Aufklärer auf der Anklagebank

Lars Winkelsdorf ist ein Waffenexperte und Fernsehjournalist. Auch die taz zieht ihn gern zu Rate. Doch ein Jahre zurückliegender Gerichtsprozess in Hamburg lässt ihm keine Ruhe

Wer zu illegalen Waffenkäufen recherchiert, gerät leicht selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft Foto: Silas Stein/dpa

Von Daniel Wiese

Er ist eine Minute zu spät. „Die Parkplätze“, sagt er entschuldigend, schwierig, hier an der Hamburger Binnenalster einen zu finden. Obwohl es heiß ist, trägt Lars Winkelsdorf nicht den Strohhut, mit dem er auf seinem X-Account zu sehen ist, dabei würde ein bisschen Undercover-Feeling so schön passen. Lars Winkelsdorf ist gekommen, um einen USB-Stick mit Dokumenten eines Falls zu übergeben. Seines Falls.

Fälle hatte der Enthüllungsjournalist schon viele. Im November erst veröffentlichte er mit anderen eine große Recherche auf der Investigativ-Plattform Correctiv über die dunklen Kanäle, über die deutsche Waffen nach Russland kommen. Waffen sind sein Thema, vor allem, wenn sie in falsche Hände gelangen, ins Rockermilieu zum Beispiel oder in die rechtsextreme Szene wie das Netzwerk „Blood and Honor“. Er hat darüber auch schon ein Buch geschrieben.

Für die Recherche, erzählt er mit leuchtenden Augen, musste er nachts übers Gelände robben und sich eingraben, und es klingt, als würde ihm so etwas Spaß machen. Lars Winkelsdorf war bei der Bundeswehr, Fallschirmjäger, hat Polizisten im Schießen ausgebildet. Wenn Fragen bei Einsätzen auftreten, wird er gern zu Rate gezogen: Der Winkel war ein bisschen ungünstig, aber die Schusshaltung völlig in Ordnung, „so, wie ich das jahrelang unterrichtet habe“, schrieb er dann zum Beispiel nach dem Attentat von Mannheim, und das stand dann auch im Stern.

Winkelsdorf hat aufmerksame, wache Augen, unter einem Sonnenschirm trinkt er Wasser mit viel Eis. Natürlich habe er einen Waffenschein, besitze selbst etliche Schusswaffen, sagt er. „Es macht wenig Sinn, wenn ich Polizisten zeige, wie ein MP5 funktioniert und habe keine Ahnung.“ Ein MP5 ist eine Maschinenpistole, die vollautomatische Version gilt als Kriegswaffe.

Er sei eben „ein bunter Hund“, sagt Winkelsdorf. Doch es gibt da diese Geschichte, die ihn nicht loslässt, als er sich plötzlich auf der anderen Seite wiederfand, wo sein Name in den Gerichtsakten unter „Angeklagter“ auftauchte. Angeklagter Wi, Lars Winkelsdorf.

Es war bei Dreharbeiten über den Schwarzmarkt in Hamburg, darüber, wie leicht es ist, an unregistrierte Waffen zu kommen, ohne einen Waffenschein zu besitzen. Es sollte ein Beitrag fürs Fernsehen werden, „Akte 07“ auf Sat.1. Lars Winkelsdorf trieb jemanden auf, der mit solchen Waffen zu handeln schien. Der Mann war hinterher in der Sendung zu sehen. Vermummt, um nicht erkannt zu werden, präsentierte er sein Arsenal und gab Auskunft über die Kundschaft.

Ein zweiter Film für Kabel1 folgte, mit demselben Protagonisten, dem Winkelsdorf ein Jahr später noch einmal im Vereinsheim eines Schützenvereins begegnen sollte: Da erzählte der Mann, dass es mit Waffen, die er geliefert habe, eine Schießerei im Rotlichtmilieu gegeben habe.

Winkelsdorf erstattete Anzeige. Vielleicht hätte er das nicht tun sollen, denn die Ermittlungen, die er damit in Gang setzte, richteten sich bald gegen ihn selbst. Der Mann, der seine Waffen präsentiert hatte, behauptete, Winkelsdorf habe nur jemanden gesucht, der einen Waffenhändler spielt. Dazu habe er sich bereit erklärt in der Hoffnung, Winkelsdorf würde ihm einen Waffenschein besorgen. Niemals habe er mit Waffen gehandelt, dagegen habe Winkelsdorf ihm eine Maschinenpistole verkauft.

Dass ein Angeklagter auf einen anderen zeigt, ist verständlich. Nur: Die Hamburger Staatsanwaltschaft schien dem Mann zu glauben. In der Anklageschrift stand Winkelsdorf, dessen Vater ein hohes Tier bei der Hamburger Polizei gewesen war, nicht mehr als der Enthüllungsjournalist da, der für renommierte Sendungen wie das ZDF-Magazin „Frontal“ arbeitete, sondern als einer, der Fake Reality produziert und hintenrum Waffen vertickt.

Zwölf Jahre ist das jetzt her, aber für Winkelsdorf scheint es erst gestern gewesen zu sein. „Also war ich jetzt der Waffenhändler“, sagt er aufgebracht. „Völlig irre“, sei das, „gaga.“ „Es ist, als wenn sie jemanden beschrieben hätten, der nicht ich bin.“

Am Ende wurde Winkelsdorf in zweiter Instanz nur (zu einer Geldstraße) verurteilt, weil er den Mann, der kein Waffenhändler sein wollte, dazu angestiftet habe, seine illegalen Waffen – darunter etliche per se verbotene Schießkugelschreiber – für die Dreharbeiten durch Hamburg zu kutschieren.

Doch auch wenn es dabei nur noch um juristische Spitzfindigkeiten ging, lässt ihm das alte Verfahren keine Ruhe. Er sei bis dahin gut im Geschäft gewesen, sagt Winkelsdorf, der ja nicht nur als Journalist, sondern auch als Sachverständiger gearbeitet hat und in dieser Eigenschaft etwa auch die Waffenindustrie beriet.

Doch mit dem Prozess, der sich bis 2012 hinzog, blieben die Aufträge weg. Auf drei bis vier Millionen schätzt Winkelsdorf die Ausfälle, die er wegen des Verfahrens hatte, bis heute, sagt er, sei er noch nicht auf dem Vor-Prozess-Niveau angekommen, auch wenn es schon wieder besser laufe.

Seine Gedanken kreisen deshalb noch immer um den Prozess, um die Aussage des Mannes, der vorgab, kein Waffenhändler zu sein, obwohl es beim LKA damals schon Anhaltspunkte dafür gab, dass er tatsächlich das Rotlichtmilieu mit Waffen versorgte. Erst vor zweieinhalb Jahren wurde er dafür zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Inzwischen, sagt Winkelsdorf, sei der Mann schon wieder Freigänger.

Waffen sind sein Thema, vor allem, wenn sie in falsche Hände gelangen, ins Rockermilieu zum Beispiel

Am irrsten findet Winklesdorf den Umstand, dass die Dreharbeiten für Kabel1, wegen derer er am Ende verurteilt wurde, gar nicht unter seiner Regie stattgefunden hatten. Er war nur als Sachverständiger dabei, die Produktionsfirma des Beitrags hatte das gegenüber dem LKA klargestellt.

„Ich hätte dafür gar nicht belangt werden dürfen“, sagt er. Aber auch diese Information fand keinen Eingang in das Verfahren, obwohl die Staatsanwaltschaft davon wusste.

Winkelsdorf wirft dem damaligen Staatsanwalt vor, die Akten manipuliert zu haben. Er hat die Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragt. Seit Anfang Juli liegt zudem beim Hamburger Generalstaatsanwalt eine Aufsichtsbeschwerde vor: Die Akten sollen endlich korrigiert werden.

„Der Ball liegt jetzt bei ihm“, sagt Winkelsdorf und packt seine Zigarettenschachtel ein. Trotz allem wirkt er hoffnungsfroh. Immer noch.