: Laute Forderungen statt stillem Gedenken
Zeigt sich der breite Protest gegen rechts auch in Hanau? Zum vierten Jahrestag der rassistischen Morde gehen Tausende mit den Angehörigen auf die Straße
Aus Hanau Stefan Hunglinger
Vier Jahre sind vergangen, seitdem ein polizeibekannter Rechtsextremer im hessischen Hanau neun Menschen ermordete, die nicht in sein rassistisches Weltbild passten. Ihre Namen waren: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Seit 2020 treffen sich ihre Geschwister, Eltern, Freunde in den Räumen der Initiative 19. Februar, um sich zu trösten, um in der Stadt sichtbar zu bleiben, um die Aufarbeitung des Hanau-Attentats voranzutreiben. Auch am Samstag, zwei Tage vor dem Jahrestag des Anschlags, sind sie hier, um zu demonstrieren.
Vier Jahre sind vergangen, in denen Angehörige und Überlebende sich nicht nur mit Verlusten und Traumata auseinandersetzen mussten, sondern auch mit dem rechtsextremen Vater des Täters, der noch immer in ihrer Stadt lebt. Und: mit den vielen Fehlern der staatlichen Institutionen. Von einem Versagen Deutschlands sprach am Sonntag Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes.
Die Initiative 19. Februar hofft, dass die neue Breite des Protests gegen rechts sich auch rund um den vierten Jahrestag des Hanau-Attentats zeigt. Zumal dem Land Hessen und der Stadt Hanau ein stilles Gedenken am liebsten wäre – ohne die scharfe Kritik, die die Angehörigen 2023 auf der offiziellen Gedenkfeier an Polizei, Ministerien und Stadt geübt hatten.
Zunächst sind es einige Hundert, die sich am Samstag am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau-Kesselstadt versammeln. Ein paar Meter von hier wurde der 22-Jährige Vili Viorel Păun getötet. Als Schüsse auf sein Auto abgegeben wurden, folgte er dem Täter, um weitere Tote zu verhindern. Păun wählte fünfmal den Polizeinotruf. Niemand nahm ab. Schließlich wurde er selbst getötet. Anschließend betrat der Täter einen Kiosk und eine Bar und erschoss fünf weitere Menschen.
Vier Jahre später sagt Vater Nicolescu Păun auf dem Platz, dass die Zeit, um die Wahrheit herauszufinden, vorbei sei. Von der Initiative beauftragte Gutachten und der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag hätten strittige Fragen geklärt. 2021 wurde öffentlich, dass 13 der 19 SEK-Polizisten, die in der Tatnacht Dienst hatten, Mitglieder rechtsextremer Chatgruppen waren. Nun sei es Zeit für Konsequenzen in Politik und Polizei: „Damit keine anderen Eltern das erleben müssen, was wir erlebt haben“, sagt Păun. Seine Frau steht neben ihm.
Die Demo wächst, 5.000 zählt die Polizei, 8.000 die Initiative 19. Februar. Sprecherin Newroz Duman betont die Verbundenheit mit Angehörigen in Solingen, München, Halle: „Wir gedenken neun Menschen und meinen alle Opfer von rassistischer und antisemitischer Gewalt.“ Dann bewegt sich der Zug Richtung Innenstadt. „Widerstand überall, Hanau war kein Einzelfall“, tönt es. „Wo wart ihr in Hanau?“, rufen die Demonstrierenden den Polizisten am Straßenrand zu. Am Heumarkt hält der Zug kurz. Hier hatte der Täter zuerst gemordet.
Bei der Schlusskundgebung auf dem zentralen Marktplatz verweist Çetin Gültekin, Bruder des ermordeten Gökhan Gültekin, auf die Rede Bernd Höckes (AfD), die sich der Täter am Vorabend der Morde im Internet angesehen hatte. Gültekin fordert: „Alle Rassisten müssen sofort entwaffnet werden.“ Nach den Taten hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) schärfere Waffengesetze angekündigt. Auf Druck der Schützenlobby kamen sie bislang nicht zustande. Auch weitere Angehörige artikulieren auf der Bühne ihre Trauer und Forderungen. Darunter ein Denkmal auf dem Marktplatz. Die Stadt verweigert sich dem bislang, sieht einen abgelegeneren Platz vor.
Für Montag sind weitere Veranstaltungen in Hanau und Demonstrationen in ganz Deutschland geplant. Das „stille Gedenken“ zu dem Hanaus Oberbürgermeister Klaus Kaminsky (SPD) auf den Friedhof eingeladen hatte, wurde verlegt. Der Vater eines Ermordeten hatte zuvor in einem taz-Gastbeitrag gegen die Instrumentalisierung der Gräber protestiert.
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