HDJ-Führungskader für die AfD gewählt: Deutschland. Aber tiefbraun.

In Roßlau, Sachsen-Anhalt, wurde der AfD-Politiker Laurens Nothdurft zum Ortsbürgermeister gewählt. Er war Mitglied eines verbotenen Neonazi-Vereins.

Blick auf die Stadt Dessau-Roßlau unter dem Bogen einer Brücke

Dessau-Roßlau hat einen neuen Orstbürgermeister gewählt, den AfD Politiker Laurens Nothdurft Foto: Hendrik Schmidt/dpa

BERLIN taz | Im Jahr 2020 ist der Rechtsextremist Andreas Kalbitz wegen seiner Mitgliedschaft in der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), einer von der Hitlerjugend inspirierten Jugendorganisation, noch aus der AfD geflogen. Im Jahr 2024 werden ehemalige HDJ'ler in der AfD dagegen zu Ortsbürgermeistern gewählt – obwohl die 2009 verbotene Neonazi-Organisation weiter auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei steht. Der Fall zeigt einmal mehr, wie wenig Wert diese Liste ist und wie offen rechtsextrem die Partei auch auf den unteren Ebenen ist.

Gewählt wurde der tiefbraune AfD-Politiker mit dem Namen Laurens Nothdurft in Roßlau, einem Stadtteil von Dessau-Roßlau. Am Dienstagabend wählte ihn der Ortschaftsrat Roßlau mit sechs zu drei Stimmen, zwei Stimmen waren ungültig. Nothdurft sitzt in dem Ortschaftsrat für die Bürgerliste Roßlau.

In einer geheimen Abstimmung zog der ehemalige Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt, Klemens Koschig (Neues Forum) den Kürzeren, obwohl dieser bei der Kommunalwahl die meisten Stimmen bekommen hatte. Die bisherige Ortsbürgermeisterin Christa Müller von der CDU stand nicht mehr zur Verfügung, wollte Nothdurft aber zur Seite stehen. „Ich möchte noch gerne begleiten, was vor uns liegt und was angeschoben worden ist“, sagte Müller der Mitteldeutschen Zeitung.

Was in Roßlau wie eine normale Amtsübergabe klingt, ist es in Wirklichkeit nicht: Nothdurft ist fest im Neonazi-Milieu verankert. Das Antifa-Magazin Der Rechte Rand berichtete bereits 1999 von seinen Aktivitäten im Zusammenhang mit der HDJ. 2002 war Nothdurft Bundesführer bei der neofaschistischen Organisation, die Zeltlager für Jugendliche abhielt, die dort nach nationalsozialistischen Idealen gedrillt und geschult werden sollten. Seine Partnerin Hildegard Nothdurft war dort „Bundesmädelführerin“. Die beiden haben heute zusammen sieben Kinder.

Überhaupt sind die Nothdurfts eine schrecklich braune Familie: Sein Vater Joachim Nothdurft tauchte im NPD-Umfeld auf, war auch Bundesschriftführer der rechten Kleinpartei DSU. Auch dessen zweiter Sohn war dort im Vorstand aktiv. Gemeinsam mit seinem Vater sitzt Laurens Nothdurft ebenfalls in der AfD-Fraktion des Stadtrats von Dessau-Roßlau. Gemeinsam besuchten sie auch schon 2002 eine Demonstration der NPD.

Dogwhistle an Neonazis

Ein Text, den Laurens Nothdurft anlässlich seiner Kandidatur für Facebook über die Bürgerliste Roßlau verbreiten ließ, lässt sich auch als Dogwhistle an Rechtsextreme lesen. Er beschreibt sich als bürgerlich-biederen Rechtsanwalt mit geregeltem Lebenslauf und Vereinsleben, er sei herumgekommen und habe einiges erlebt – unter anderem bei der „Jugendarbeit“, womit eigentlich nur die HDJ gemeint sein kann.

Nothdurft schließt seine Bewerbungsschrift mit „Deutschland braucht endlich eine Alternative und hier vor Ort brauchen wir die Bürgerliste für Roßlau. Alles für unsere Heimat!“ Das Schreiben wurde wohlgemerkt veröffentlicht zwischen zwei Prozessen, in denen der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wegen der nun bundesweit bekannten SA-Parole „Alles für Deutschland!“ jeweils verurteilt wurde. Interessant ist auch, dass Nothdurft angibt, als Referendar im Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalts tätig gewesen zu sein.

Auf taz-Anfrage heißt es dazu aus dem Ministerium, dass Nothdurft dort tatsächlich drei Monate vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2007 im Rahmen des juristischen Vorbereitungsdienstes dort tätig war. Er habe Einblicke in Organisation, Aufgaben und Arbeitsweise des Ministeriums erhalten und habe Arbeitsaufträge aus dem Bereichen Handwerks-, Beamten- und EU-Rechts erhalten. Es sei aus den noch vorhandenen Unterlagen nicht mehr erkennbar, ob seine Neonazi-Bezüge damals bekannt gewesen seien. Eine Sicherheitsüberprüfung habe es nicht gegeben.

„Gegenpart“, das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt, schlussfolgerte nach der Wahl: „Die Normalisierung der extremen Rechten in Dessau-Roßlau ist abgeschlossen.“ Zwar wirke Nothdurft „mit seiner biederen Art nicht, wie viele sich einen Neonazi vorstellen“. Doch seine langjährige Vergangenheit in der extremen Rechten sei hinlänglich bekannt gewesen. Noch 2019 sei Nothdurft wegen seines rechtsextremen Hintergrunds aus der bayerischen Landtagsfraktion der AfD herausgeflogen. „Heute scheint dies nicht einmal mehr zu verhindern, das ein Kandidat mit einer solchen Vergangenheit in eine herausragende Position gewählt wird.“

Dies zeige deutlich, wie weit die Normalisierung der extremen Rechten fortgeschritten sei, kritisierte „Gegenpart“. Und Nothdurft sei nicht der einzige Fall: Im Zuständigkeitsbereich der Mobilen Beratung in Anhalt habe auch ein anderer Ortsbürgermeister Verbindungen ins neonazistische Milieu. So sei auch im Ortsteil Gohrau der Stadt Oranienbaum-Wörlitz Benjamin Focke zum Ortsvorsteher gewählt worden – ein Kandidat der „Heimat“-Partei, der umbenannten NPD. Dort gab es offenbar keinen Gegenkandidaten.

AfD Dessau-Roßlau ist neonazistisch

In der AfD Sachsen-Anhalt ist eine Neonazi-Vergangenheit oder Gegenwart offenbar kein Problem mehr: Gegenpart verwies auch auf den AfD-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat von Dessau-Roßlau, René Diedering, der 2019 auf Neonazi-Demos geredet habe, 2017 Reichsfahnen hochhielt und sogar die Freiheit für den verurteilten Holocaustleugner Host Mahler gefordert hatte. Die Mobile Beratung schlussfolgert daraus: „Der Ortsverband der AfD in Dessau-Roßlau muss deshalb als neonazistisch infiltriert bezeichnet werden.“

Auch die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt ist alarmiert über die Normalisierung der AfD über kommunale Ämter. In etlichen Kommunen würden Kandidierende der AfD nach den jüngsten Kommunalwahlen auch in oberste Ämter gehoben, kritisierte die Linken-Fraktionsvorsitzende Eva von Angern. Die Fraktionen in den Gemeinden verhälfen den Rechtsextremisten so zu mehr Macht – trotz aller Warnungen von Rechtsextremismusexperten.

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