Gefangenenaustausch mit Russland: „Ausbürgerung gegen meinen Willen“

In Bonn zeigten sich drei der russischen Freigelassenen erstmals in der Öffentlichkeit. Sie beteuerten, in ihre Heimat zurückkehren zu wollen.

Drei Männer laufen auf eine Kamera zu, einer reckt die Faust

Ilja Jaschin (l-r), Andrej Piwowarow Wladimir Kara-Mursa haben ihre Freiheit zurück Foto: Christoph Reichwein/dpa

BONN taz | „Es fühlt sich surreal an“, sagt Wladimir Kara-Mursa. „So als würde ich einen Film sehen“. Dabei sind die Kameras auf ihn gerichtet, als er am Freitagabend gemeinsam mit Andrej Piwowarow und Ilja Jaschin im Saal der Deutschen Welle in Bonn auf dem Podium sitzt. Die Stiftung des in russischer Haft verstorbenen Alexej Nawalny hatte dort zu einer Pressekonferenz eingeladen, und der Saal ist voll.

Es ist der erste öffentliche Auftritt der drei demokratischen Dissidenten, seitdem sie am Donnerstag durch einen Gefangenen-Deal der deutschen Regierung mit Russland freigekommen sind. „Ich würde den Vorgang nicht als ‚Gefangenenaustausch‘ bezeichnen“, sagt Kara-Mursa, „Sondern als Lebensrettung“. Bundeskanzler Scholz habe eine schwierige Entscheidung treffen müssen, er selbst sei gegen „einen Meuchelmörder im Auftrag Putins“ freigekommen: „Aber in einer Demokratie gibt es keine leichten Entscheidungen, sondern nur in einer Diktatur.“

2023 war der 42-jährige Journalist wegen Hochverrats zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden und verbrachte mehr als zehn Monate in Einzelhaft. Letzte Woche habe er dann ein Gnadengesuch unterschreiben sollen – und lehnte ab. Er sei unschuldig im Gefängnis gewesen, betont Kara-Mursa. Am Sonntag wurde er aus Sibirien in das Lubjanka-Gefängnis in Moskau verlegt: „Ich habe geglaubt, ich käme raus und würde dann erschossen.“ Als „Zeichen des Lichts“ beschreibt Andrej Piwowarow seine Freilassung. Tausende politische Häftlinge in russischen Gefängnissen könnten nun glauben, dass sie noch gerettet werden könnten.

„Nicht alle Russen und Russinnen folgen der Politik unseres Staates“, erklärte der 42-jährige Oppositionspolitiker und richtete eine Forderung an den Westen: Junge Rus­s:in­nen sollten Visa und Möglichkeiten zum Austausch erhalten: „Wir müssen ihnen zeigen, dass sie nicht von Feinden umgeben sind.“

Der Austausch sei eine „Ausbürgerung gegen meinen Willen“ gewesen, sagt Iljan Jaschin. Er wurde 2022 zu 8,5 Jahren Haft verurteilt, weil er auf Youtube über das Massaker von Butscha informiert hatte. Auch er wollte kein Gnadengesuch unterschreiben, so Jaschin, weil Putin kein legitimer Herrscher sei. „Meine Haft war ein Kampf gegen die Kriegspolitik Putins, ein Kampf für das Recht, frei zu sprechen und in Russland zu bleiben“, sagt der 40-jährige Oppositionspolitiker. „Ich will zurückkehren“. Jedoch habe ihm ein Geheimdienstoffizier zu verstehen gegeben, dass seine Rückkehr bedeute, dass er wie Alexey Nawalny verhaftet werden und wie dieser enden würde. „Aber ich werde nicht die Rolle des Emigranten einnehmen. Mein Ziel ist ein freies und glückliches Russland.“

Ohne gültige Reisepässe nach Deutschland geschickt

Im Flugzeug habe ihm ein FSB-Agent gesagt, dass er seine Heimat ein letztes Mal gesehen habe“, berichtet Wladmimir Kara-Mursa: „Aber ich weiß, dass ich zurückkehren werde und es eines Tages ein freies und demokratisches Russland geben wird.“ Eine Rückkehr in ihre Heimat dürfte für die drei jedoch schon aus bürokratischen Gründen schwierig sein. Wladimir Kara-Mursa berichtet, ihm sei keine Urkunde über seine Haftentlassung ausgehändigt worden. Alle drei wurden zudem ohne gültige Reisepässe nach Deutschland geschickt.

Das deutsche Außenministerium arbeite an einer Lösung für sie, erzählt Iljan Jaschin, wie sie aussieht, könne er noch nicht sagen: „Aber ich bin mir sicher, dass ich nicht verhaftet oder abgeschoben werde.“

Nach ihrer Freilassung verbrachten die drei Männer die Nacht zum Freitag in einem deutschen Militärkrankenhaus, wo sie medizinisch untersucht wurden. Es gehe ihnen gut, sagt Jaschin, lediglich ein Mangel an Vitamin D sei festgestellt worden – ein Mangel an Licht. „Ich habe das Tageslicht nur durch Gefängnisstäbe gesehen“, erklärt er kämpferisch. Ihre Körper erzählen jedoch eine andere Geschichte. Jaschin humpelt, als er vom Podium aufsteht, Wladimir Kara-Mursas Gesicht ist eingefallen und blass, seine Augen sind blutunterlaufen. Er spricht von „psychologischer Folter“. Er habe über zehn Monate in Einzelhaft verbracht: „Ich habe zweimal mit meinem Anwalt sprechen können und einmal mit meiner Frau.“

Am Samstag soll er seine Familie erstmals seit über zwei Jahren wiedersehen. Ein erstes Wiedersehen war jedoch schon die Pressekonferenz am Freitag. Ein russischsprachiger BBC-Journalist spricht von Freunden, die glücklich über die Freilassung der drei Gefangenen seien. Nach ihrem Auftritt bekommen die drei Männer Sonnenblumen geschenkt und müssen für Selfies posieren. Und auch nach vier Stunden stehen am späten Abend noch rund ein Dutzend Menschen vor dem Gebäude der Deutschen Welle am Rheinufer und hoffen, die drei Dissidenten zu treffen.

„Wir möchten diesen Tag mit unseren russischen Leuten feiern“, erzählt Maria. Sie ist als Spätaussiedlerin im letzten Jahr aus Russland gekommen – wegen des Kriegs gegen die Ukraine. Ihrem Mann Nikita, der sie begleitet, drohte die Einberufung. „Dieser Tag ist wichtig für unsere Psyche“, sagt er. „Es ist wie ein Traum.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben