Umfrage zur Fußball-Nationalmannschaft: Sylt. Ein Sommermärchen

Jeder Fünfte findet die DFB-Elf zu divers. Der Bundestrainer hält Rassismus-Umfragen trotzdem für überflüssig. Wo bleibt der große Aufschrei?

Bundestrainer Julian Nagelsmann gibt Ilkay Guendogan, dem Kapitän der Deutschen Nationalmannschaft, Anweisungen.

Trainer Julian Nagelsmann mit İlkay Gündoğan: 17 Prozent finden es „schade“, dass der Kapitän der DFB-Elf türkische Wurzeln hat Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

Kurz vor der Heim-Fußballeuropameisterschaft hat der WDR die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage präsentiert: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ – 21 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage zu.

Okay, das stimmt nicht ganz. Denn jener Satz sorgte zuletzt in einem anderen Kontext für Furore: Sylter Partygäste hatten ihn gegrölt, ein Video davon ging viral und bestürzte die ganze Nation. Der Satz, dessen Mehrheitsfähigkeit die von Infratest dimap durchgeführte Umfrage testen wollte, lautete: „Ich fände es besser, wenn wieder mehr weiße Spieler in der deutschen Nationalmannschaft spielen.“ Was das Institut auch herausfand: 17 Prozent finden es „schade“, dass der Kapitän der DFB-Elf İlkay Gündoğan türkische Wurzeln hat.

Der eine Satz mag nun martialischer klingen als der andere; aber wenn man sie konsequent zu Ende denkt, haben beide Sätze die gleiche Bedeutung. Trotzdem lösen sie gegensätzliche Reaktionen aus. Wer Unbehagen bei der großen Empörung um Sylt empfunden hat, der weiß spätestens jetzt, warum. Das Nebeneinander der Sylt-Gesänge und der WDR-Umfrage zeigt, wie schizophren die Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland ist.

Das ganze Land hat sich über die rassistischen Gesänge aus Sylt erregt, obwohl es sie auch schon bei vielen anderen Festen in Deutschland gegeben hat. Sogar der Bundeskanzler hat sich betroffen zu diesem vermeintlichen Skandal geäußert („eklig“, „nicht akzeptabel“), der für viele Menschen offenbar zur Party-Playlist gehört.

Zusammenhalt, auch wenn es keinen Erfolg gibt

Unsere deutschen Fußballhelden dagegen machen sich ehrlich: „Ich hoffe, nie wieder so was von so einer Scheißumfrage lesen zu müssen“, sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann bei einer Pressekonferenz vor dem Testspiel gegen die Ukraine. Er sei schockiert darüber, dass solche Fragen gestellt werden. Zuvor hatte Nationalspieler Joshua Kimmich mitgeteilt, er finde die Umfrage „absolut kontraproduktiv“. Es sei „schon absurd, so eine Frage zu stellen, wo es eigentlich darum geht, das ganze Land zu vereinen“. Beide kritisierten die Umfrage als rassistisch. Die ausbleibende Empörung über ihre Statements lässt vermuten, dass sie mit einer Zustimmung rechnen dürften, die größer als 21 Prozent ist.

Der WDR hat sich gegen diese Kritik gewehrt: Ihr Reporter sei bei den Dreharbeiten zur Doku „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ mit der Aussage konfrontiert worden, dass zu wenige „echte Deutsche“ auf dem Fußballplatz stünden, was Anlass zur Befragung gegeben habe.

Wie kann es nun sein, dass erst rassistische Gesänge tagelange für Aufregung sorgen und wenig später der Bundestrainer und einer seiner Spieler behaupten, Umfragen zu Rassismus seien überflüssig? Sylt, das sind die anderen, die reichen, verwöhnten Schnösel, „die Champagner-Nazis“, wie der Stern titelte – das hat nichts mit uns zu tun. Aber Fußball lieben wir, wir alle sind die Nationalmannschaft – und jetzt bei der Heim-EM müssen wir verdammt noch mal zusammenhalten!

Doch was, wenn Nagelsmann und sein Spieler zumindest damit recht haben, dass es in der Nationalmannschaft selbst keinen Anlass für solche Fragen gibt? Schließlich finden ja auch 66 Prozent der Befragten ein DFB-Team mit Migrationsgeschichte gut. Dann sollten Kimmich und Co lieber eine Antwort auf dem Platz geben. Mit gutem Fußball. Und mit Zusammenhalt – auch dann, wenn es keinen Erfolg gibt.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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