BLO-Ateliers in Lichtenberg vor dem Aus: Kreative auf dem Abstellgleis
Die Deutsche Bahn will den Ende Juli auslaufenden Mietvertrag mit den BLO-Ateliers nicht verlängern. Das sorgt für Protest von vielen Seiten.
Das umzäunte Karree am S-Bahnhof Nöldnerplatz ist (noch) frei zugänglich. Die großen Kastanien am Eingang stehen in voller Blüte, weiter hinten auf dem über 12.000 Quadratmeter große Gelände ließe sich schon Mangold ernten. Überall sind Arbeitsmaterialien, Werkzeuge und immer wieder Kunstwerke zu sehen. Ein Engel aus Marmor steht wie ein Hoffnungszeichen neben einem Kirschbaum. Etwas weiter hinten liegen zwei Helme mit riesigen Hörnern auf einem Metallgestell – das BLO ist wehrhaft, wäre eine Interpretationsmöglichkeit.
An der roten Eingangstür zur Kantine, hier finden eigentlich Konzerte und Partys statt, hat jemand Ausdrucke aufgehängt, die auf Englisch und Deutsch verkünden: „Die heutige Veranstaltung ist leider abgesagt.“ Auch alle anderen Türen und Fenster der Gebäude sind verschlossen. Es liegt Wehmut in der Luft.
Rund 90 Künstler:innen und Handwerker:innen sind betroffen: Sie haben seit 20 Jahren in dieser grünen Oase in ihren Ateliers und Werkstätten gearbeitet, haben hier Bogen und Bumerangs und Fahrräder gebaut, Workshops abgehalten, Filmabende und Ausstellungen organisiert, an Grafiken, Bildern, Skulpturen aus Holz und Metall, an Musik oder auch Filmeffekten gearbeitet.
Ende Juli soll Schluss sein
Damit soll Ende Juli Schluss sein, der Mietvertrag läuft aus. Aber schon jetzt ist eine Nutzung de facto „nicht mehr möglich“, sagt Peter Tietz vom Trägerverein Lockkunst der taz am Montag. Ende April „ist uns das Betreten unserer Arbeitsräume per Nutzungsuntersagung der Vermieterin, der Deutschen Bahn, verboten worden“ – angeblich wären die Mängel an der Elektrotechnik zu gravierend.
Doch das baurechtliche Sachverständigengutachten wurde dem Verein bislang nicht vorgelegt. „Die Nutzungsuntersagung hat uns den Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt Tietz. Deshalb gab es am Freitag eine Pressekonferenz, die für Aufsehen sorgte.
Am selben Tag traf eine sogenannte „handlungsleitende Sprachregelung“ der Deutschen Bahn beim Mieter, dem Lockkunst e.V., ein; sie liegt der taz vor. Darin ist unter anderem vom Interimscharakter des vor 20 Jahren geschlossenen Mietvertrages und der Notwendigkeit die Rede, einzelne Räume „wegen Baufälligkeit zeitweise von der weiteren Nutzung auszuschließen“ – und das wiederholt – aber auch, dass „das finale Gutachten für alle Mietobjekte auch der DB noch nicht vorliegt“.
Mittelfristig könne das Gelände wieder für den Eisenbahnbetrieb genutzt werden, heißt es weiter: „Mit zusätzlichem Verkehr auf der Schiene wächst auch der Bedarf an zusätzlichen Abstellflächen für Züge. Vor allem im innerstädtischen Bereich sind diese Eisenbahnflächen daher ein hohes Gut. Parallel wird geprüft, ob die DB der Künstlergemeinschaft eine Ersatzfläche zur Verfügung stellen kann.“ Abstellflächen für Züge? Man stelle sich vor: ein 200 Meter langer ICE auf dem BLO-Gelände – dafür ist das Gelände offensichtlich gar nicht groß genug.
Im Kiez, im Bezirk verankert
„Von Ersatzflächen war schon ab und an die Rede“, sagt Peter Tietz. „Aber das ist nicht das, was wir wollen. Dieses Projekt ist in Lichtenberg verankert und ist wichtig für die Stadt und natürlich die Betroffenen. Die Gemeinschaft zwischen den Künstlern und Kleingewerbetreibenden, die Verankerung im Kiez, im Bezirk, in der Stadt – das macht das BLO aus. Dieses Projekt stirbt, wenn für einzelne Künstler neue Räume gefunden werden.“
Peter Tietz, Lockkunst e.V.
Wie kann es weitergehen? „Uns geht es darum“, sagt Tietz, „die Bahn wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen.“ Schon seit Wochen sei der Trägerverein im Gespräch mit Bundes- und Landespolitiker:innen. „Da gibt es einen echten Konsens für den Erhalt“ und auch dafür, dass das Land der Deutschen Bahn eine Ersatzfläche am Heizkraftwerk Klingenberg in Rummelsburg – mit Schienenanschluss -, das ja gerade in Landesbesitz übergegangen ist, zur Verfügung stellen könnte. „Mit dem Ziel, dass das BLO hier in Lichtenberg erhalten bleibt.“ Die Bahn wolle das aber nicht. „Dagegen kämpfen wir“, sagt Tietz.
Das unterstützt neben der Linken-Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch auch Landespolitiker Christian Goiny: „Hier passiert die nächsten 20 Jahre gar nichts, wenn die Ateliers verschwunden sind“, sagt der Sprecher für Clubkultur und Haushalt der CDU-Abgeordnetenhausfraktion der taz.
Die Macher:innen des BLO sind also bestens vernetzt. Das findet auch Julia Brodauf, eine der beiden Berliner Atelierbeauftragten. „Wir haben am Montag über das BLO beraten, um das Projekt bestmöglich zu unterstützen. Wir setzen uns für eine zumindest kurzfristige Lösung ein,“ sagt Brodauf. Schließlich handele es sich um Arbeitsplätze von Künstler:innen und anderen Kreativen – das Aus fürs BLO wäre „fatal für ihre Berufstätigkeit“.
Das Prinzip Hoffnung
Die Bahn wird deshalb auch bald Post von den Atelierbeauftragten bekommen, einen Appell für den Erhalt. Außerdem, sagt Julia Brodauf, ist das BLO Thema in der nächsten Sitzung des Kulturausschusses am kommenden Montag. Das dürfte spannend werden.
Denn auch Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat sich in den Konflikt eingeschaltet. Fast ein Jahr lang hätten der Trägerverein Lockkunst und die Bahn intensiv verhandelt, „mit Unterstützung und Beteiligung“ des Landes Berlin, heißt es aus Chialos Verwaltung. Auch deshalb sei man von den aktuellen Entwicklungen „überrascht und schockiert“.
Der Senat werde sich nun zeitnah mit Bitte um Unterstützung direkt an die Bundesregierung wenden. Mal sehen, was Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) dazu sagt. Es bleibt am Ende das Prinzip Hoffnung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann