Golf und Olympia: Eine neue Generation Golf

Lange hielten sich Golfprofis von der Olympiausgabe ihres Sports fern. Seit den Spielen in Paris ist das anders – Golf entwickelt sich.

Esther Henseleit bei den Olympischen Spielen in Paris Foto: bildbyran/imago

Olympia? Schon lange her. Obwohl, nachhallen in unser aller Gedächtnis wird dieses grandiose Kunstwerk von Sportevent noch lange. Und die Paralympics fangen erst an. Von wegen vorbei.

Bei den Paralympics wird allerdings kein Golf gespielt. Die GolferInnen mit Behinderung hatten im Juli, kurz vor Olympia, ihre Mannschafts-Europameisterschaft in Hösel nahe Düsseldorf.

Spektakulär, was Einarmige oder Menschen im Rollstuhl auf dem Golfplatz zu leisten imstande sind, mit welcher Eleganz, Präzision und Grandezza. Den Titel holte übrigens Frankreich; der Grande Nation gelingt in diesem Sportsommer fast alles.

Nicht so allerdings beim olympischen Golf. Dafür gab es hitchcockhafte Battles um die Medaillen, bei den Männern wie auch bei den Frauen. Im Fernsehen liefen die Wettbewerbe leider weitgehend unter dem Radar, vor Ort wurden sie von täglich 30.000 Menschen euphorisch gefeiert.

Spannendes Turnier in Paris

Noch erstaunlicher: Welchen Stellenwert Golf bei den Aktiven hat. Fast alle Stars waren am Start. Vor acht Jahren in Rio, bei Golfs Rückkehr ins olympische Programm, hatten viele noch abgewunken: Was soll ich da? Passt nicht in meinen Turnierplan, in meine Routinen.

Ich bin Individualsportler par excellence, was soll ich für ein Land ran? Viele schoben damals das Zikavirus vor, um abzusagen. Entsprechend mau war das Publikumsinteresse in Brasilien. Die publikumslosen Covid-Spiele in Tokio rissen 2021 ohnehin niemanden von den Sitzen.

Anders in Paris: Bei den Männern gab es auf den letzten Löchern des Schlusstags einen stundenlangen Showdown mit Dramen ohne Ende, Wiedergeburten aus dem abgeschlagenen Nichts, ständig wechselnden Führungen. Der Baske Jon Rahm hatte zeitweilig vier Schläge Vorsprung und stürzte plötzlich verkrampft ins Medaillenlose.

Am Ende hatte der US-Weltranglistenerste Scottie Scheffler nach monströser Aufholjagd gewonnen, und fast wäre mit dem Einheimischen Victor Perez tatsächlich auch noch ein Franzose aufs Treppchen gestiegen.

Das Publikum tobte, als handele es sich um einen schlägerschwingenden Leon Marchand, den wässrigen Allesabräumer. Wäre das Turnier über 75 statt 72 Loch gegangen – wer weiß, wo dieser Perez noch gelandet wäre.

Silber für Deutschland

Bei den Frauen war die Dramaturgie ähnlich. Die Favoritinnen, mehrheitlich aus Asien oder den USA, schwächelten, je näher das Schlussloch kam. Eine blieb konstant: Goldmedaillengewinnerin Lydia Ko aus Neuseeland. Und Silber: Esther Henseleit, 25, aus Varel in Friesland. Das war ein unerwarteter Knaller, mit einer großartigen 66er-Schlussrunde nahe dem Platzrekord, von Position 13 am Morgen auf 2.

Henseleit ist taz-LeserInnen keine Unbekannte (siehe taz vom 1. 8. 2020). Sie sprach schon vor vier Jahren, gerade Profi geworden, vom Karriereziel Olympia-Teilnahme.

Im taz-Gespräch war es auch um Henseleits damaligen WG-Kumpel Paul gegangen, der bei ihrem ersten Turnier in Spanien die Tasche als Caddie schleppte und mit klassenkämpferischen Sprüchen die feine Golfwelt rockte. Ein Glücksfall, so Henseleit, war ihr Abi an einer Waldorfschule: „Da lernt man viel Kreativität, und das kann auf dem Platz nur hilfreich sein.“

Auffallend, mit welcher hymnischen Begeisterung der deutsche Golfverband Henseleits überraschenden Erfolg feierte. Historisch, Sensation, solches Vokabular, oder gleich: „ikonischer Höhepunkt“. Klar: die erste deutsche Olympiamedaille im Golf.

Aber sorry, die beste Spielerin des Landes, Weltrangliste immerhin Platz 42, wird bei einem Turnier Zweite – das ist doch für einen selbstbewussten Verband kein Grund zum Ausrasten.

Golf wächst seit Jahren, und mit Langer und Kaymer haben zwei Spieler schon je zwei Majors gewonnen. Aber diese Henseleit: „Sie hat uns alle in Golfdeutschland glücklich gemacht.“

Erstaunlich: Golf und Olympia, eben noch zwei fremdelnde Welten, sind in Paris verschmolzen. Die Süddeutsche Zeitung spricht schon von der „Generation Olympia“.

Am Wochenende machte Henseleit weiter: Bei den renommierten Scottish Open wurde sie wieder Zweite. Ganz Golfdeutschland darf 167.000 Dollar Preisgeld bejubeln und sich mit Henseleit als viertbeste Europäerin über eine ikonische Weltranglisten-Position 29 freuen.

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Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).

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