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Siebzehn Mal Marcel DuchampEin Scherz mit Duchamp

Rudolf Herz ließ für seine Ausstellung „Marcel Duchamp. La Patte“ Pariser Straßenkünstler malen. Zu sehen ist sie im museum FLUXUS+ Potsdam.

Die Zeichnungen der Pariser Straßenmaler: Rudolf Herz, „Marcel Duchamp. La Patte“ Foto: Rudolf Herz

Siebzehn verschiedene Porträts des gleichen Mannes im dunklen Anzug mit weißem Hemd und dem schwarzen Klecks einer kleinen Fliege ziehen sich im Fluxusmuseum in Potsdam an den Wänden entlang. Siebzehn verschiedene Zeichner haben den gleichen Typen als immer andere Figur porträtiert. Mal glaubt man, einen mexikanischen Drogenboss zu sehen, mal ist es ein aufgeweckter Abiturient, mal ein bekannter Hollywoodstar der 1930er und 40er Jahre.

Der Mann ist wirklich ein Star – doch kein bekanntes Gesicht. Als der Münchner Künstler Rudolf Herz den Straßenmalern von Montmartre ein Porträtfoto des Mannes gab, nach dem sie ihn für Herz zeichnen sollten, erkannte ihn keiner. Auch als sie von Herz erfuhren, dass es sich um ein Foto von Marcel Duchamp handelte, sagte das nur einigen was. Die anderen wollten also wissen, wer war dieser Duchamp? Und was hatte es mit der Fotovorlage auf sich?

Im Sommer 1912 war Duchamp verliebt in die Frau seines Kollegen Picabia, er war mit seinem „Akt, eine Treppe herabsteigend“, ein im Salon des Indépendants abgelehnter, aber doch Pariser Kubist. Jedenfalls für den Dichter und Autor Guillaume Apollinaire, der den 25-Jährigen zu dieser Zeit um ein Porträtfoto für sein Buch „Méditations Estétiques“ über die Künstler des Kubismus bat.

Die Ausstellung

„Marcel Duchamp. La Patte“: museum FLUXUS+, Potsdam, bis 23. Juni. Katalog (Verlag Kerber Art, Bielefeld 2024):

22 Euro

Duchamp ging dafür ins Atelier von Heinrich Hoffmann, der später als Hitlers Hoffotograf berühmt werden sollte. Der Künstler gab in dieser Zeit ein dreimonatiges geheimnisvolles Gastspiel in München, dessen Spuren er anschließend verwischte, obwohl er festhielt: „Mein Aufenthalt in München war der Ort meiner völligen Befreiung“.

Kühle, indifferente Miene

Duchamps Porträt ist auffallend ausdruckslos. Seine kühle, indifferente Miene war es auch, die Herz – dessen künstlerische Arbeit immer auch bildgeschichtliche Forschung ist – nicht mehr losließ, nachdem er bei seinen Recherchen zu Heinrich Hoffmann zufällig auf dieses Porträt gestoßen war.

Zunächst machte er sich in München auf die Suche nach Duchamp und fand ihn als Untermieter in einem kleinen Zimmer in der Barer Straße bei einem jungen Ehepaar. Sie war Schneiderin, er ein Ingenieur, der Abteilung für technische Zeichnungen im Oldenbourg Verlag geleitet hatte, bevor er zur Lokomotivenfabrik Maffei wechselte.

Die Maschinen und technoiden Fantasien, die plötzlich in den Münchner Vorarbeiten zu Duchamps Hauptwerk, dem „Großen Glas“, auftauchen, gehen nach Herz auf diese Begegnung zurück. Das kleine Zimmer in der Barer Straße, so Herz, „ist die Wiege der konzeptuellen Kunst“. Die Monumentalskulptur der nachgebauten sowie um 90 Grad gekippten Wohnung und ein illustrierter Forschungsband waren unter dem Titel „Le Mystère de Munich“ Herz' Beitrag zum hundertjährigen Jubiläum von Duchamps München-Aufenthalt.

Die künstlerische Handschrift

Weil nun das wiederholte Sichten, Sortieren und Neuarrangieren seines Materials Teil der künstlerischen Praxis des Münchner Medienkünstlers und Kunstwissenschaftlers ist, kreist seine Potsdamer Ausstellung erneut um Duchamp, jetzt um dessen Auseinandersetzung mit der künstlerischen Handschrift wie der Ausstellungstitel „Marcel Duchamp. La Patte“ schon ankündigt.

„Auf Französisch gibt es einen alten Ausdruck: ‚la Patte‘, was den Pinselstrich eines Künstlers … seine ‚Tatze‘ bezeichnet. Ich wollte loskommen von ‚la Patte‘ und von dieser ganzen retinalen Malerei … ab 1912 beschloss ich aufzuhören, ein Maler im professionellen Sinne zu sein“, berichtete Duchamp seinem Biografen Calvin Tompkins. Diese Absage praktiziert Duchamp erstmals in seinem Porträtfoto, so die These von Rudolf Herz, der das Foto als ein Selbstporträt Duchamps betrachtet. Hoffmann war nur der Ausführende, seine Handschrift ist nicht sichtbar.

So steril schaute keiner seiner sonstigen Kunden aus, so bar jeder seelischen Regung. Das offenkundige, mal mehr, mal weniger gelungene Bestreben der Pariser Straßenkünstler ist es nun, diesem toten Duchamp wieder Leben einzuhauchen. Dazu setzt natürlich jeder seine „Tatze“ ein, seinen eigenen charakteristischen Strich. Er ist es auch, nach dem die Touristen den Künstler auswählen, von dem sie sich porträtieren lassen wollen.

„La Patte“ ist ihr unveränderliches Markenzeichen. Die ironische Volte gegen Duchamp, die Rudolf Herz mit seinem Auftrag an die Straßenkünstler vollzieht, wird von diesen – wenn auch ungewollt – wiederum ironisch gekontert. Denn auch sie interessiert die Handschrift letztlich nicht wirklich, weil sie als ihr Markenzeichen feststeht und sie ihr nichts mehr weiter abgewinnen können.

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