem Watergate muss einer der bekanntesten Clubs der Stadt schließen. Neue Räume sind dagegen rar. Noch aber ließe sich dem Clubsterben begegnen.

Exponierte Lage: das Watergate an der Oberbaumbrücke Foto: imago

Berlin taz | Es war die Zeit, in der in Berlin auch ohne viel Kapital noch fast alles möglich war. 1991, in der Quasi-Anarchie Ostberlins, wurde der ehemalige Sitz der Besteckfirma WMF besetzt; im Keller des heruntergekommenen Gebäudes an der Ecke Leipziger-/Mauerstraße entstand der gleichnamige Techno-Club. Die Ma­che­r:in­nen hatten zuvor bereits Partys in einer Toilettenanlage direkt unter den Bruchstücken der gefallen Mauer gleich nebenan veranstaltet. Mit der offiziellen Gründung des WMF entstand einer der prägenden Clubs jener Zeit, in der sich aus der Symbiose aus Mauerfall und Techno jene Clubkultur entwickelte, die die Stadt seither prägt.

Als 2002 das Watergate an der Oberbaumbrücke eröffnete, jene Institution des Berliner Nachtlebens, die am Dienstag ihr Aus zum Jahresende verkündete, war das WMF gerade in seine sechste Location von insgesamt acht, damals im Café Moskau, gezogen. Da mit jedem – erzwungenen – Ortswechsel auch eine Neuausrichtung des Clubs einherging, verabschiedeten sich dabei die Ver­an­stal­te­r:in­nen einer Drum’n’Bass-Partyreihe – und gründeten das Watergate, das sie bis heute betreiben. Der Tipp für das Kreuzberger Bürogebäude an der Spree kam ausgerechnet von einem Location-Scout des WMF, wie die Gründer in einem Interview mit der Szenezeitschrift Groove erzählten.

22 Jahre später muss also das Watergate seine Türen schließen; nicht irgendein Club, wie Marcel Weber, Vorstandsvorsitzender des Club-Verbandes Clubcommission, im Gespräch mit der taz betont, sondern „einer der bekanntesten Clubs der Welt, fast ein Wahrzeichen Berlins“.

Seinen Abschied verkündet das Watergate ohne Aussicht darauf, an anderer Stelle wieder neu eröffnen zu können. Die Betreiber begründen ihren Schritt den Vertrag mit dem Immobilienhai Gijora Padovicz nicht zu verlängern mit dem „Kostendruck“. Sie schreiben: „Die Zeiten eines Berlins, das sich vor clubaffinen Besuchern kaum retten kann, sind erst mal vorbei, und eine Szene kämpft ums Überleben.“ Zum Verhängnis wurde dem Club auch sein Erfolg, der dazu beitrug, dass aus dem einst armen Kreuzberger Quartier eines der angesagtesten und teuersten der Stadt wurde.

Umzüge waren normal

Dass Clubs ihre Orte, die sie häufig nur als Zwischennutzung bespielen, verlassen müssen, ist dabei nichts Neues und für eine Kultur, die auf ständige Erneuerung angewiesen ist, nichts Dramatisches. Im digitalen Museum der Berliner Club-Geschichte als Teil der Berlin History App sind allein 80 ehemalige Spielstätten der letzten Jahrzehnte ausgewiesen; tatsächlich sind es einige mehr.

Die Liste legendärer Feierstätten, die über die Jahrzehnte verschwanden, reicht vom E-Werk über Bunker, Turbine, Magnet, 90 Grad bis zum Ostgut. Da wo Letzterer einst zu Hause war, ist heute einer der wohl seelenlosesten Ort Berlins, das Quartier rings um die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof. Doch das Ostgut konnte noch in der Nähe weitermachen: als Berghain.

Im durchkapitalisierten Berlin, das auch die letzte Brache in Wert setzt, finden sich anders als in den 1990er Jahren, zumindest innerhalb des Rings, keine neuen Orte mehr, an denen verdrängte Clubs wiedereröffnen können. Wer nicht ganz aufgeben muss, wie die Rummels Bucht oder das Mensch Meier, muss an den Stadtrand, so wie die Griessmühle, die von der Sonnenallee nach Schöneweide zog und dort als Revier Südost weitermacht. Ob es eine ähnliche Möglichkeit für die Renate gibt, die Ende des nächsten Jahren ihr Haus an der Elsenbrücke verlassen muss, steht in den Sternen. Weber spricht von einer „Dynamik, die dazu führt, dass Clubs verschwinden und nichts Neues nachkommt“.

Kostendruck für Clubs und Besucher

Gentrifizierungsprozesse, Inflation, Energiekrise und die weiterhin anhaltenden Nachwirkungen von Corona haben die Handlungsmöglichkeiten der Clubs eingeschränkt und verstärken den Druck in Richtung Kommerzialisierung; gleichzeitig leiden die Gäste unter Preissteigerungen im alltäglichen Leben und an den Clubtüren. Die Hoch-Zeiten mit dem Boom der Billigflieger seit der Jahrtausendwende sind vorbei, wie Watergate-Gründer Ulrich Wombacher in einem Interview mit der Berliner Zeitung beschreibt. „Im Grunde hat sich die Situation jetzt normalisiert, nur dass wir jetzt ganz viele Clubs haben, die alle über die Covid-Zeit erhalten wurden und jetzt den kleinen Kuchen teilen müssen.“

Will Berlin die Clubkultur als Markenkern, als Anziehungspunkt für Gäste und anzuwerbende Fachkräfte erhalten, muss etwas passieren. Die politischen Akteure bis hin zur CDU erkennen inzwischen, anders als in der Anfangszeit, den kulturell und wirtschaftlich zentralen Wert der Clubkultur an. Doch noch immer fehlt es an substanziellen Maßnahmen, die einem Clubsterben entgegenwirken oder dazu beitragen könnten, neue Räume zu schaffen; etwa einem Gewerbemietrecht, das vor Kündigungen und Miet­explosionen schützt, oder eine Förderung für die Nutzung leerstehender Büroflächen.

Als Lobbyorganisation der Clubs setzt sich die Clubcommission derzeit auf Bundesebene dafür ein, dass Clubs im Zuge der Novellierung des Baugesetzbuches als Kulturstätten Theatern, Museen und Opern gleichgestellt werden. Sie könnten dann von Förderinstrumenten profitieren, vor allem aber auch im städtebaulichen Planungsrecht bedacht werden. Das würde einen besseren Schutz vor Verdrängung und die Ausweisung von Flächen auch in Wohn- und Mischgebieten bedeuten.

So sei, wie Weber sagt, die Ausweisung eines Bereichs für clubkulturelle Nutzung, etwa in der geplanten Siemensstadt mit Tausenden neuen Angestellten, essenziell: „Was sollen die Leute dort machen, die werden ja sonst vor Langeweile sterben?“

Ob sich die Haltung der Clubs durchsetzen wird, ist unklar. Für Weber steht dabei noch mehr auf dem Spiel: „Die Funktion von Clubs für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, als Orte von „Solidarität und Gemeinschaft“, an denen man „dem grausamen Alltag entfliehen kann“.

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1 Kommentar

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  • Das Interview mit einem Betreiber in der Berliner Zeitung zeigt ein deutlich differenzierteres Bild.

    Demnach sind ein verändertes Ausgehverhalten und die allgemeine Kostensteigerung (nicht der böse Vermieter) ursächlich.

    Ferner auch das Ausbleiben von Billigtouristen und die Verelendung der Gegend. Das klingt nicht nach Gentrifizierung.