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Parlamentswahl in FrankreichMacrons gescheiterte Querfront

Einst wurde Macrons Bewegungs-Partei als Revolution gefeiert. Nun wird klar: Sie hat die demokratische Mitte nicht geeint, sondern auseinandergetrieben.

Wahlveranstaltung in der Pariser La Defense von Emmanuel Macron vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2022in der Pariser La Defense Foto: Julien Mattia/LePictorium/imago

I m Jahr 2017 träumten wir in Warschau von einem Präsidentschaftskandidaten wie Emmanuel Macron. In den USA war Donald Trump bereits an der Macht. In Europa war der Brexit noch nicht ganz verdaut. In Polen testete die Partei Recht und Gerechtigkeit von Jarosław Kaczyński, wie weit sie mit ihrer harten Linie gehen konnte. An der Seine hingegen unterstützten die Wähler nicht nur einen Befürworter der Europäischen Union und der liberalen Demokratie, sondern auch die Idee, das Land auf eine neue Grundlage zu stellen.

Die Idee Macrons war einfach: Die alten Parteien sind tot. Sie müssen auf dem politischen Friedhof begraben werden. An ihrer Stelle sollte eine starke zentristische Partei entstehen, um die Extremisten zu blockieren. Der Plan hat funktioniert. In der Tat wurden die Sozialdemokraten und die Mitte-rechts-Parteien zerschlagen. Enthusiasten, Aktivisten und ehemalige Parteipolitiker drängten in Macrons neue Partei.

Bei den Parlamentswahlen gelang ihm ein beispielloser Sieg in der Geschichte der Fünften Französischen Republik. Im Jahr 2022 trat er erneut gegen Le Pen an. Die Wiederwahl gewann er, wenn auch schon mit einem geringeren Vorsprung. Bei diesen Parlamentswahlen deutet alles darauf hin, dass Macron völlig untergeht. Was hat sich geändert?

Seit 2002 fordern die Gegner der extremen Rechten in Frankreich die Errichtung einer republikanischen Brandmauer. In jenem Jahr schaffte es Jean-Marie Le Pen in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen, und selbst seine linken Gegner stimmten für den Konservativen Jacques Chirac. Diese Front bildete sich, weil die extreme Rechte unter Le Pen als Bedrohung für die Republik gesehen wurde. Macron hat diese Art des Kampfes um Stimmen übernommen. Bei der Europawahl war die Panikmache wieder stark ausgeprägt, und auch bei der aktuellen Parlamentswahl zeigt sie sich. Das Ergebnis? Le Pens Partei gewinnt an Boden. Sie hat in der ersten Runde der Wahl 9,4 Mil­lio­nen Stimmen erhalten.

Wenn es um Populismus geht, funktioniert es nicht, die Wähler zu beschämen und ihnen Angst zu machen. Heute schämt sich in Frankreich niemand mehr, unter seinem Namen zu sagen, dass er oder sie für die extreme Rechte stimmt. Die Warnung vor dem Faschismus funktioniert nicht.

Was funktioniert?

Welche Strategien funktionieren? Für den Durchschnittsbürger gibt es in Frankreich wie in Deutschland und Polen keinen Mangel an Problemen. Der radikale und schnelle Wandel der Welt, in der wir leben, die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die Migration, die Klimakrise, die Inflation, zahlreiche bewaffnete Konflikte … Der Schlüssel liegt darin, Themen so anzugehen, dass Lösungen aufgezeigt werden und die Diskussion nicht in Extreme und Radikalität abgleitet. Wir wissen, dass es für Demokraten nicht ausreicht, ihren Gegner persönlich anzugreifen. Es ist notwendig, mit den Wählern über das konstruktive Programm zu sprechen und im Dialog zu bleiben.

Macron hat die Wahlen so schnell ausgerufen, dass nicht einmal Zeit war, seine Vorschläge bekannt zu machen. Macrons Scheitern bedeutet auch, dass die französische Hilfe für die Ukraine, die Ideen für den Aufbau einer europäischen Verteidigung oder für die Eindämmung von Putin infrage gestellt werden. Die ganze diplomatische Arbeit der letzten Jahre könnte in den Papierkorb wandern.

So endet der Taschenmachiavellismus in einer Demokratie. Vernünftigen Vorhersagen zufolge wird Frankreich in Schlägereien über die Auslegung der Verfassung und in parlamentarischer Anarchie versinken. Der Macronismus von 2017 bis 2024 endet mit dem Erstarken der extremen Parteien. Das ist eine wichtige Lektion.

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11 Kommentare

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  • Bleibt die Frage, warum es nicht gelingt, Parteien außerhalb des demokratischen Rahmens von den Wahlen auszuschließen. Gelingt weder mit dem Front National von Le Pen noch mit der AfD.

    • @Brombeertee:

      Es gelingt zum Glück noch nicht.

      Wenn die regierenden Parteien, den demokratischen Rahmen, so definieren, dass nur sie innerhalb dieses Rahmens sind, hört die Demokratie auf.

      Wir sehen das bei dem Gesetz über die Finanzierung über die politischen Stiftungen der Parteien.

  • Wenn die Regierung nicht die realen Probleme der Menschen lösen will, werden die Menschen, eine andere Regierung wählen.

    Wer keine andere Politik machen will, und sich selbst als die einzig legitime Lösung betrachtet, ist Teil des Problems.

  • Es ist in D sogar noch ein bisschen schlimmer. Was sollen Wählende in einer Demokratie denn machen? Fakt ist: Die "Etablierten" Parteien liefern nicht. Cducsu sieht keine Probleme oder verursacht sie. Die Ampel redet vielleicht über Probleme oder Lösungen aber sie liefert keine Erfolge. Standardantwort der Polit-Theoretiker :gründet eigene Parteien und macht es selbst.



    Haben damals ein paar Unzufriedene mit der Wirtschaftspolitik gemacht.



    was ist passiert? Rechtsradikale mit viel Geld im Hintergrund habe die Partei in einem Handstreich übernommen und mit neuen Zielen ausgestattet. Funktioniert also auch nicht.



    versuch 2 läuft bei BSW. Ob auch der Verein von anderen übernommen wird?

  • "Der Schlüssel liegt darin, Themen so anzugehen, dass Lösungen aufgezeigt werden und die Diskussion nicht in Extreme und Radikalität abgleitet."

    Für mich klingt das richtig und einfach, die Umsetzung scheint im politischen Tagesgeschäft aber nicht möglich oder gewollt zu sein.

  • Nö.

    Macron fand ich von Anfang an einen Neoliberalen, im Sinne von Hayek und Friedman.

    Hauptsache der Markt ist frei, scheiss auf die Menschen (wer das bezweifelt schaue mal auf die Diktatur in Chile damals).

    Er hat sein "Kapital" bei den Linken konsequent mit "entweder ICH oder Le Pen" aufgebraucht.

    Die Linken (oder genügend davon) haben sich dann die Nase zugehalten.

    Mittlerweile ist das weitgehend durch.

    Und immer noch (siehe Philippe und Macron) faseln die von "links und rechts".

    Wir gegen alle. Koste es, was es wolle. Hauptsache, die Reichen müssen keine Steuer zahlen.

  • "Einst wurde Macrons Bewegungs-Partei als Revolution gefeiert. Nun wird klar: Sie hat die demokratische Mitte nicht geeint, sondern auseinandergetrieben."

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    Das Resultat muss doch allen von Vornherein klar gewesen sein.



    Die große Koalition hat ja genau denselben Effekt, nämlich die Stärkung der AFD. Sowohl Le Pen als auch AFD können mit Themen Wahlkampf betreiben, die an der eigentlichen Verelendung des Sozialstaats weit vorbei argumentieren, nämlich mit ihren Reizthemen Islam, Einwanderung, etc.

    Und wer stürzt inzwischen unter den wesenden volkswirtschaftlichen Bedingungen (Stichwort: Erbschaftvermögen vs. Gehälter, Steuerhinterziehung, Arbeitsrecht, Arbeitsintensivierung) nicht alles aus Anschlussnähe zum Bürgertum. Die Klientelpolitik der professionalisierten "Volks"Parteien treibt das ja radikal voran.



    -



    In Australien. Nur eine Handvoll der Parlamentarier besitzt keine Investmentimmobilie. Im Land herrscht akuter Wohnungsmangel. An den Stadträndern auf Parkplätzen von Grünanlagen leben nun arbeitende Menschen der unteren Mittelschicht in ihrem Auto, wohnungslos. Der soziale Wohnungsbau stockt nicht nur, sondern geht sogar zurück (unter Labour). Rentierdemokratie.

  • Die Wähler sehen offensichtlich, dass ihre Probleme nicht ernst genommen werden. Wie im Artikel beschrieben gibt es eine Menge davon. Und es gibt ja nur zwei Wahrheiten: Entweder können die regierenden Parteien die Probleme nicht lösen, oder sie wollen es nicht.

    Da aus Sicht der Wähler die Problemlösung nicht oder zu langsam angegangen wird wählt man eben anders. Erst aus Protest, dann aus Überzeugung. Natürlich auch, weil man lieber einfache populistische Antworten auf komplexe Fragen hört. Das entspricht der menschlichen Psyche.

    Lösen kann man die Probleme nur, wenn eine Politik gemacht wird, die die Sorgen der Menschen erst nimmt und glaubhafte Lösungswege aufzeigt.

    • @Jens Barth:

      Aus dem Artikel: "Der Schlüssel liegt darin, Themen so anzugehen, dass Lösungen aufgezeigt werden und die Diskussion nicht in Extreme und Radikalität abgleitet."

      Ja, das stimmt und zugleich müssen wir beim Klimawandel Maßnahmen ergreifen, die extrem erscheinen. Gestern hab ich zu einem anderen Artikel geschrieben, dass die Flughäfen in Europa, bis auf ganz wenige am Rande für Interkontinentalflüge, geschlossen werden sollen, am besten sofort. Das ist sachlich sinnvoll und angemessen - aber im Diskurs erscheint es als Extrem und kann Spaltung vertiefen. Schwierige Situation

  • Macron = EGO, EGO, EGO

  • Vorschlag zur Güte: “Ambros Waibel übernehmen Sie! Gelle



    Dank im Voraus.