Ende vom Messenger ICQ: Ah oh, ah oh, ah oh
ICQ war einer der ersten Instant-Messaging-Dienste des Internets und Verband in den 2000ern Millionen Menschen. Jetzt geht er offline. Ein Nachruf.
S chnell die Kopfhörer in die Buchse stecken, damit es im Wohnzimmer niemand hört: Die Nachrichten kommen im Sekundentakt an. Das „Ah oh“-Geräusch zu unterdrücken, das so viel Glück durch Kommunikation verspricht, war eine der wichtigsten Aufgaben vieler Teenager in den Abendstunden der 2000er Jahre, wenn eigentlich Vokabellernen angesagt war. ICQ war einer der ersten Instant-Messenger-Dienste und lieferte den zu verheimlichenden Dopaminkick der sozialen Onlinewelt. Nicht nur, weil man sonst ermahnt wurde, endlich seine Hausaufgaben zu erledigen, sondern vor allem wegen der elenden elterlichen Frage: „Mit wem schreibst du da eigentlich?“
Mit Mitschüler*innen, der heimlichen Liebe, mit Menschen aus digitalen Jugendclubs … Zu seinen Hoch-Zeiten 2009 waren bei ICQ 470 Millionen Nummern registriert, der Dienst verband Menschen und Welten. Dann verschwand er von vielen Endgeräten. Zum 26. Juni wird ICQ nun komplett eingestellt. Zum Glück.
1996 entwickelte ein israelisches Start-up von vier gelangweilten Studierenden ICQ. Nach nur zwei Jahren kaufte AOL (die mit den Internet-CDs) das Start-up auch schon für mehr als 400 Millionen US-Dollar auf. Denn ICQ war ein Zauber: Es bot die gleichen Möglichkeiten wie Chatrooms – nur eben als Programm. Man musste keine URL mehr eintippen, nach den aktuell besten Websites suchen, unglücklich durch Räume crashen. Man meldete sich einfach an und konnte über eine Nummer, die Telefonnummern glich, gezielt den Menschen schreiben, die man erreichen wollte, also die, die man eh eben erst in der Schule gesehen hatte. ICQ steht für „I seek you“, also „ich suche dich“. Dabei machte es die Suche unnötig.
Spaß am Chatten
ICQ war der Ausweg für alle, die sich beim Telefonieren immer vertippten, Angst davor hatten, dass nicht die Freundin, sondern deren Vater abnimmt, die vor Aufregung stotterten. Vielleicht ist ICQ der Grund, warum so viele heute nicht mehr gerne telefonieren, denn es hat uns gezeigt: Musst du gar nicht! Du kannst auch einfach chatten. Macht eh mehr Spaß und geht sogar in der Nacht. Wenn die erste große Liebe ein halbes Jahr auf Schüleraustausch in den USA ist, stellt man sich einfach den Wecker auf 3 Uhr nachts, um Nachrichten auszutauschen. Und wenn alles zu überfordernd wird, kann man auch einfach einen Youtube-Link zu einer pathetischen Hardcore-Schnulze verschicken.
Irgendwann hatte selbst das schäbigste Internetcafé hinterm Hauptbahnhof ICQ auf den Rechnern. Das war häufiger mal nötig, wenn man sich beim Datentausch via ICQ irgendwelche Viren eingefangen hatte. Denn der Dienst war auch: Malware, Phishing, Mobbing. Aber er hatte eben auch animierte Emoticons, die lärmend den Screen blockierten. Der „I can’t hear you“-Typ etwa, der über zehn Sekunden lang die Finger in seine übergroßen Ohren stopft und singt. Eine wundervoll ironisches Schuldeingeständnis, wenn man einsieht, dass man berechtigterweise kritisiert wird, aber noch nicht das Format hat zu sagen: „Stimmt, das war scheiße von mir.“
Wir Jugendliche trauten uns weiter begierig an neue Technologien heran. ICQ bliebt stehen. Es war nicht bereit sich der Zukunft zuzuwenden. Erst 2009, zwei Jahre nachdem das erste iPhone erschienen war, gab es eine ICQ-App. Im gleichen Jahr wurde Whatsapp gegründet, und das arbeitete mit echten Telefonnummern, es war viel einfacher.
Russisches Unternehmen
Gleichzeitig verlor ICQ auf dem Desktop gegen Facebook und Co; die ermöglichten nicht nur das Chatten, sondern eine digitale Pinnwand für Fotos, Meinungen, Bewertungen. 2010 verkaufte AOL ICQ an ein russisches Unternehmen, das später als Mail.ru-Group bekannt wurde und zu dem der propagandatriefende Facebook-Klon VKontakte gehört. Die Nutzer*innenzahlen lagen da nur noch bei 42 Millionen. ICQ ging den Bach runter und selbst ein verzweifelter Relaunch konnte nicht helfen.
Der Dienst hat seine Daten nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt, liegt in russischen Händen. Dort werden Menschen für ihre Inhalte auf VKontakte schon mal in den Knast gesteckt. ICQ, du mit dem niedlichen Emojis und der Jugendliebe, du, das den Absprung in die Zukunft und die freie Komunikation nicht geschafft hat. Es ist gut, dass du nun stirbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen