Ruth Westheimer gestorben: Sie demokratisierte den Sex

Ruth Westheimer machte das Reden über Sex salonfähig. Nun ist die Sexualtherapeutin im Alter von 96 Jahren in New York gestorben. Ein Nachruf.

Ruth Westheimer.

„Sprechen Sie von morgens bis abends über Sex. Das hält jung“, riet Soziologin Ruth Westheimer Foto: xNathanxDenettex

BERLIN taz | Von all jenen Menschen, die sich öffentlich mit Sex beschäftigen, war sie wohl die lässigste: Ruth Westheimer. Zum Beispiel dieser Rat von ihr an Frauen: „Wenn Sie Sex mit Ihrem Partner haben und dabei an eine ganze Fußballmannschaft denken, ist das in Ordnung. Aber halten Sie den Mund!“ Oder ihre Antwort auf die Frage, was sie von Sex mit einem Hund halte: „Was soll ich dazu sagen, ich bin ja keine Veterinärin.“

Solche Sätze wird man nun nicht mehr hören, die Sexualtherapeutin, Soziologin und Bestsellerautorin ist am Freitag im Alter von 96 Jahren in New York gestorben. Vermutlich lebte „Dr. Ruth“, wie sie auch genannt wird, so lange, weil sie einen ihrer Ratschläge selbst beherzigte: „Sprechen Sie von morgens bis abends über Sex. Das hält jung.“

In ihrer 15-minütigen US-Radiosendung „Sexually Speaking“, die in den 1980er Jahren von Sonntag auf Montag kurz vor Mitternacht lief, vermochte sie es, das damalige Schmuddelthema Sex zu enttabuisieren. So empfahl sie Sexspielzeug als „wunderbare Sache“: Wenn jemand 45 Minuten brauche, um zum Orgasmus zu kommen, der andere aber nur zehn Minuten Zeit habe, sei das doch die praktikabelste Lösung für ein sonst unlösbares Problem. Was als Subtext auch mitschwingt: So ein Quickie (im Büro) ist auch okay.

Das war nicht nur in den USA, wo West­heimer damals lebte, sondern auch in Europa – trotz der sexuell stets frei verfügbaren 68er, der Sextoy-Königin Beate Uhse und des Intimchefaufklärers Oswalt Kolle – eine Revolution. Sie vermochte es, über Sex so unaufgeregt wie selbstverständlich zu reden, als ginge sie mal eben zum Friseur. Und dabei den Frauen ohne feministische Worthülsen mitzuteilen: Lasst euch von Männern sexuell nicht verarschen. Eine Anruferin ihrer Radiosendung versuchte sie zu beruhigen: „Sagen Sie ihm, dass Dr. Westheimer gesagt hat, dass er nicht sterben wird, wenn er eine Woche lang keinen Sex hat.“

Das einzige Tabu: ihr eigenes Sexleben

Ihr gelang das Kunststück, das Verständnis von Sex zu demokratisieren und gleichermaßen traditionelle Werte zu feiern. Sie plädierte dafür, sich trotz gemeinsamer Kinder scheiden zu lassen, wenn die Ehe nicht mehr läuft, und befürwortete gleichzeitig partnerschaftliche Treue. Sie selbst war drei Mal verheiratet – heute würde man sagen, sie präferierte die serielle Monogamie. Sie setzte sich ebenso für Abtreibungen wie für LGBTIQ-Rechte ein, insbesondere in der Hochzeit von HIV und Aids.

Das Leben der Ruth Westheimer verlief nicht so reibungslos wie ihre Karriere als Sextalkerin. Als Ruth Karola Siegel wurde sie 1928 in der Nähe von Frankfurt am Main geboren. Ihr Vater wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, ihre Mutter galt als verschollen. Sie selbst kam mit einem Kindertransport in die Schweiz und überlebte den Zweiten Weltkrieg in einem jüdischen Kinderheim.

Später ging sie nach Paris und Palästina, wo sie in der zionistischen Untergrundbewegung Hagana aktiv war. Seit 1956 lebte Westheimer in den USA, besaß aber seit 2007 wieder die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihre jüdische Prägung habe ihr beruflich immer geholfen, sagte sie einmal in einem Interview: weil Sex nie eine Sünde war.

Wie sie selbst Sex auslebte, ist nicht bekannt. Denn einer der Grundsätze von Ruth West­heimer war auch: „Über mein eigenes Sex­leben spreche ich nie. Das geht niemanden was an.“ Offenbar ihr einziges Tabu in Sachen Sex.

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