Gewalt gegen Frauen in Australien: Toxische Männlichkeit Down Under
In Australien eskaliert die Gewalt gegen Frauen. Gründe dafür sehen Forschende in der Geschichte – und in teuren Privatschulen.
„Ich habe seit 50 Jahren nicht mehr an einer solchen Demonstration teilgenommen“, sagte die Psychologin Lee Goddard gegenüber lokalen Medien. Jetzt habe sie „endgültig genug von Tod und Leid, für die Männer verantwortlich sind“.
Fast zur gleichen Zeit wurde in Westaustralien ein 35-jähriger Mann von der Polizei beschuldigt, eine 30-jährige Frau ermordet zu haben. Die Tat kommt nur Tage nach der Messserattacke eines Mannes in einem Einkaufszentrum in Sydney. Er tötete fünf Frauen und einen Mann. Der Messerstecher hatte sich laut Polizei bewusst Frauen als Opfer ausgesucht, bevor er von einer Beamtin erschossen wurde.
Der Vorfall ist zwar von besonderer Brutalität, und die hohe Zahl der Opfer sicher ein Einzelfall. Trotzdem ist die Statistik schockierend: durchschnittlich jede Woche wird in Australien mindestens eine Frau ermordet, meist von ihrem Partner oder ihrem Ex. Allein in diesem Jahr wurden schon 27 Frauen Opfer männlicher Gewalt – fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.
Erschreckende Umfrageergebnisse
Dass Australien große Probleme mit männlicher Gewalt hat, zeigt nicht nur die Statistik. Eine Umfrage der Nichtregierungsorganisation White Ribbon unter 1000 Australiern kam zum Schluss, dass vier von zehn jungen Australiern das Schlagen, Prügeln oder Fesseln einer Partnerin nicht als Form häuslicher Gewalt empfinden.
44 Prozent der befragten Männer im Alter von 18 bis 34 sagen, eine nicht einvernehmliche sexuelle Handlung sei „keine Vergewaltigung“. Auch glauben in dieser Altersgruppe über 50 Prozent der Männer, dass ständige Telefonanrufe oder das elektronische Ausspionieren einer Person nicht als häusliche Gewalt gelten.
Sind Australier brutaler und frauenfeindlicher als Männer in anderen Ländern? Im Gespräch mit der taz glaubt die Forscherin Pauline Grosjean aus Sydney „nicht, dass Australien sich bezüglich Gewalt und häuslicher Gewalt von anderen Ländern abhebt“. Doch wissenschaftliche internationale Vergleiche gibt es dazu noch nicht.
Die Ökonomie-Professorin ist Expertin für sogenannt „toxische Maskulinität“, jenem gesellschaftlichen Konzept, das Männer dazu drängt, Gefühle zu unterdrücken und sich dominant oder gar aggressiv und gewalttätig zu verhalten.
Forscherin: Konkurrenz unter Männern fördert deren Gewalt
Ihre Forschung hat ergeben, dass solches Verhalten dort verstärkt auftritt, wo der Anteil der Männer gegenüber den Frauen überwiegt und Männer deshalb in Konkurrenz zueinander stünden. Wie 1788, als Grossbritannien auf dem Kontinent eine Sträflingskolonie einrichtete: Es gab dort sehr viele Männer, aber kaum Frauen. In diesem Klima seien sogar Kleinstkriminelle zu Gewalttätern geworden, sagt Grosjean.
Das vielleicht verblüffendste Ergebnis der Forschung: toxisches Verhalten gegenüber Frauen konnte sich von damals bis heute sozusagen „weitervererben“, von einer Generation zur nächsten – vom Vater auf den Sohn durch vorgelebtes Verhalten.
Kritikerinnen behaupten immer wieder, auch teure Privatschulen spielten dabei eine wichtige Rolle. Sie könnten Inkubatoren für frauenfeindliches Verhalten Jugendlicher und junger Männer sein.
So kam es vor ein paar Wochen in der Eliteschule Cranbrook in Sydney zu einem Skandal, nachdem die Schulleitung nichts gegen offenbar endemisches sexistisches Verhalten der Schüler gegenüber jungen Lehrerinnen unternommen hatte.
Tatsächlich würden in solchen Schulen männliche Verhaltensregeln gesetzt – Mobbing, frauenverachtende Sprache etwa, sagt Grosjean. Das spiegle sich später nicht zuletzt in der Politik wider. Denn der weitaus größte Teil der australischen Politiker ist in derartigen Relikten aus kolonialen Zeiten ausgebildet worden.
Sexualisierte Gewalt auch bei männlichen Politikern
Tatsächlich kommt es in Australien immer wieder zu Skandalen von Politikern und ihren Mitarbeitern, die Frauen sexuell misshandelt haben sollen. Ex-Justizminister Christian Porter wurde 2021 vorgeworfen, 1988 noch als Schüler ein Mädchen vergewaltigt zu haben. Nachgewiesen werden konnte dem Minister letztlich nichts. Nach Jahrzehnten schwerster Depression hatte sich die Frau kurz vor Bekanntwerden der Vorwürfe das Leben genommen.
Ebenfalls 2021 beschuldigte eine frühere politische Mitarbeiterin der Konservativen, Brittany Higgins, ihren Ex-Vorgesetzten Bruce Lehrmann, sie 2019 im Parlamentsgebäude nach einer Party auf einem Sofa im Büro der damaligen Verteidigungsministerin vergewaltigt zu haben.
Eine erste Verhandlung gegen den mutmaßlichen Täter wurde wegen Fehlverhaltens eines Geschworenen abgebrochen, eine zweite Verhandlung „zum Schutz der psychischen Gesundheit“ Higgins fallengelassen.
Mehrere konservative Politiker und Kommentatoren hatten ihr indirekt vorgeworfen, für die Tat mit verantwortlich zu sein, weil sie zum Zeitpunkt betrunken gewesen war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“