: Hatessichgelohnt?
Nach der Wende hat der Fotograf Martin Fejer Berlin in den Blick genommen – und 30 Jahre später noch einmal nachgeschaut
Von Uwe Rada
Städte sind Orte von Veränderung, nicht selten auch von Brüchen. Wenn ein Reisender nach Jahren in eine Stadt zurückkehrt und alles ist noch an seinem Platz, ist der Gedanke nicht weit: Das ist ja keine Stadt, das ist ein Dorf.
Berlin war vor dem Fall der Mauer die Summe zweier Dörfer. Zur Stadt wurde es erst später, und bis heute weiß keiner, ob sich dieses Stadtwerden gelohnt hat. Zumindest keiner von denen, die vom Jetzt das Vorher kennen.
Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass das Stadtwerden über einen gekommen ist. Dass es nicht gewachsen ist, aus sich heraus entstanden und begleitet vom Zutun vieler, sondern gelandet ist ohne richtige Landeerlaubnis. So wie der neue Potsdamer Platz, den man nur schwer mit dem historischen vergleichen kann, dem mondänen, einst verkehrsreichsten Platz Europas mit der ersten Lichtzeichenanlage überhaupt.
Aber eben auch nicht mit dem Todesstreifen, der der Potsdamer Platz nach dem Krieg bis zum Fall der Mauer und noch einige Jahre darüber hinaus gewesen war. Der Fotograf Martin Fejer hat verschiedene Orte in Berlin in den Jahren 1994 bis 1996 fotografiert und ist 2023 noch einmal an den Ort seiner früheren Arbeiten zurückgekehrt. Seinem Zyklus über das Stadtwerden in Berlin, von dem die taz an dieser Stelle einige Arbeiten vorstellt, hat Fejer den Titel „Metropolis Berlin Transition“ gegeben.
Dass gerade Berlin zum Versuchsfeld einer urbanen „Transition“ geworden ist, hat natürlich mit seinem Status quo ante zu tun. Wo sich andere Metropolen in Europa nach dem Krieg fortentwickelt haben und mit der Zeit gingen, lag die Mauerstadt Berlin, fast luftdicht verpackt, unter einer Käseglocke.
Der abrupte Übergang von der Stadtkante in Lichtenrade ins Umland ist noch ein Relikt dieses Stillstands, aber auch das langsame Auslaufen der urbanen Umgebung ins Dörflich-Ländliche, wie man es beobachten kann, wenn man von Pankow Richtung Norden fährt.
Im Zentrum der Stadt stand lange Zeit das ehemalige Regierungsviertel im Spreebogen mit der Schweizer Botschaft als baulichem Relikt für diesen Stillstand. Das Regierungsviertel als Schicht, die nun darüber liegt, ist zugleich ein Hinweis darauf, in welchen Etappen sich die Stadtwerdung Berlins vollzogen hat. Auf die kapitalistische Inbesitznahme des Potsdamer Platzes durch Daimler und Sony folgte nach dem Umzugsbeschluss des Bundestags 1999 der Umbau Berlins zur repräsentativen Hauptstadt, auch wenn dieser ohne die Prämisse, wo es möglich ist, in Bestandsbauten zu ziehen, noch radikaler hätte ausfallen können.
Die vorerst letzte Etappe ist vielleicht die folgenreichste, folgt sie doch einer geschichtspolitischen Schubumkehr. Nicht mehr die Zukunft steht in der Sichtachse des Bauens, sondern, aus Gründen der Übersichtlichkeit, die vermeintlich sinnstiftende Vergangenheit. Da kann dann auch eine gut gemeinte Institution wie das Humboldt Forum den Schaden nicht wieder wettmachen, den der Nachbau des ehemaligen Preußenschlosses angerichtet hat.
Oft wird, wenn die Mieten wieder einmal gestiegen sind, die Frage gestellt: Wem gehört die Stadt? Eine große Frage. Vielleicht kann man sie auch kleiner stellen. Wem gehört die Veränderung? Wer verdient daran. Wer zieht aus ihr seinen Nutzen?
Denn Städte sind nicht nur Orte der Brüche und Transformation, sondern auch einer zunehmenden Entfremdung. Räume, die mit einem Fragezeichen versehen waren und deshalb keinem und vielen gehörten, weichen denen mit einem Ausrufezeichen.
So war und ist es in Berlin wohl wie in kaum einer anderen Stadt.
Aber will man deshalb in einem Dorf leben?
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