Karina Urbach Blast from the Past
: Kein Toaster mehr übrig

Die Spielshow „Queen for a Day“ war in den 1940er und 50er Jahren eine beliebte Sendung im US-Fernsehen. Der Moderator versprach den Teilnehmerinnen Verlockendes. Eine von ihnen würde er zur Königin für einen Tag machen – samt Krone, Thron und roter Rosen. Vorher mussten sie jedoch einem Millionenpublikum ihre Leidensgeschichte erzählen.

Wer die grauenhaftesten Dinge erlebt hatte – Armut, kranke Kinder, prügelnde Ehemänner und Wohnungsbrände –, bekam Geld und eine Waschmaschine. Wer nicht ausreichend gelitten hatte, konnte nur noch auf den Toaster hoffen. Teilnehmerinnen mit schauspielerischem Talent hatten bei der Show die besten Chancen. Umso gekonnter sie schluchzten umso mehr klatschten die Zuschauer im Studio, was das Studiobarometer nach oben trieb.

Kurz vor dem ekstatischen Höhepunkt wurde der seelische Striptease mit Werbeeinblendungen unterbrochen: Kühlschrank-, Schuh- oder Modefirmen priesen ihre Produkte an. Die Leidenskönigin des Tages bekam am Ende den gesamten Plunder geschenkt. Lange bevor der Begriff Greenwashing erfunden wurde, konnten sich Firmen so als „karitativ engagiert“ und „frauenaffin“ verkaufen.

Das Konzept von „Queen for a Day“ scheint auch auf britische Wahlsendungen starken Einfluss genommen zu haben. In den letzten Wochen mussten sich fast alle Politiker seelisch ausziehen, um zu punkten. Rishi Sunak und Sir Keir Starmer betonten unermüdlich ihre Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen (der eine Kind indischer Einwanderer, der andere Sohn eines Werkzeugmachers). Übertrumpft wurden sie jedoch eindeutig von der Labourpolitikerin Angela Rayner. Sie wuchs als armes Kind einer bipolaren Analphabetin auf. Rayner musste mit 16 ohne Abschluss die Schule verlassen, weil sie schwanger geworden war. Sie erarbeitete sich den Weg aus dem Schlamassel mithilfe der Gewerkschaften. Mittlerweile ist sie eine linke Version von Margaret Thatcher geworden und seit dem 5. Juli die Nummer zwei in Starmers Kabinett.

Starmer ist jedoch keine Reinkarnation des jungen Tony Blair, der 1997 die Menschen begeisterte. Starmer ist ein netter Langweiler, dessen Reden die Zuhörer regelmäßig in den Tiefschlaf versenken. Seine Partei gewann zwar am 4. Juli dank des Mehrheitswahlrechts 411 Sitze, aber nur 33,7 Prozent der Stimmen.

In Wirklichkeit war die Wahl eine emotionale Abrechnungsorgie. Die Wähler konnten sich nur auf einen Punkt einigen: Die Tories hatten fulminant versagt und mussten bestraft werden. Davon profitierten, abgesehen von Labour, auch die Liberalen und die Reformpartei. Obwohl der Liberale Ed Davey nur clowneske Stunts absolvierte, die an Guido Westerwelles Tourbus-Zeiten erinnerten, erhielt er dafür am Ende 72 Sitze. Aus Protest wurde auch Nigel Farages Partei Reform gewählt. Mit seinen Warnungen vor Migration erhielt er über 4 Millionen Stimmen. Reform sorgte auch dafür, dass die konservative Partei restlos implodierte. Während die Tories sich in den nächsten fünf Jahren mit Schuldzuweisungen zerfleischen werden, hat Reform jetzt die Chance, zur großen rechten Oppositionspartei aufzusteigen. Bei der nächsten Unterhauswahl 2029 wird sie ein ernst zu nehmender Gegner für Labour werden.

Wie gefährlich es ist, das Thema Migration Nigel Farage zu überlassen, hat Tony Blair gerade in einem Artikel in der Sunday Times dargelegt. Es ist nicht das einzige Problem für Starmer. Die Kassen sind leer, und es gilt, unbeliebte Entscheidungen zu treffen. Der neue Premierminister wird viele verzweifelte Geschichten von sozialer Ungerechtigkeit hören. Rote Rosen wird es für die Bittsteller mit Sicherheit nicht regnen. Die Frage wird eher sein: Wer bekommt wenigsten noch einen Toaster?

Karina Urbach ist Historikerin in London.