Zwang zum Digitalen: Ich! Will! Analog! Sein!

Ob Bank, Arztpraxis oder Carsharing – alle setzen auf digitalen Zugang. Wer nicht digital ist, wird ausgeschlossen.

Zwei Kinder in einem Elektroauto auf einem Rummel Leipzig

Als Carsharing noch voll analog war Foto: Ray van Zeschau/imago

Neulich versuchte ich, einen Termin bei einem Orthopäden zu bekommen. Doch niemand ging ans Telefon. Auf der Webseite der Praxis nur der Hinweis „Terminvereinbarung bitte über Doctolib“. Wenige Wochen zuvor kam Post von der Bank: Ich möge mir doch die neue App zulegen, das alte Banking-Verfahren werde sicher bald eingestellt. Ähnliches beim Handy-Anbieter: Bitte die App nutzen, statt die Hotline des Kundenportals anzuwählen. Die ist ohnehin irgendwo tief im Impressum versteckt.

Auch die letzten Menschen, die geglaubt hatten, dass sie ein Recht auf ein analoges Leben haben, spüren inzwischen, dass das ein Irrtum ist.

Und so geht es weiter. Für mich lohnt es sich nicht, ein eigenes Auto vor der Tür zu haben, also vergleiche ich Carsharing-Anbieter. Der vielversprechendste verlangt nicht nur das Installieren der App, sondern auch die Nutzung von Google-Diensten beziehungsweise die eines iPhones. Um es anders zu sagen: Der Digitalisierungsterror macht vor nichts und niemandem halt. Auch die letzten Menschen, die geglaubt hatten, dass sie ein Recht auf ein analoges Leben haben, spüren inzwischen, dass das ein Irrtum ist.

Was aber ist mit all jenen, die kein passendes Endgerät haben oder es nicht bedienen können? Sie werden de facto dazu genötigt, sich digital anzugleichen. Das jedoch fördert nicht nur die Finanzmacht in den Händen von Konzernen der Informationstechnologie. Die wissen darüber hinaus die Kundendaten für sich zu nutzen. Das ist gefährlich: Große Mengen an sensiblen Gesundheitsdaten sammeln sich auf Arztportalen, andere Websites horten private Daten und Nutzeranalysen.

So schrumpfen Privatsphäre, digitale Selbstbestimmung und die Möglichkeit paritätischer Teilhabe in allen Lebensbereichen auf ein Minimum zusammen. Während die kritische Medienkompetenz insbesondere bei den Jüngeren auf dem Rückzug ist.

Der Verein Digitalcourage, der jetzt mit einer Unterschriftenaktion ein „Recht auf Leben ohne Digitalzwang“ im Grundgesetz fordert, verlangt nur etwas, das selbstverständlich sein sollte. Mehr noch: Das sollte Teil der gelebten Demokratie sein. Digitales Zeitalter hin oder her.

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*1968. Studierte Publizistik, Linguistik, Physik, Informatik und Informationswissenschaft, brach den akademischen Weg ab und wechselte zur Autodidaktik. Seit 2010 bei der taz. Lebt in Berlin, schreibt als Autor, freier Journalist und Entwickler Texte und anderen Code. U.a. Ziehvater von taz.zahl-ich-unterm-artikel, taz.kommune, taz.portal, taz.bitcoin und taz.diaspora*. Seit 2015 geprüfter Forschungstaucher. Seit Beginn der Corona-Pandemie FPV-Pilot.

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