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Neuer Comic von Joann SfarDie Bedrohung

Joann Sfars „Die Synagoge“ ist autobiografisch und aktuell: Der französische Comicautor erzählt von erfahrenem Judenhass in seiner Jugend in Nizza.

Sfar beginnt seine Erzählung während des Lockdowns 2020, als er mit einer schweren Covid-Erkrankung im Krankenhaus liegt Foto: Aus dem besprochenen Band

Der Hörsaal der juristischen Fakultät Nizzas ist voller Studentinnen. Nur wenige Männer, darunter der Jugendliche Joann, mischen sich darunter. Ein propalästinensischer Aktivist hält einen Vortrag, faselt vom degenerierten Westen, verharmlost den Terrorismus und propagiert Judenhass mit blumigen Worten.

Ekstase macht sich breit! Allzu offensichtlich nutzt der schicke, dauergrinsende Redner mit der übergroßen Sonnenbrille seine provokanten Phrasen auch als Anmachmasche. Einzig Joann fällt nicht auf den Blender rein und denkt: „Es ist ihm gelungen, in der Zuhörerschaft jenen Masochismus und Selbsthass aufzuspüren, ohne die das Verhältnis Frankreichs zum Nahen Osten nie nachvollziehbar wäre.“

Die beschriebene Szene ist eine Erinnerung. Joann Sfar, der 1971 geborene französische Comiczeichner, thematisiert seit Beginn seiner Kar­riere immer wieder seine jüdische Identität und erzählt, stets mit großer Leichtigkeit und nie dogmatisch, von der Vielfalt des Judentums und seiner Geschichte. „Die Katze des Rabbiners“ ist seine bekannteste Comicreihe: Sie handelt von einem Kater in Algier, der einen Papagei gefressen hat und deshalb sprechen kann.

Sfar selbst stammt von jüdischen Algeriern ab und wurde in Nizza geboren. Mit seinem neuen Werk „Die Synagoge“ (erschienen im Berliner Avant-Verlag) widmet sich Joann Sfar seinem Heranwachsen in der südfranzösischen Stadt. Auf rund 200 Seiten erzählt er autobiografisch, wie er als Sohn eines erfolgreichen Anwalts (seine Mutter war früh verstorben) durch seine jüdische Erziehung und Identität geprägt wurde. Sich selbst zeichnet er als leicht dunkelhäutiges Kind mit großen Augen und dicht gelocktem Haarschopf.

Tagträume mit Joseph Kessel

Sfar beginnt seine Erzählung während des Lockdowns 2020, als er mit einer schweren Covid-Erkrankung im Krankenhaus liegt, dem Tode nahe. In seinen Tagträumen unterhält sich der Künstler mit Joseph Kessel (1898–1979), einem französisch-jüdischen Schriftsteller, der sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Faschismus einsetzte. Der von Sfar als rauflustiger Draufgänger gezeichnete Romancier „rettet“ dem ans Bett gefesselten Zeichner „das Leben“. Die Lektüre von Kessels Schriften und das Hören von dessen Radioaufnahmen regten ihn vielleicht auch dazu an, auf sein eigenes Leben als französischer Jude zurückzuschauen.

Als kleiner Junge begleitet Joann seinen Vater in die Synagoge, bekommt aber Angst von den lauten Gesängen. Gerne bringt er Schlümpfe mit zum Spielen, doch ist das dort nicht erlaubt. Mit 17 Jahren beschließt er, beim Wachschutz der Synagoge mitzumachen, um nicht zum missliebigen Gottesdienst zu müssen.

Schon in den 1980ern mussten, nach Anschlägen in Paris, Synagogen vor Extremisten geschützt werden. Das bürgerliche Nizza ist konservativ bis rechts gesinnt, Jean-Marie Le Pen und seine Partei Front National sind im Aufschwung begriffen.

Da sein Vater sowohl juristisch wie politisch gegen Rechtsextreme vorgeht, sind Vater und Sohn schon früh Anfeindungen ausgesetzt, Telefonterror und Morddrohungen bestimmen ihren Alltag. Mitte der 80er häufen sich antisemitische Anschläge, auch in Nizza, wo ein jüdisches Gräberfeld (mit 64 Gräbern) zertrümmert wird.

Joann besucht eine Karateschule, damit er sich gegen die Skinheads – fremdenfeindliche Jugendliche aus bürgerlichem Hause, die ihm abends begegnen – wehren kann. Aber nicht jeder Skinhead ist ein übler Kerl: Mancher ist sogar ein guter Kumpel, mit dem der aufgeschlossene Joann gerne mal abhängt.

Szenen, die heute wiederkehren

Immer wieder überrascht Sfar mit frappanten Szenen, die jahrzehntelang zurückliegen und heute – nach dem brutalen Terror der Hamas gegen Israelis und dem sich anschließenden Gazakrieg – wiederzukehren scheinen: Die oben erwähnte Szene an einer Uni zeigt, dass die extreme propalästinensische Positionierung schon damals „hip“ war.

Eine weitere Erinnerung betrifft Le Pen: Der lud den früheren SS-Mann Franz Schönhuber in einen Stadtpalast ein, was Beifallsstürme beim gutbürgerlichen Publikum erzeugte. Antisemitische Reden wurden von Politikern der rechtsnationalen „Action Francaise“ geschwungen, aber auch vom langjährigen konservativen Bürgermeister Jacques Médecin. Und auch den linksextremen Antisemitismus entlarvt Sfar treffend in einem einzigen Panel, in der eine Altlinke geradezu schwärmerisch vom „Ausrotten der zio­nistischen Bewegung“ faselt.

Das Buch

Joann Sfar: „Die Synagoge“. Aus dem Französischen von Annika Wisniewski. Avant-Verlag, 208 Seiten, 30 Euro

Joann Sfar zeichnet in seinem typischen, leicht krakeligen, sehr lebendigen Stil in leuchtenden Farben und mit umso finstererem Humor das abgründige und vielfach erhellende Porträt der sonnigen Metropole an der Côte d'Azur in den siebziger und achtziger Jahren. Zugleich ist sein Comic eine berührend gezeichnete Autobiografie. Die Lektüre von „Die Synagoge“ macht bewusst, dass die heutigen Konflikte schon lange schwelen.

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