Gewerkschafter über Streik im Digitalen: „Arbeitskampf ist immer emotional“

Im digitalen Kapitalismus müssen sich auch die Gewerkschaften international aufstellen. Metaller Falko Blumenthal über hybride Streiks und Vernetzung.

viele Menschen in blauen Anzügen mit gelben Helmen stehen vor einer Bühne

Streik braucht die Gemeinschaft. Hier streiken Beschäftigte der Meyer-Werft Foto: Sina Schuldt/dpa

taz: Herr Blumenthal, wie können Ar­bei­te­r*in­nen im Digitalen streiken?

Falko Blumenthal: Beschäftigte können ihre Arbeitskraft zurückhalten, indem sie etwa Mails nicht beantwortet, an Teamsitzungen nicht teilnehmen oder in einer Zoomkonferenz ein Warnstreikfestival veranstalten.

Welche Rolle spielen Gewerkschaften in aktuellen Arbeitskämpfen noch?

Der Begriff Arbeitskampf umfasst vieles, auch der Bummelstreik oder der Dienst nach Vorschrift kann Teil eines Arbeitskampfes sein, ebenso der Kampf um bessere IT-Ausstattung. Seit mehreren Jahren sind wir in der Experimentierphase mit hybriden Aktionen, die Pandemie hat das beschleunigt. Zum Beispiel stehen Kollegen vor dem Werk auf der Straße, während diejenigen, die nicht teilnehmen können, weil sie sich etwa zu Hause um ihre Kinder kümmern müssen, über eine sechs Meter-Leinwand zugeschaltet sind.

Digitalisierung von Gegenmacht. Buchvorstellung und Diskussion mit Falko Blumenthal, Martin Seeliger und Janis Ewen. Wohl oder Übel, Wohlwillstraße 10, 20 Uhr.

Die Gewerkschaft stellt die Leinwand, oder wozu braucht es sie?

Im Arbeitskampf geht es immer auch um eine emotionale Frage. Wenn ich meiner Führungskraft meine Arbeitskraft verweigere, mache ich das nicht alleine vom Küchentisch aus. Wir brauchen dafür die Gemeinschaft. Und gerade, weil der wird Streik der Zukunft hybrid sein wird, brauchen wir die Gewerkschaften.

Wie müssen sich die Gewerkschaften aufstellen, um dem digitalen Kapitalismus etwas entgegenzusetzen?

Jahrgang 1985, ist politischer Sekretär der IG Metall München. Er berät Betriebsräte und Betriebsratsgründungsteams mit dem Schwerpunkt IT und Hochtechnologie.

Im ersten Schritt müssen wir nationale Grenzen überschreiten, so wie die Aktiengesellschaften es tun. Das erfordert organisatorische Veränderungen, weg von der örtlichen Geschäftsstelle hin zur digitalen betrieblichen Grundorganisationen, wo man in mehreren Gewerkschaften gleichzeitig sein kann. Im nächsten Schritt bedeutet es die Qualifizierung der Aktiven im Betrieb. Die Gefahr ist, dass die Organisierung zu einer One Way-Bestrahlung wird und die Beschäftigten nur noch Kunden sind. Streik muss ein Zusammenkommen sein, kein Vortrag einer Gewerkschafter*in.

Wie kann es den vereinzelten Arbeiter*innen, etwa der Lieferdienste, gelingen, eine Gegenmacht aufzubauen?

Gegenmacht wird oft im institutionellen Sinne verstanden, etwa dass man juristischen Beistand organisiert oder politischen Zugriff auf den Bundestag hat. Es können aber auch Orte sein, wo Menschen zusammen kommen. Auch digitale oder hybride Orte, wo man sich bei Stressbelastung stabilisieren kann. Ein Netzwerk über Firmengrenzen hinaus, wo man sich weg von der Beziehung des Arbeitnehmers zur Führungskraft, hin zur Gemeinschaft der Arbeiter gegen die Firmen, organisiert.

Wo liegt die Stärke des Digitalen im aktuellen Arbeitskampf?

In einer Welt, wo deutsche Firmen Ar­bei­te­r*in­nen in Indonesien anstellen können, wo dienstags bis donnerstags Büroarbeit angesagt ist, aber montags und freitags Homeoffice, kann ein Zusammenkommen der Beschäftigten nur noch mit digitalen Wegen erfolgen. Solange wir darauf bestehen, an einem Ort Streik zu machen und sich deutsche Arbeiter was rausnehmen, was die Inder oder Indonesierinnen nicht kriegen, werden wir immer langfristig scheitern.

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