Von der Straße auf die Bühne

Ab Mittwoch bespielen lokale (Jugend-)Ensembles und internationale Kollektive fünf Tage lang die Volksbühne. Die siebte Ausgabe des CommUnity-Kulturfestivals Festiwalla sagt an: „Keine Angst! Klassenk*mpf?!“

Von Alissa Geffert

Aus dem Probenkeller des Theater X in Moabit schleppen die Spie­le­r*in­nen des Jugendensembles „NeXt Generation“ Trommeln, Becken, Pedale und andere Teile eines Schlagzeugs hoch zur größeren Probebühne. Oben wartet bereits die Band auf sie – sie wollen sich einspielen. Es klappert und scheppert auf den Treppen, einige lachen, „Beeilung!“, ruft jemand von der Seite.

Es ist der Tag der Generalprobe von „J. from the Block“, einem „more or less Brecht lipsync Musical“, wie die Spie­le­r*in­nen des jungen Ensembles ihr Stück selbst beschreiben. „J. from the Block“ beschäftigt sich mit den Arbeitskämpfen der Rider von Lieferdiensten wie Lieferando, Wolt, Flink oder Gorillas. Und verbindet diese mit keiner Geringeren als Brechts heiliger Johanna der Schlachthöfe – und diversen popkulturellen und musikalischen Referenzen.

„Brecht hat schon vor 100 Jahren geschrieben, wer im Kapitalismus in den Schlachthof kommt, aber wer kommt 2024 unter die Räder?“, steht auf dem Programmzettel. In der Entwicklung des Stücks standen die Moabiter „NeXties“ in engem Kontakt mit den Ku­rier­fah­re­r*in­nen der Lieferdienste und ihren Workers Collectives, einer Art selbstorganisierten Arbeiter*innenvertretung.

Inzwischen haben sich die Trommeln, Becken und Drumsticks zu einem Schlagzeug geformt und die Band fängt an zu spielen. Einige der Ensemblemitglieder zuppeln noch etwas nervös an den Vorhängen und Kostümen. Wenig später singen sie in neonfarbener Rider-Uniform sowie passendem Rucksack und Helm „Been spendin' most of my life, livin' capitalist paradise“ auf der Probebühne.

Die Zeit drängt, es sind nur noch wenige Tage, bis das Musical mit seinen bunten Ridern und Rädern von der Moabiter Probebühne auf die große Berliner Volksbühne ziehen wird. Das NeXt-Generation-Ensemble eröffnet dort am Mittwochabend mit ihrem Musical das mittlerweile siebte CommUnity-Kulturfestival Festiwalla, das kollektiv vom Theater X organisiert wird.

„Es ist eine große Sache für uns, das ist eine der größten Theaterbühnen Berlins!“, betont Rami El, der in dem Stück mitspielt. Die bisherigen Ausgaben des Kulturfestivals hatten in vergleichsweise kleinerem Umfang stattgefunden. Gleich geblieben aber ist seit Tag eins des Festivals ihr Teamruf „Yalla, Yalla, Festiwalla!“.

Das Projekt Festiwalla wird vom Theater X organisiert. Dabei handelt es sich um ein selbstorganisiertes CommUnity Theater in Moabit. Seit fast 15 Jahren werden hier Stücke von und für Jugendliche und junge Erwachsene inszeniert.

Im Fokus stehen ihre ganz eigenen, unterschiedlichen Geschichten – hier wird Kultur gegen rechts gelebt. Auch auf der Straße sind die Jugendensembles aktiv und organisieren Aktionen wie etwa Performances und Demos.

Das Theater X ist ein Kulturprojekt der Initiative Grenzen-los! – Verein für emanzipative Bildung und kulturelle Aktion. Unterstützen kann man es, indem man Fördermitglied des Trägervereins wird.

Dieses Jahr stehen Erzählungen von Arbeiter*innenkämpfen, Solidarität und Widerstand im programmatischen Fokus des Festiwalla, das sich daher groß mit „Keine Angst! Klassenk*ampf?!“ ankündigt. Fünf Tage lang werden Schauspie­le­r*in­nen und Ak­ti­vis­t*in­nen zusammengebracht, es wird sich empört und ausgetauscht.

Dafür haben sich beim Theater X etliche lokale und internationale Gruppen beworben, die sich in ihren Theaterstücken, Performances, ihrer Musik, Rap, Tanz oder in Installationen aus marginalisierten Perspektiven und Positionen heraus mit dem Thema Klasse beschäftigen. Von den NeXties aus Moabit bis hin zu Kollektiven aus Palästina, Bolivien, Spanien, Italien, Chile oder Nigeria.

„Das Festiwalla blickt dieses Mal auf Klasse und Klassenkämpfe – aus so vielen Perspektiven“, sagt Gwen Lesmeister, Mit­be­grün­de­r*in von NeXt Generation. „Wir müssen das global anschauen, im Kontext von Ausbeutung, Migration und Grenzregimen.“ Auch die Kunstwelt und ihre Institutionen werden in diskursiven Formaten hinterfragt: „Welche Kunst ist Klasse? Von der Kultur im Klassenkampf“ heißt etwa ein international besetztes Panel, das am Samstagnachmittag im Foyer der Volksbühne stattfinden wird – mit mehrfacher Simultanübersetzung.

Die Wahl der Volksbühne als Spielort für das diesjährige Kulturfestival ist dabei keineswegs zufällig: Immerhin wurde das Theater für die Ar­bei­te­r*in­nen­klas­se gegründet und eignet sich daher perfekt für das diesjährige Motto des Festiwalla. Dass ein selbstorganisiertes Community-Theater wie das Theater X die große Volksbühne bespielen darf, ist durchaus außergewöhnlich. Aber höchste Zeit, findet Gwen Lesmeister. Kulturproduktion aus den Kiezen und von der Straße gehöre auf die große Bühne. Davon würden am Ende alle profitieren. „Wir wollen die Volksbühne damit aktualisieren, die aus der Kultur der Arbeitskämpfe entstand.“

Lesmeister kritisiert, dass seit dem Ende der Pandemie die „unentbehrlichen Arbeiter*innen“ nicht mehr im Fokus stehen. Dabei seien die Krisen und der Widerstand dagegen nicht weniger geworden, sondern mehr. „Alles ist teurer geworden und viele Kiezorte machen zu. Das betrifft vor allem Jugendliche.“ Wichtig ist Lesmeister daher vor allem eins: „Das Festiwalla soll Bock und Hoffnung machen!“

Es spielen Kollektive aus Deutschland, Palästina, Bolivien, Spanien, Italien, Chile oder Nigeria

Ein kurzer Blick auf das Programm des Kulturfestivals zeigt, dass der Aspekt der CommUnity – „mit großem U!“ –, wie Hala Mustafa vom Orga-Team des Theater X stets betont, im Vordergrund steht. Eine Blockparty, ein Tanzabend, eine Kiezführung und Straßenperformances sind angekündigt. Die Theater-X-Maxime – auf der Bühne und auf der Straße aktiv zu sein – gilt für diese fünf Tage auch für die Volksbühne, die damit womöglich ein breiteres Publikum erreicht.

Auch die Eintrittspreise sind auffallend günstiger als im Repertoirebetrieb. Die Frage, die sich das „J. from the Block“-Ensemble vor allem stellt, ist, ob das deutschsprachige Sprechtheater zu einem Ort von und für Ar­bei­te­r*in­nen­kin­der werden kann. Menschen, die zusätzlich oft noch eine andere Marginalisierungserfahrung durch Migrationshintergrund oder Queerness erleben.

Die Frage, wie sie sich emanzipieren, wehren und ermächtigen können, soll im großen Bühnenraum auf den rot besäumten Stühlen unter dem massiven Kronleuchter und in allen verfügbaren roten und grünen Salons dieser Institution Platz finden. Aber eben nicht nur in der Volksbühne selbst, sondern auch in der Öffentlichkeit sollen die Stimmen des Festiwalla einen Platz bekommen. Ganz sicher sind sich die Rider-Schauspieler*innen mit ihrem Anliegen vor allem darin: Ausgeliefert ist hier niemand. „Power schöpfen und Solidarität, darum geht es!“, sagt Rami El.

Was sind für das Ensemble die Highlights? „Dass wir dort alle zusammenkommen und dass wir sehen dürfen, was die anderen Gruppen uns erzählen wollen“, sagt Rami El. Für Gwen Lesmeister ist das Stück The Migrant von Illuminatetheatre Productions ein Muss. Sie seien schon länger mit ihnen in Kontakt, durch das Festival hatten sie die Gelegenheit, das Ensemble aus Nigeria auch auf die Bühne zu bringen.

Eröffnet wird das Festival vom MoabiterJugendensemble „NeXt Generation“ mit einem Stück über die prekäre Arbeit von Ridern Foto: Veronica Schiavo

The Migrant ist eine Tanzperformance, die sich am Freitagabend – ebenfalls auf der großen Bühne – kritisch mit Migration und ihren verschiedenen Diskriminierungsformen auseinandersetzt. Die Künst­le­r*in­nen arbeiten dabei ähnlich communityorientiert wie das Theater X und beziehen in ihre Performance ihre Erfahrungen sowie wissenschaftliche Arbeiten mit ein.

Zurück zur Generalprobe auf der kleinen Moabiter Probebühne: „Lass uns kurz die Stimmen warm machen, dann geht es aber wirklich los!“, ruft Regisseurin Annika Füser vom Lichtpult zu den bunten Ridern herunter. Die hatten zuvor ihre zu ihren Kostümen farblich passenden Requisiten-Räder auf die Bühne gerollt. Ihre viereckigen Rucksäcke – in die sicher 30 Pizzen passen – stellen sie nun schnell auf dem Bühnenboden ab und verschwinden in quietschender Uniform hinter dem Vorhang.

Am Mittwochabend werden sich die Räder der bunten Rider dann gewissermaßen im berühmten Räuberrad der Volksbühne spiegeln. Damit das Rad sich weiterdreht im Klassenkampf.