80 Jahre D-Day: Weltkriegs-Sightseeing ohne Putin

Die Schauplätze des D-Days sind zu Tourispots geworden. Am Gedenktag zeigt sich, dass die Alliierten von gestern nicht die Verbündeten von heute sind.

Menschen in historischen Uniforman auf einem Bunker am Strand

Picknick zwischen Bunkern: So genannte Reenactors machen bei Sainte-Marie-du-Mont eine Pause von ihrer D-Day-Inszenierung Foto: Laurent Cipriani/dpa/ap

PARIS taz | Für die Normandie scheint es wie gestern zu sein. 80 Jahre nach dem 6. Juni 1944, als die alliierten Truppen an den Stränden der Normandie landeten, wird der runde Jahrestag mit zahlreichen Ausstellungen, Konzerten, Konferenzen, kulturellen, sportlichen und militärischen Shows zelebriert. Fans von Soldatenuniformen und Ausrüstungen nutzen die Gelegenheit, als GI verkleidet im Jeep vorzufahren und in Museen vor dem Transportmaterial der Landungstruppen zu posieren.

Der französische Präsident Emmanuel Macron gedachte am Mittwoch zu Beginn der dreitägigen Feierlichkeiten in Plumelec in der Bretagne den bretonischen Widerstandskämpfern und französischen Fallschirmjägern im Verband der britischen Spezialeinheit SAS, die in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 den Militäreinsatz „Overlord“ einleiteten.

Längst ist auch Deutschland, der ehemalige Feind, an die Festtafel geladen. Gerhard Schröder war der erste deutsche Regierungschef, der vor zwanzig Jahren dabei sein durfte: eine symbolische Geste des damaligen Präsidenten Jacques Chirac. Seine Amtsnachfolgerin Merkel traf vor zehn Jahren in der Normandie noch auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der wenige Monate zuvor die ukrainische Halbinsel Krim annektiert hatte.

Doch die Alliierten von gestern sind nicht die Verbündeten von heute. Russlands Präsident Putin ist 2024 Persona non-grata. Quasi an seiner Stelle lud der französische Präsident Emmanuel Macron als Gastgeber den ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski in die Normandie, wo er bei der internationalen Gedenkfeier am Donnerstagnachmittag in Omaha Beach unter anderem Olaf Scholz, König Charles III. und Joe Biden treffen wird. Der US-Präsident verbindet das D-Day-Gedenken mit seinem ersten Staatsbesuch in Frankreich.

Der älteste Veteranen-Teilnehmer ist 107 Jahre alt

Politisch ist das jeweilige Jubiläum immer ein Anlass, den Willen zur Zusammenarbeit unter den alliierten Siegermächten zu feiern. Beteuert wird das nicht nur in diversen Ansprachen, sondern unter anderem auch mit einer Ehrung der Truppen und einer Luftshow. Zumindest nicht mehr aktiv an der Flugeinlage teilnehmen werden die 200 Veteranen aus Großbritannien, den USA und Kanada, die zwischen 99 und 107 Jahre alt sind. Dabei sein auf den Landungsstränden mit den Namen Omaha Beach, Utah, Gold, Juno und Sword wollten sie trotz ihres hohen Alters trotzdem. Auf französischer Seite verstarb im vergangenen Jahr im Alter von 100 Jahren der als Nationalheld geehrte Franzose Léon Gautier als Letzter von 177 Marinesoldaten der „France libre“, die beim Auftakt zur Befreiung der Normandie und des restlichen Frankreichs noch beteiligt waren.

In Großbritannien begann das Jubiläum am Mittwoch mit einer Gedenkfeier in Portsmouth, an der König Charles III. und Premierminister Rishi Sunak teilnahmen. Der südenglische Hafen war einer der Ausgangsorte für den Angriff am 6. Juni 1944. Immer stellt sich für die Organisatoren dabei auch die Frage, was die Feier des militärischen Heldentums von einst zur Förderung des Friedens von heute beitragen kann. Die Soldatenfriedhöfe in der Normandie, gleich hinter den Stränden, die im Juni 1944 zu Schlachtfeldern wurden, führen der Nachwelt die hohe Zahl der Opfer dieser historischen Schlacht drastisch vor Augen.

Im französischen Fernsehen wurde zur Einstimmung zum vielleicht hundertsten Mal der Film „Der längste Tag“ gezeigt. Längst überlagert solche Kriegsverherrlichung mit ihren fiktiven Elementen für das breite Publikum die historisch überlieferten Fakten. In diesem Jahr wurde am Mittwoch mit schlichten Zeremonien erstmals auch der zivilen Opfer gedacht, die im Schwarzweiß-Kriegsepos mit John Wayne und Henry Fonda nur als Statisten vorkommen. Die Stadt Saint-Lô, auf einer Halbinsel gelegen, wurde nach der erfolgreichen Landung durch alliierte Bombardements weitgehend zerstört, rund 3.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Im Gefängnis Caen erschossen die nazideutschen Besetzer vor ihrem Abzug noch 80 Mitglieder der französischen Widerstandsbewegung, die dort in Haft saßen.

Noch leben einige der Senioren, die diese dramatischen Tage in ihrer Kindheit oder Jugend erlebt haben. Ihre Erinnerung kontrastiert mit den karnevalesken Szenen in Saint-Mère-Eglise, wo sich Touristen vor ausrangierten Panzern und Jeeps in GI-Kleidern fotografieren. Die Landungspunkte von 1944 sind für die Normandie längst zu Touristenspots geworden.

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