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Hatessichgelohnt?

Nach der Wende hat der Fotograf Martin Fejer Berlin in den Blick genommen – und 30 Jahre später noch einmal nachgeschaut

Von Uwe Rada

Städte sind Orte von Veränderung, nicht selten auch von Brüchen. Wenn ein Reisender nach Jahren in eine Stadt zurückkehrt und alles ist noch an seinem Platz, ist der Gedanke nicht weit: Das ist ja keine Stadt, das ist ein Dorf.

Berlin war vor dem Fall der Mauer die Summe zweier Dörfer. Zur Stadt wurde es erst später, und bis heute weiß keiner, ob sich dieses Stadtwerden gelohnt hat. Zumindest keiner von denen, die vom Jetzt das Vorher kennen.

Oben: Nur eine Attrappe ist das Stadtschloss 1993. Neben ihr steht (nicht im Bild) der Palast der Republik. Wie soll die Berliner Mitte aussehen? Ein Jahr später wird der Marx-Engels-Platz in Schlossplatz umbenannt. –Unten: 30 Jahre später ist aus der Attrappe Realität geworden. Die Schlosshülle beherbergt das Humboldt Forum. Geblieben ist im Hintergrund das ehemalige Staatsratsgebäude. Der Schlossplatz ist gepflastert – und autofrei

Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass das Stadtwerden über einen gekommen ist. Dass es nicht gewachsen ist, aus sich heraus entstanden und begleitet vom Zutun vieler, sondern gelandet ist ohne richtige Landeerlaubnis. So wie der neue Potsdamer Platz, den man nur schwer mit dem historischen vergleichen kann, dem mondänen, einst verkehrsreichsten Platz Europas mit der ersten Lichtzeichenanlage überhaupt.

Aber eben auch nicht mit dem Todesstreifen, der der Potsdamer Platz nach dem Krieg bis zum Fall der Mauer und noch einige Jahre darüber hinaus gewesen war. Der Fotograf Martin Fejer hat verschiedene Orte in Berlin in den Jahren 1994 bis 1996 fotografiert und ist 2023 noch einmal an den Ort seiner früheren Arbeiten zurückgekehrt. Seinem Zyklus über das Stadtwerden in Berlin, von dem die taz an dieser Stelle einige Arbeiten vorstellt, hat Fejer den Titel „Metropolis Berlin Transition“ gegeben.

Oben: Ein Bild wie aus Wim Wenders’ Film „Himmel über Berlin“. Curt Bois alias Homer fragte damals, wo der Potsdamer Platz sei. Auch 1994 war dort nicht viel mehr zu sehen als die Ruine des Hotels Esplanade. Nur das Schild „Sony“ verweist auf Neues. –Unten: Als Sony am Potsdamer Platz bauen wollte, sollte das Esplanade abgerissen werden. Doch der übrig gebliebene Kaisersaal stand unter Denkmalschutz. Also wurde er 75 Meter verschoben, damit er ins Sony Center passt. Geschichte als Passstück für die Gegenwart

Dass gerade Berlin zum Versuchsfeld einer urbanen „Transition“ geworden ist, hat natürlich mit seinem Status quo ante zu tun. Wo sich andere Metropolen in Europa nach dem Krieg fortentwickelt haben und mit der Zeit gingen, lag die Mauerstadt Berlin, fast luftdicht verpackt, unter einer Käseglocke.

Der abrupte Übergang von der Stadtkante in Lichtenrade ins Umland ist noch ein Relikt dieses Stillstands, aber auch das langsame Auslaufen der urbanen Umgebung ins Dörflich-Ländliche, wie man es beobachten kann, wenn man von Pankow Richtung Norden fährt.

Im Zentrum der Stadt stand lange Zeit das ehemalige Regierungsviertel im Spreebogen mit der Schweizer Botschaft als baulichem Relikt für diesen Stillstand. Das Regierungsviertel als Schicht, die nun darüber liegt, ist zugleich ein Hinweis darauf, in welchen Etappen sich die Stadtwerdung Berlins vollzogen hat. Auf die kapitalistische Inbesitznahme des Potsdamer Platzes durch Daimler und Sony folgte nach dem Umzugsbeschluss des Bundestags 1999 der Umbau Berlins zur repräsentativen Hauptstadt, auch wenn dieser ohne die Prämisse, wo es möglich ist, in Bestandsbauten zu ziehen, noch radikaler hätte ausfallen können.

Oben: Abreißen oder reparieren? Und wie umgehen mit DDR-Bauten wie dem Hotel Unter den Linden im Hintergrund? Nach der Wende wurde Berlin zum Austragungsort eines erbitterten Architekturstreits. –Unten: Statt Neues zu wagen, geht Berlin den Weg der „kritischen Rekonstruktion“. Altes wird integriert, wo die Architektur vom historische Straßengrundriss abweicht, wird abgerissen. Das Hotel Unter den Linden gibt es nicht mehr

Die vorerst letzte Etappe ist vielleicht die folgenreichste, folgt sie doch einer geschichtspolitischen Schubumkehr. Nicht mehr die Zukunft steht in der Sichtachse des Bauens, sondern, aus Gründen der Übersichtlichkeit, die vermeintlich sinnstiftende Vergangenheit. Da kann dann auch eine gut gemeinte Institution wie das Humboldt Forum den Schaden nicht wieder wettmachen, den der Nachbau des ehemaligen Preußenschlosses angerichtet hat.

Oben: Das historische Alsenviertel im Spreebogen fiel dem Krieg zum Opfer. Vom Botschafterviertel blieb nur die Schweizer Vertretung übrig. Eine Hinterlassenschaft, zu der sich bald andere gesellten. –Unten: Heute befindet sich im Spreebogen neben der Schweizer Botschaft das Regierungsviertel. Auch Spaziergängerinnen zieht es hierher. Die meisten Touristen bevorzugen die neue Promenade an der Spree

Oft wird, wenn die Mieten wieder einmal gestiegen sind, die Frage gestellt: Wem gehört die Stadt? Eine große Frage. Vielleicht kann man sie auch kleiner stellen. Wem gehört die Veränderung? Wer verdient daran. Wer zieht aus ihr seinen Nutzen?

Denn Städte sind nicht nur Orte der Brüche und Transformation, sondern auch einer zunehmenden Entfremdung. Räume, die mit einem Fragezeichen versehen waren und deshalb keinem und vielen gehörten, weichen denen mit einem Ausrufezeichen.

Oben: Der Umzug vom Rathaus Schöneberg in den ehemaligen Preußischen Landtag war erst ein Jahr her, und schon war um das Abgeordnetenhaus ein Bannkreis gezogen. Auch wenn er vorerst nur eine Baustelle bannte. –Unten: Die Baustelle ist Geschichte. Gebannt schauen Passanten nun auf ein Bürohaus, wie es viele gibt zwischen Abgeordnetenhaus und Potsdamer Platz. Systemarchitektur meets Systemgastronomie

So war und ist es in Berlin wohl wie in kaum einer anderen Stadt.

Aber will man deshalb in einem Dorf leben?

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