Comeback von Nigel Farage: Ein alter Bekannter
Großbritanniens bekanntester Rechtspopulist Nigel Farage nutzt die Wahlen 2024 für ein politisches Comeback – mit großen Ambitionen.
Labours Wiederaufstieg ist nur ein Teil der Erklärung für das absehbare Wahldesaster der regierenden Konservativen in Großbritannien. Genauso wichtig ist der Wiederaufstieg der rechtspopulistischen Opposition – verlässlich seit über zehn Jahren verkörpert von Nigel Farage.
Farages Partei „Reform UK“ liegt im Durchschnitt der Umfragen bei rund 15 Prozent. Keine andere Partei hat seit Beginn des Wahlkampfes stärker zugelegt. Aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts dürfte das nicht für mehr als eine Handvoll der 650 Sitze im Unterhaus reichen. Aber der Farage-Höhenflug könnte viele Tory-Abgeordnete um Stimmen und damit um ihre Direktmandate bringen.
Je mehr Federn die Konservativen auf diese Weise lassen, desto einfacher wird es hinterher für Farage, sich als Galionsfigur einer neuen Rechten auf den Ruinen der Tories zu präsentieren. Er sieht sich nach diesen Wahlen als Oppositionsführer, wenn nicht im Parlament, dann in der Bevölkerung. Er wolle „in den nächsten fünf Jahren eine große nationale Kampagnenbewegung im ganzen Land für echten Wandel“ aufbauen, sagte Farage vergangene Woche. Und dann? Premierminister 2029? „Absolut“, antwortete er selbstsicher.
Farage macht keinen Hehl aus seinem Ziel, die Konservativen zu zerstören. Für ihn sind Tories, Labour und Liberaldemokraten alle Teil desselben korrupten, verlogenen Establishments. Seinen Wahlkampf bezeichnet er als „Revolte“ und ruft die Volksmassen auf, sich anzuschließen.
Grinsen gegen die Grimmigen
Seine Partei erinnert beständig daran, dass über 17,5 Millionen Briten 2016 für den Brexit stimmten – jetzt könnten sie endlich auch das Land verändern. „Reform UK“ plädiert für mehr Verstaatlichungen als Labour und mehr Abschiebungen als die Konservativen, es gibt populäre Ideen wie null Einkommensteuer für Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Kuriositäten wie ein Smartphone-Verbot für unter 16-Jährige.
Die wechselnden politischen Inkarnationen Nigel Farages sind Stationen auf seinem Weg. Unter dem konservativen Premier David Cameron 2010 agitierte seine „United Kingdom Independence Party“ (Ukip) so erfolgreich für eine Volksabstimmung über die britische EU-Mitgliedschaft, dass Cameron sich gezwungen sah, dies für den Fall seiner Wiederwahl 2015 zuzusagen. Nach seinem Sieg im Brexit-Referendum 2016 ließ Farage Ukip fallen, aber als sich das Land hoffnungslos im Brexit verhedderte, gründete er die „Brexit Party“ als neues Druckmittel – sie gewann die britischen Europawahlen 2019 mit über 30 Prozent, die Konservativen kamen auf 9 Prozent.
Aus der Brexit Party wurde nach Vollzug des Brexit dann „Reform UK“. Das funktionierte zunächst nicht, Farage schien verbraucht. Aber als Premierminister Rishi Sunak Ende Mai Neuwahlen für den 4. Juli ankündigte, erklärte Farage wenige Tage später seine Übernahme der Parteiführung und seine Kandidatur fürs Parlament im südostenglischen Clacton. Er gilt dort als sicherer Sieger.
Plötzlich ist Farage also wieder da. Darauf waren die Tories überhaupt nicht eingestellt. „Look who’s back“, singt er fröhlich in einem viral gegangenen Video. Er ist der Einzige, der in diesem Wahlkampf gute Laune verbreitet. Als in einer TV-Debatte neulich eine glücklose Konservative die Bilanz der Regierung Sunak verteidigte, brauchte Farage nur zu grinsen und schon hatte er die Lacher im Publikum auf seiner Seite. Labour-Politiker hingegen grinsen in diesem grimmigen Wahlkampf nie.
Ob noch andere Reform-Abgeordnete ins Unterhaus einziehen, ist keineswegs sicher. Aber da die Partei alle möglichen Spinner anzieht, ist es für Nigel Farage möglicherweise besser, im Parlament als Alleinunterhalter zu glänzen. Er ist in seinen besten Momenten ein begnadeter Redner, leutselig und wortgewandt, witzig und direkt.
Das schützt ihn nicht vor sich selbst. Seine jüngsten Äußerungen, wonach der Westen an Putins Überfall auf die Ukraine schuld sei, haben ihn als Putin-Versteher entlarvt. Der Höhenflug von „Reform UK“ in den Umfragen scheint jetzt auch erst mal gestoppt. Der Höhenflug von Nigel Farages Ambitionen aber scheint ungebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen