piwik no script img

Netanjahu lässt alle Kritik an sich abprallen

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verweigert vor einem Angriff auf Rafah jeden Kompromiss. Doch die Kritik an ihm wächst auch in den Reihen seiner eigenen Likud-Partei

Aus Jerusalem Felix Wellisch

Blutrot sprudelt am Sonntagmorgen das Wasser aus einem Brunnen in Jerusalem, wenige Meter von der Residenz von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entfernt. Aktivisten hatten es eingefärbt und ein Schild aufgehängt: „Es wurde genug Blut vergossen, ein Deal liegt auf dem Tisch“, steht darauf. Doch am israelischen Regierungschef prallt dieser Tage alle Kritik an seinem Plan ab: ein Einmarsch in Rafah und eine Fortsetzung der Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen. Damit strapaziert er den Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft und die Beziehungen seines Landes. Trotzdem könnte der erfahrene Machtpolitiker mit seinem Kurs durchkommen, vorausgesetzt, seine eigene Basis hält ihm die Treue.

Am Samstagabend protestieren erneut Tausende Menschen in Israel für eine Verhandlungslösung, für eine Rückkehr der Geiseln und gegen die Regierung, auch auf dem Platz vor Netanjahus Residenz. „Wir fordern die Auflösung der schlechten Regierung und Neuwahlen“, sagte Ron Besin aus dem Kibbuz Zikim nahe dem Gazastreifen in seiner Rede. Erstmals seit dem 7. Oktober rief auch das Kaplan-Bündnis, das maßgeblich die monatelangen Massenproteste gegen den Justizumbau im vergangenen Jahr organisiert hatte, zu einer Demonstration vor dem Armeehauptquartier auf.

Netanjahu ging am Samstagabend auf Konfrontationskurs: Ein Verzicht auf die Offensive auf Rafah bedeute, den Krieg gegen die Hamas „zu verlieren“, sagte er bei einer Fernsehansprache. Zudem spielt der Regierungschef zunehmend die Angehörigen der Geiseln gegen die der in Gaza eingesetzten Soldaten aus: „Die Kämpfer fordern (den Sieg), die Verwundeten fordern ihn, die Hinterbliebenen.“ Indirekt warf er seinen Kritikern vor, die dafür nötige Einheit der Gesellschaft zu untergraben.

Für die Menschen im Gazastreifen verschlimmert sich die Lage von Tag zu Tag. Die Weltgesundheitsorganisation WHO meldete am Sonntag, die größte noch betriebene Klinik im Gazastreifen, das Al-Nasser-Krankenhaus in Chan Yunis, sei nach einer israelischen Razzia außer Betrieb. Während laut Medienberichten zunehmend Menschen aus Angst vor einer Offensive aus dem vollkommen überfüllten Rafah fliehen, ist noch immer unklar, wo die rund 1,5 Millionen Menschen untergebracht und versorgt werden können. Internationalen Organisationen zufolge haben die Menschen kaum noch Zugang zu sauberem Wasser, Nahrungsmitteln oder Medikamenten.

Vor diesem Hintergrund wird international die Kritik immer schärfer. Auch enge Verbündete äußerten sich zuletzt deutlich gegen eine Militäroffensive auf Rafah. Konsequenzen abseits der diplomatischen Bühne bleiben bisher jedoch weitgehend aus. Im Gegenteil: Die USA deuteten an, dass sie eine für Dienstag von Algerien im UN-Sicherheitsrat eingebrachte Resolution für einen Waffenstillstand durch ein Veto blockieren würden.

Wenig beeindrucken lässt sich die israelische Regierung auch von der wachsenden Forderung nach einer Zweistaatenlösung. US-Außenminister Antony Blinken drängte bei der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich auf eine politische Lösung. Die Antwort aus Jerusalem ließ nicht lange auf sich warten: Netanjahus Regierung wies in einer Erklärung am Sonntag einstimmig jede unilaterale Anerkennung eines palästinensischen Staates zurück. Zum Problem werden könnte für den Regierungschef jedoch die wachsende Unzufriedenheit innerhalb seiner eigenen Partei, dem Likud. Am Samstag bekräftigte Netanjahu, die nächsten Wahlen würden wie geplant 2026 stattfinden. Mehrere hochrangige Likudmitglieder sagten der Nachrichtenseite Ynetnews daraufhin, dass es nach Kriegsende Neuwahlen geben werde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen