: Rendezvous in Bellevue
Am Sonntag traf Frankreichs Präsident Macron zum Staatsbesuch in Berlin ein. Bei der Ukraine und anderen europäischen Fragen knirscht es zwischen ihm und Olaf Scholz. Sein Besuch soll den deutsch-französischen Motor wieder zum Laufen bringen
Aus Paris Rudolf Balmer
Ein strahlender Emmanuel Macron steht am Sonntagnachmittag in Berlin an einem Tisch in Form der Zahl „75“, die für das Grundgesetz-Jubiläum steht, und zeigt sich „sehr glücklich“. Das Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Demokratiefest im Regierungsviertel der Hauptstadt bildet den Auftakt seines Staatsbesuchs, ihre Ehefrauen Elke Büdenbender und Brigitte Macron sitzen im Publikum. Der Auftritt verströmt einen Hauch von ZDF-Fernsehgarten – nur, dass im Hintergrund die Fahnen Frankreichs, Deutschlands und der EU wehen und die Kuppel des Bundestags und die anderen Gebäude des Regierungsviertels zu sehen sind.
Der Staatsbesuch war schon vor einem Jahr geplant, im Juli 2023. Doch damals musste Macron seine Reise kurzfristig verschieben: Der Tod eines Jugendlichen im Pariser Vorort Nanterre hatte schwere Unruhen ausgelöst. Ein Polizist hatte den 17-jährigen Nahel Merzouk erschossen. Das führte in Frankreich zu einer Welle von Krawallen in zahlreichen Städten und Vorstädten – der Präsident wurde zu Hause als Krisenmanager gebraucht.
Auch jetzt hätte Macron einen guten Grund gehabt, seinen Besuch noch einmal zu vertagen. Statt nach Berlin zu fliegen, hätte er seinen wenig erfolgreichen Kurzbesuch in Neukaledonien verlängern können. Dort hatte er versucht, die schwere innenpolitische Krise beizulegen, die er selber mit einer ungelegenen Wahlrechtsreform für den Archipel im Südpazifik provoziert hatte. Doch Nouméa ist nicht Nanterre. Oder aber Macron dürfte nach einer fruchtlosen Gesprächsrunde in Neukaledonien ernüchtert sein. Am Samstag hat Frankreich wegen der anhaltenden schweren Unruhen in dem Überseegebiet damit begonnen, französische Touristen zu evakuieren.
Ganz anders die Szenen in Berlin, als Macron mit Steinmeier durchs Regierungsviertel schlendert und volksnah das Gespräch mit Bürgern sucht, zum Schrecken seiner angespannten Bodyguards. Seine Gastgeber in Berlin, Dresden, Münster und Meseberg müssen aber damit rechnen, dass Macron im Verlauf der kommenden Tage auf seinem Handy Fernanrufe aus dem 16.000 Kilometer entfernten Krisenherd erhält. Denn als der französische Präsident am Sonntagnachmittag in Begleitung seiner Ehefrau Brigitte in Berlin landete, brachte er, der eben noch auf dem langen Rückflug aus Nouméa war, neben einem gehörigen Jetlag zusätzliche Sorgenfalten wegen der andauernden Krise auf der anderen Seite des Erdballs mit.
Doch die Europapolitik und die Partnerschaft mit Deutschland haben absolute Priorität, sodass sie sich nicht ein zweites Mal aus innenpolitischen Erwägungen hintanstellen lassen. Die kommenden europaweiten Wahlen des EU-Parlaments diktieren zudem die Aktualität in der Agenda des französischen Staatspräsidenten. In Berlin läutete Macron von seinem Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier auch den deutsch-französischen Sportsommer ein, der von der Fußball-EM in Deutschland und den Olympischen Spielen in Paris geprägt sein wird. Für den Abend war ein Staatsbankett im Schloss Bellevue angesetzt, zu dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz eingeladen war.
Erst am dritten Tag trifft Macron in Meseberg Scholz, um aktuelle politische Fragen zu besprechen. Zur gemeinsamen Ministerratssitzung am Mittwoch reist auch ein Großteil der französischen Regierung aus Paris an.
Davor macht Macron in Dresden und Münster Station. In Dresden will er am Montag vor der Frauenkirche eine weitere europapolitische Rede halten, an die Jugend gerichtet – möglicherweise auch an die osteuropäischen Partner Tschechien und Polen. Sie sorgen sich, die nächsten Opfer der Expansionspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu werden. In Münster soll Macron der Internationale Preis des Westfälischen Friedens verliehen werden. Dabei wird Steinmeier die Laudatio halten.
An den ersten beiden Tagen seines Staatsbesuchs kann Macron die historische Freundschaft mit Deutschland feiern. Dann stehen für ihn mit Scholz nicht nur schöne Bilder, sondern ernste Diskussionen über echte Meinungsverschiedenheiten an. Denn in der Analyse laufender Konflikte, in der Strategie der transatlantischen Beziehungen oder auch wegen der Rolle der Kernenergie in der Energiewende knirscht es zwischen den beiden.
Im Ukrainekonflikt überraschte Macron zuletzt mit Überlegungen, Bodentruppen zu entsenden – ein Gedanke, den Scholz kategorisch ablehnt. Scholz lehnt es auch ab, der Ukraine weitreichende Taurus-Marschflugkörper zu liefern, während Frankreich schon länger Scalp-Raketen bereitstellt. Dafür kommt Deutschland finanziell für den weitaus größeren Anteil der Ukrainehilfe auf. Macron möchte die Wirtschaft stärker vor Konkurrenz aus China und den USA schützen. Scholz dagegen hält an Deutschlands wichtigem Handelspartner China fest. Chinas Präsident Xi Jinping besuchte auf seiner großen Europareise im Mai dieses Jahres allerdings Paris – und nicht Berlin.
Im April, kurz zuvor, hielt Macron in der Pariser Sorbonne-Universität seine zweite Grundsatzrede zur „Souveränität Europas“. Mit der ersten Rede am gleichen Ort hatte er 2017 für Aufsehen gesorgt. Seitdem hat sich das politische Umfeld durch den Krieg in der Ukraine drastisch verändert. Doch noch immer erhofft sich Macron von Deutschland mehr Unterstützung für sein Konzept einer verstärkten europäischen Eigenständigkeit in der Verteidigungspolitik, inklusive atomarem Schutzschild, und gemeinsamen Investitionen in die Rüstung und in andere Industriesektoren von strategischer Bedeutung, etwa Energie, Pharmazeutik und Nahrung. In Paris hatte man den Eindruck, dass diese drängenden Vorschläge in Berlin eher auf höfliches Desinteresse gestoßen sind – die Deutschen haben Angst, ihre nordamerikanischen Schutzherrn zu verdrießen, glaubt man.
Macron in Deutschland
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war zwar schon häufiger auf Arbeitsbesuchen in Deutschland, wie auch seine Vorgänger François Hollande und Nicolas Sarkozy. Der letzte deutsch-französische Staatsbesuch liegt aber schon 24 Jahre zurück.
Die höchste Besuchsform
Ein Staatsbesuch ist nach diplomatischem Protokoll die höchste Besuchsform. Der deutsche Bundespräsident begrüßte Macron am Sonntagabend mit militärischen Ehren im Schloss Bellevue. Es geht darum, die gegenseitigen Beziehungen zu unterstreichen. Macron wird von seiner Frau Brigitte begleitet, die in Dresden ein Gymnasium besuchen wird. Der Staatsbesuch geht am Dienstag in ein deutsch-französisches Regierungstreffen in Meseberg über.
Macron wird im Rahmen seines Besuches sicher nachlegen wollen – wenn nötig mit jener Dramatik, die er im April an der Sorbonne an den Tag legte. „Unser Europa kann sterben“ – dieser Satz aus seiner Rede wurde am meisten zitiert. „Europa ist nicht unsterblich!“, das sagte er dort. In Deutschland dürfte er hinzufügen, dass angesichts einer drohenden Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus auch der Schutzschirm der Nato und insbesondere der USA für Europa nicht auf ewig garantiert ist.
Jacques Chirac war der letzte französische Präsident, der zu einem dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland kam, er traf dort den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das war vor 24 Jahren.
Doch nicht nur die historische und politische Lage war damals anders, sondern auch die Stimmung, die Ambiance. Vor der offiziellen Visite trafen sich die beiden Ehepaare Chirac und Schröder zu einem freundschaftlichen Privatbesuch. Jacques Chirac und Gerhard Schröder bildeten das letzte deutsch-französische Tandem, nach dem Vorbild der fast legendär gewordenen Gespanne Adenauer & de Gaulle, Giscard d’Estaing & Schmidt und Mitterrand & Kohl.
Marcrons Verhältnis zu Merkel verbesserte sich im Laufe der Zeit: Zum Abschied bereitete er ihr einen herzlichen Abschied, mit Umarmungen, Jubelparaden in Burgund und dem Großkreuz der Ehrenlegion, dem höchsten Preis Frankreichs, zog er alle Register seines Charmes. Mit Scholz pflegt Macron einen kumpelhaften Umgangston. Dieser täuscht aber nicht darüber hinweg, dass er von der spröden Herzlichkeit – und erst recht von der mangelnden Begeisterung des deutschen Kanzlers für seine Vision der Zukunft Europas – enttäuscht ist.
Der sehr formelle Rahmen eines Staatsbesuchs erlaubt es vielleicht, dies zu überspielen und die Differenzen und bilateralen Fragen mit der nötigen nüchternen Sachlichkeit anzugehen.
Die ist auch angesagt, denn Scholz und Macron brauchen sich: Wie die Zeitung Le Monde erwähnt, treffen sich mit Macron und Scholz zwei Politiker, die in ihren eigenen Ländern jeweils geschwächt dastehen. Gemeinsam wollen sie nun versuchen, den „Motor“ der EU wieder in Gang zu bringen – und sich selbst dabei ein bisschen gegenseitigen Auftrieb zu geben.
(Mitarbeit: Daniel Bax)
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