doppelblind
: Wenn Chatbots empathischer sind als Menschen

Worum geht’s?

Wer in Deutschland einen Psychotherapieplatz sucht, steht vor immensen Herausforderungen. Nicht nur, weil es an Therapieplätzen mangelt, sondern auch, weil die Suche nach den richtigen The­ra­peu­t:in­nen mühsam, langwierig und psychisch belastend sein kann. Für viele geht sie mit Schamgefühlen und Angst vor Stigmatisierung einher.

Das britische Start-up Limbic entwickelt Technologien und Tools speziell für die Psychotherapie. Unter anderem ist darunter ein KI-Chatbot, „Limbic Access“, der Betroffenen helfen soll, die richtige Therapieform für sich zu finden. Der Bot soll empathisch Fragen stellen und die Betroffenen so durch entsprechende Fragebögen leiten, um die Selbstüberweisung an die richtigen The­ra­peu­t:in­nen zu vereinfachen.

Die Studie

Bringt der Bot überhaupt was? Das wollten Mitarbeitende von Limbic herausfinden, indem sie die Anzahl der Selbstüberweisungen durch die Nutzung des Chatbots überprüften. Die Mitarbeitenden nutzten dafür Daten des National Health Systems (NHS) über 129.400 Personen aus, die einen von 28 Therapievermittlungsservices genutzt hatten. Die Hälfte davon hatte den KI-Chatbot implementiert. Außerdem wurden etwa mehr als 42.000 Feedback-Einträge ausgewertet, die Nut­ze­r:in­nen der Chatbots abgegeben hatten.

Das Ergebnis wurde jetzt im Fachblatt Nature Medicine publiziert: Die Zahl der Selbstüberweisungen mit Chatbot stieg um 15 Prozent, die ohne dagegen nur um 6 Prozent. Vor allem Minderheiten schienen zu profitieren: Bei nicht binären Personen stieg die Anzahl der Selbstüberweisungen um 179 Prozent, bei Männern und Frauen dagegen nur um 16 bis 18 Prozent. Ähnliche Muster, wenn auch weniger stark, ließen sich bei lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen beobachten, und bei Menschen, die sich einer ethnischen Minderheit zugehörig fühlen.

Was bringt’s?

Die Au­to­r:in­nen der Studie schlussfolgern, dass KI-Chatbots insgesamt den Zugang zu Therapien erleichtern könnten. Als Gründe nennen sie, dass Menschen im Gespräch mit KIs weniger Hemmungen haben, persönliche Informationen zu teilen als mit menschlichen Gesprächspartnern. Die Auswertung der Feedbackeinträge bestätigte dies: Insbesondere Minderheiten schätzen explizit die Abwesenheit von Menschen wert, weil sie nicht befürchten mussten, stigmatisiert oder verurteilt zu werden. Außerdem seien Chatbots einfach und praktisch, so die Autor:innen. Das deckt sich mit den Feedbackeinträgen der User:innen.

Neue wissenschaftliche Studien stellen wir jede Woche an dieser Stelle vor – und erklären, welchen Fortschritt sie bringen. Sie wollen die Studie finden? Jede hat einen Code, den sogenannten Digital Object Identifier, kurz DOI. Hier lautet er: doi.org/10.1038/s41591-023-02766-x

Ob Chatbots auch im deutschen Therapiesystem gut ankommen würden? Vergleichbare Ansätze gibt es immerhin schon. Zum Beispiel gibt es die iCan-App, die speziell für junge Menschen mit Depressionen ausgelegt ist. Darin ist ein Chatbot implementiert, der zu therapeutischen Trainigseinheiten animiert.

Maria Disman