Männlicher Blick bei den Filmfestspielen: Musen, Mütter, Mörderinnen
Wie Frauen dargestellt werden, ist oft belastet von überholten Rollenbildern. Das zeigt ein kritischer Blick auf das Programm des Filmfest in Cannes.
O b das noch mal was wird mit der Gleichberechtigung? Ob Menschen, die nicht von Sexismus betroffen sind, irgendwann einsehen, dass die anderen, die Betroffenen, beim Durch-das-Leben-Spazieren nicht die gleiche Wahrnehmung haben? Dass sie Gesten, Sprüche, Stimmungen unterschiedlich interpretieren, als bedrohlicher empfinden können? Dass sie in der gleichen Umgebung andere Erfahrungen machen?
Die Kultur spiegelt immer, wo man steht: Yorgos Lanthimos, dessen neuer Film gerade bei den Filmfestspielen in Cannes läuft, landete just mit „Poor Things“, einer schwarzweißen Selbstermächtigungsgeschichte mit Emma Stone, einen Riesenhit. Obwohl man sich (oder auch Lanthimos) durchaus fragen könnte, wieso die Protagonistin des hübschen Steampunkmärchens so phallusfixiert ist und anscheinend zu den (je nach Studie) mickrigen 4 bis 15 Prozent aller Frauen gehört, die allein durch Penetration einen Orgasmus erreichen.
Weil die Darstellung der anatomischen Normalität so kompliziert ist? Weil Bilder von Sex traditionell aus dem für eine männliche Zielgruppe generierten Pornokanon stammen? Oder doch, weil Männer wie Lanthimos sich einfach gern einreden, allein ihr Zauberstab könne Damen anständig beglücken?
In Frankreich, dem Land, in dem cherchez la femme zur Chefsache erklärt und Belästigungen lange als Kavaliersdelikte abgetan wurden, scheiden sich im Zuge der Filmfestspiele eh gerade die Geister.
Am Tag der Eröffnung erschien ein offener Brief in Le Monde, in dem es um die fehlenden Konsequenzen der gestiegenen Sensibilisierung für #MeToo, also um geschlechtsspezifischen Machtmissbrauch ging. Unterschrieben hatten auch Filmschaffende wie Isabelle Adjani, Juliette Binoche oder Judith Godrèche (Letzere zeigt in Cannes einen Film über die #MeToo-Bewegung). „Wer hört uns eigentlich?“, steht in dem Brief, und das ist eine gute Frage.
Wer erzählt? Wer kann es besser?
Wer kann eigentlich wessen Schicksal am besten erzählen?, könnte man auch mal fragen: In Francis Ford Coppolas ebenfalls in Cannes aufgeführtem Alterswerk „Megalopolis“ tanzen normativ hübsche, junge, ebenmäßige Frauen um den vor Sinnkrise und Kreativität brodelnden Protagonisten herum, lieben ihn, sind seine Musen und kriegen seine Kinder; das Ganze im hochglänzenden Setting einer Patek-Philippe-Luxusuhrenwerbung. Zusammen mit der Premiere wurden Vorwürfe laut, beim Dreh sei Coppola den spärlich bekleideten Komparsinnen gegenüber übergriffig geworden.
Der (männliche) Regisseur Magnus von Horn beschreibt im Cannes-Wettbewerbsbeitrag „The Girl with the Needle“ die grässliche Geschichte einer unfreiwilligen Mutter, die 1918 auf eine multiple Kindsmörderin trifft, und spart nicht mit Bildern vom Laktieren. Was in die von Trine Dyrholm undurchschaubar gespielte Mörderin gefahren ist, hätte wahrscheinlich auch eine Regisseurin nicht besser erklären können, es ist einfach zu furchtbar und fremd.
Aber dass es sich bei den – in Relation zu Männern – wenigen historischen Serienmörderinnen immer um Frauen handelte, die Schwächere (Kinder, Kranke) töteten, kippt bei Magnus von Horns Genrefilm, der auf der wahren Geschichte der Serienkindsmörderin Dagmar Overby beruht, ins rein Schaurige.
Severin Fialas und Veronika Franz’ Film „Des Teufels Bad“, der auch im Wettbewerb der Berlinale lief, hatte das bedrückende Thema psychologisch konziser erzählt: Es ging um suizidale Frauen, die Schwächere (Kinder) morden, um zum Tode verurteilt zu werden. Denn ein Selbstmord war in ihrer von Regeln und Gottesfurcht geprägten Gesellschaft undenkbar.
Noch eine von einem Mann erzählte, gnadenlose Cannes-Frauengeschichte gefällig? In George Millers „Furiosa“ rächt sich eine Lkw-Fahrerin am Mörder ihrer Mutter. Bei Berufskraftfahrer:innen gibt es im wahren Leben übrigens eine Frauenquote von 2 Prozent. Aber das Ganze spielt ja auch im „Mad Max“-Universum.
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