orte des wissens
: Der überbordende Kerl aus der Elbe-Weser-Marsch

Er war ein Bauernsohn, der sich als Literatur- und Kunstfreund empfand. Die Hermann-Allmers-Gesellschaft arbeitet seinen Nachlass auf

Wie ein wilder Kerl muss Hermann Allmers (1821–1902) gewirkt haben – die kräftige Statur, das zauselige Blondhaar, das röchelnde gaumenlose Sprechen. Nicht nur seine Erscheinung fällt auf im niedersächsischen Rechtenfleth, sondern auch sein Haus. Allmers erbt den väterlichen Hof gleich hinterm Weserdeich, hat aber „weder Lust noch Geschick“ für die Landwirtschaft. Er sieht sich vielmehr als Dichter und Kunstfreund.

Der Hof, 1842 von Allmers Vater errichtet, „ist ein typisch niedersächsisches Hallenhaus mit Wohn- und Wirtschaftsteil und zugleich eine städtische Villa“, so Axel Behne vom Vorstand der Hermann-Allmers-Gesellschaft. Die wertvoll möblierten, üppig holzgetäfelten Räume sind mit antiken Büsten geschmückt und mit Fries-Malerei versehen. Die Wände zieren Porträts von Lessing und Winckelmann, Goethe und Kant. Der gemeinnützigen Hermann-Allmers-Gesellschaft gehört das Interieur des Allmers-Hauses. Sie macht das Haus zugänglich, vor allem aber erforscht sie den literarischen und künstlerischen Nachlass ihres Namensgebers.

Tobias Mahler von der Universität Göttingen promoviert derzeit über das Allmers-Haus und seine Sammlungen. „Bildung durch Objekte“, heißt seine Arbeit. Er weiß: „Ein derart ergiebiges und geschlossenes Ensemble vorzufinden ist für einen Studenten der Kunstgeschichte aus der Region eigentlich ein Luxus.“

Hausbesuch: Das Allmers-Haus kann von Mai bis Oktober samstags und sonntags jeweils von 13 bis 17 Uhr besichtigt werden, Mittelstr. 1, Hagen im Bremischen. Anmeldung unter besuch@hermann-allmers.de.

Ausstellung: „Allmers relocated. Ein alter Bekannter in neuer Zeit an anderem Ort“, bis 15. 9. im historischen Museum Bremerhaven.

Allmers, der Bauernsohn aus dem Elbe-Weser-Dreieck und Ehrendoktor der Universität Heidelberg, ist so frei, seine Existenz in der Marsch nach seinen Interessen und Überzeugungen zu inszenieren: Eine Plakette im Stamm eines alten Baumes im Garten trägt die Inschrift „Deutschlands Frühling“ und die Jahreszahl 1848. Waren die Revolutionäre auch gescheitert, Allmers bekannte sich zeitlebens zu ihrer Forderung nach Grund- und Freiheitsrechten.

Berühmt wurde Allmers durch das „Marschenbuch. Land- und Volksbilder aus den Marschen der Weser und Elbe“ (1858). Behne von der Allmers-Gesellschaft bezeichnet es als „eine naturkundlich-kulturhistorisch-geografische Synthese. Es ist eine Art Kulturgeografie, die den Naturraum und seine prägende Kraft beschreibt, die Wechselwirkung von Land und Leuten.“

Berühmt wurde Herrmann Allmers durch das „Marschenbuch. Land-und Volksbilder aus den Marschen der Weser und Elbe“

Allmers überbordenden Briefwechsel mit bis zu 200 Freunden und Bekannten hat die Allmers-Gesellschaft vorzüglich editiert (4 Bd., Hg. Hans Gerhard Steimer/Axel Behne, 2010–2019). Auch die Bremer Briefausgabe zeigt das überschwängliche Temperament eines Menschen, der Gemeinschaft stiften will. „Er war der weiße Elefant in seiner Gegend“, sagt Behne und ergänzt: Allmers habe gespürt, dass seine künstlerische Begabung nicht groß genug war. Vielleicht rührt daher sein Gestaltungswille, der in Rechtenfleth bis heute wirkt, und auch die Melancholie seines Gedichts „Feldeinsamkeit“ (1852): „Ich ruhe still im hohen grünen Gras / Und sende lange meinen Blick nach oben, / Von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlaß, / Von Himmelsbläue wundersam umwoben. / Und schönen weiße Wolken ziehn dahin / Durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume; / Mir ist, als ob ich längst gestorben bin / Und ziehe selig mit durch ew’ge Räume.“ Frauke Hamann