Argentiniens Präsident und die Diktatur: Die anderen waren auch ganz schlimm

Unter Argentiniens Präsident Milei läuft eine Kampagne zur Relativierung der Menschenrechtsverbrechen der Militärdiktatur.

Nationaler Gedenktag in Argentinien für die Opfer der Militärdiktatur in Buenos Aires 2024 Foto: Roberto Tuero/imago

BUENOS AIRES taz | Während Argentiniens libertärer Präsident Javier Milei mit seiner brutalen Sparpolitik für Schlagzeilen sorgt, vollzieht sich auch ein Wandel in der Menschenrechtspolitik. Jüngstes Beispiel dafür ist der Besuch von sechs Abgeordneten der Partei La Libertad Avanza (LLA) des Präsidenten bei verurteilten Menschenrechtsverbrechern der Militärdiktatur im Gefängnis.

Im Juli fuhren die sechs in einem offiziellen Fahrzeug des Abgeordnetenhauses zu dem Gefängnis vor den Toren der Hauptstadt Buenos Aires. Dort trafen sie „ehemalige Kämpfer gegen die marxistische Subversion“, wie der LLA-Abgeordnete Beltrán Benedit betonte. Unter ihnen war auch der ehemalige Marinekapitän Alfredo Astiz, bekannt als „blonder Todesengel“.

Am 24. März 1976 hatte sich das Militär an die Macht geputscht. Es folgte eine als „Prozess der nationalen Reorganisation“ bezeichnete Herrschaft, unter der politische Geg­ne­r*in­nen gnadenlos verfolgt wurden und eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik eingeführt wurde. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass bis zum Ende der Diktatur im Jahr 1983 rund 30.000 Menschen ermordet wurden oder bis heute verschwunden sind.

Noch immer gilt Argentinien als Vorbild bei der juristischen Aufarbeitung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Diktatur. 1.187 Personen wurden wegen Entführung, Folter oder Mord verurteilt. 508 der Verurteilten stehen heute unter Hausarrest, 134 sind im Gefängnis. Gegen weitere 500 Personen wurde ermittelt, aber einige von ihnen wurden aus Alters- oder Gesundheitsgründen aus dem Strafverfahren ausgeschlossen oder freigesprochen.

Keine Mittel mehr für die Erinnerungskultur

Und während Milei versuchte, den Gefängnisbesuch seiner Abgeordneten mit den Worten „Es war ihr Wille, ich hätte es nicht getan, aber Libertäre sind kein Rudel“ herunterzuspielen, passte er perfekt zu den revisionistischen Bestrebungen der konservativen Vizepräsidentin Victoria Villarruel. Die 49-jährige Militärstochter ist Gründerin und Vorsitzende des Zentrums für juristische Studien über den Terrorismus und seine Opfer (CELTYV).

Dessen Ziel ist nach eigenen Angaben, „die Opfer des Linksterrorismus in Argentinien zu zählen, zu verteidigen und ihnen eine Stimme zu geben“. Lange vor ihrer Zeit als Vizepräsidentin hatte Villarruel mehrfach verurteilte Menschenrechtsverbrecher in der Haft besucht, darunter auch den 2013 verstorbenen Junta-Chef Jorge Rafael Videla.

„Die Entscheidung, die Politik der Erinnerung, der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu streichen, ist seit der Wahlkampagne Teil des Programms der derzeitigen Regierung“, schreibt die Menschenrechtsorganisation Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) in ihrem Ende Juli veröffentlichten Bericht „Memoria Cancelada“ (Gestrichene Erinnerung). Daraus stammen auch die Angaben zur juristischen Aufarbeitung.

Im Wahlkampf hatte sich der Kandidat Milei als Verfechter der „Theorie der zwei Dämonen“ positioniert, nach der die Verbrechen des Staatsterrorismus mit den Gewalttaten der Guerillaorganisationen gleichzusetzen sind. „In den 1970er Jahren gab es einen Krieg, die Sicherheitskräfte haben Exzesse begangen, aber die Terroristen der Montoneros und der ERP haben gemordet, Bomben gelegt und auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen“, sagte Milei in der Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidat*innen.

Seit seinem Amtsantritt hat sich dies in Form von Kürzungen, Schließungen und Entlassungen im Bereich der Menschenrechte niedergeschlagen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation CELS. Die Hälfte der Mitarbeitenden der acht Gedenkstätten, die direkt vom Menschenrechtssekretariat der Regierung abhängen, wurde entlassen. Vielen der über 800 Orte, die für Inhaftierung, Folter und Verschwindenlassen genutzt und in Gedenkstätten oder Museen umgewandelt wurden, wurden die Mittel gekürzt.

Darüber hinaus beschloss die Regierung, der Nationalen Kommission für das Recht auf Identität (CoNaDI) keine Akten und Informationen der Streitkräfte und der Polizei mehr zur Verfügung zu stellen, um das Schicksal der Babys aufzuklären, die während der Diktatur in Gefangenschaft geboren und geraubt wurden. Alles zielt darauf ab, die Suche nach Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit in einen Exzess umzudeuten, der die Täter zu Opfern macht, so die Schlussfolgerung von CELS.

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