Radtour für die Verkehrswende: Fahrraddemo durch den Osten

In zwei Wochen von Eisenach nach Berlin auf der „Tour de Verkehrswende“ der NGO „Changing Cities“. Unser Autor ist vier Tage mitgeradelt.

Demonstration von „Changing Cities“, „Respect Cyclists“ und dem ADFC für gute Radwege in Berlin Foto: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

ERFURT taz | Der Mann mit der empörten Stimme hat sich kürzlich ein Pedelec gekauft und kündigt nunmehr ein Leben als „Kampfrentner für die Verkehrswende“ an. Er berichtet von absurden Einseitigkeiten in der Infrastrukturförderung durch den Bund rund um seine Heimatstadt Erfurt: Autobahnen ausbauen immer wieder, aber der dringend notwendige Lückenschluss im Schienennetz „noch aus der Zeit vor der Wende“ werde trotz aller Appelle seit über 30 Jahren nicht angepackt.

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) tauche ab, schimpft er, wodurch allein 300 Lkw einer großen Holzfirma täglich nach Tschechien pendeln müssten. „Die Firma will auf die Schiene, sie hat Züge mit modernster Technik, aber es fehlt an einem kleinen Stück Gleis.“ Ganze drei Kilometer seien es. „So kann man doch mit der Welt nicht umgehen. Ich weiß gar nicht, wo ich mich überall hinkleben müsste.“

Der polternde Alte heißt Bodo Ramelow, 68, und ist Ministerpräsident von Thüringen. Er begrüßt an diesem Tag vor Erfurts Rathaus die RadlerInnengruppe von „Tour de Verkehrswende“. Fast eine Stunde nimmt er sich Zeit zum Austausch, trotz Wahlkampf und ohne sonstige Presse.

Organisatorin der Tour ist die Verkehrs-NGO Changing Cities aus Berlin, Selbstverständnis: „Wir sind eine bunte und laute Bewegung für lebenswerte Städte.“ Wir radeln von Eisenach über Jena Richtung Chemnitz, Dresden und Cottbus nach Berlin. 35 Leute sind angemeldet zur „Fahrgemeinschaft für die Zukunft“ (30 Euro/Tag inkl. Zeltplatz und vegane Verpflegung).

Mit den OrtsfahrerInnen für eine Etappe sind an die 50 Leute pro Tag unterwegs. Ziel: Interesse wecken für eine gleichberechtigte Infrastruktur, mehr sichere Radwege, einen besseren ÖPNV, dazu ausdrücklich die Vernetzung mit lokalen Initiativen.

Politische Tour de France

Die Tour gilt als Demonstration, weshalb uns die Polizei begleitet. Zwei Wochen zieht die Pedalenkarawane durchs Land. Der jüngste Teilnehmer Jamino ist 10, ansonsten sind alle Alter von 18 bis 71 dabei, Kathrin im Rollstuhl mit ihrem flotten Handbike oft vorneweg. Außer ihr haben nur drei andere einen Pedelec-Motor. Inge, Grundschullehrerin für Humanistische Lebenskunde in Berlin, lässt auf ihrer orangenen Warnweste lesen: „Nicht hupen. Suche sicheren Radweg.“ Sie lacht über die Formulierung „Politische Tour de France“, von der die Freie Presse aus Chemnitz zur Begrüßung geschrieben hatte.

Gestartet waren wir von der Zeltwiese des Gemeindehauses Johanniskirche in Eisenach, Postadresse: Am Gebräun. Woher der Name kommt, der so sehr zur nahen Wahl in Thüringen passen will, konnten weder Einheimische erklären noch eine befragte KI.

Auch CDU-Oberbürgermeister Christoph Ihling, der uns am Morgen vor dem Rathaus mit nichtssagenden warmen Worten empfangen hatte, muss passen. „Eisenach ist Autostadt!“ hatte vor Jahren sein SPD-Amtsvorgänger postuliert, auch wenn der letzte Wartburg 1991 hier vom Band rollte. Es gibt nur wenige Radwegpuzzlestücke, zudem oft in üblem Zustand. Genau 300 Meter Fahrradstraße hat Eisenach.

Während der Verkehrswendetour vollführen wir immer mal wieder die eigene Verkehrswende. So heißt das kurze Einbiegen in einen Feldweg, um die lange Autoschlange hinter uns verkehrsfreundlich durchzulassen. Dann 180-Grad-Wende, um nach den Blechdosen weiterzufahren. Zum Dank gibt es mal den Scheibenwischer von hinterm Scheibenwischer, einen Finger oder auch mal einen dummen Kommentar: „Auf die Radwege mit Euch. Da ist doch ooch schöner.“

Beim Radfahren erlebt man die Spaltung der Gesellschaft besonders deutlich, zwischen Asphaltimperialisten und Speichenheinis. Pöbeleien waren indes Ausnahme. Alle TeilnehmerInnen wunderten sich, wie freundlich und zugewandt die meisten PassantInnen waren, wie sie Aufmunterndes riefen, zum Klingelgebimmel lächelten.

Hinter Gotha gibt der einheimische Hartmut beim Pedalentritt den Fremdenführer: Da links das Napoleonsdenkmal, zeigt er, da hinten der mächtige Glockenturm auf dem höchsten Berg der Umgebung, dazu historische Details bei der Ortsdurchfahrt Nohra: „Hier hatte die Rote Armee einen großen Standort-Flugplatz. Sonntags haben die gelangweilten Piloten die Bürger stundenlang mit Tiefflügen gut genervt. Und wieder die Schallmauer – wummms.“ Zum Dank bekommt der keuchende Mann auf seinem betagten Bike bergauf Schiebehilfe vom Pedelec-Fahrer.

In Jena beglückwünscht uns der lokale ADFC-Aktivist, dass wir die B7 unfallfrei runter in die Stadt geschafft haben. „Aber ihr hattet ja Polizei. Allein brauchst du da maximale mentale Resilienz.“ In Weimar hatte Uta Kühne vom mühevollen Radentscheid in ihrer Stadt berichtet. Entgegen aller Absprachen lehnte ihn der Stadtrat ab. Erst der nachverhandelte Verzicht auf eine Fahrradstraße (drohender Parkplatzmord!) brachte Anfang 2023 die Zustimmung. Und? „Die Liste ist lang. Umgesetzt bislang: genau gar nichts.“

Viele Umstehende nicken, man kennt Ähnliches überall. Besonders dummdreist ist Berlin mit der Verkehrshalse der CDU-Regierung, die Radwege abbauen lässt. Das empört Mitorganisatorin Claudia besonders. Sie ist Lok-Fahrerin bei der S-Bahn und Radaktivistin, also für die Verkehrsvernunft doppelt im Einsatz. Doppeldeutig sagt sie: „Im Führerstand mache ich alles mit links“ und deutet das Fahren per Handhebel an.

Ankunft in Berlin ist am 30. August, Abschlusskundgebung Invalidenpark um 15 Uhr. Die Tourleitung freut sich über Mitfahrende ab 10 Uhr in Schöneiche, Start Festplatz Grätzsteig 11.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben