Späte Worte des Bedauerns

Zum Abschluss des Hanau-Untersuchungs-ausschusses bescheinigt Hessens Landtag den Behörden doch noch Fehler. Opfervertreter bemängeln weiterhin ausbleibende Konsequenzen

Niculescu Păun, Emiş Gürbüz und Armin Kurtović (v. l. n. r.) sitzen mit Fotos ihrer ermordeten Kinder auf der Besuchertribüne des Hessischen Landtags während der Debatte am Dienstag Foto: Arne Dedert/dpa

Von Christoph Schmidt-Lunau, Frankfurt am Main

Ein letztes Mal hielten am Mittwoch Angehörige, Überlebende und deren UnterstützerInnen auf der Tribüne des Hessischen Landtags große Porträtfotos in den Händen. Die darauf abgebildeten neun jungen Menschen hatte ein Rechtsextremist am Abend des 19. Februar 2020 in Hanau ermordet: Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili-Viorel Păun, Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Die Abgeordneten aller Fraktionen im Saal gedachten ihrer in einer Schweigeminute.

In der Debatte zogen die Abgeordneten Bilanz der Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Terroranschlag. Im Juli hatte es noch so ausgesehen, dass die zweieinhalb Jahre währende Aufklärungsarbeit in fünf separaten Abschlussberichten der Fraktionen enden würde – und damit in einem im parteipolitischen Missklang. Doch zuletzt war es dem Ausschussvorsitzenden Stephan Grüger (SPD), den Obleuten der Parteien und ihren MitarbeiterInnen in internen Beratungen doch noch gelungen, angesichts des erschütternden Verbrechens weitgehend Einigkeit zu erzielen.

Mitten im Landtagswahlkampf hatten die Regierungsfraktionen CDU und Grüne zunächst einen umstrittenen Textentwurf vorgelegt. Darin waren Behörden und Polizei des Landes von Vorwürfen entlastet, die Verantwortung für Versäumnisse im Vorfeld der Tat allenfalls den SPD-geführten Verwaltungen von Stadt und Landkreis zugewiesen worden.

Nun fand der Ausschuss doch noch Worte der Entschuldigung. Der Berichterstatter des Ausschusses Michael Ruhl (CDU) zitierte im Namen aller Ausschussmitglieder Sätze aus dem Vorwort des Berichts: „An einigen Stellen besteht Grund zu der Annahme, dass ein anderes Handeln der zuständigen Behörden das Durchführen der Tat erschwert oder den Ablauf der Tat bzw. die Ereignisse in der Tatnacht und danach verändert hätte. Dies gilt für die Erteilung der Waffenbesitzkarte, die Erreichbarkeit des Notrufs, die Verschlussverhältnisse des Notausgangs und den Umgang mit den Angehörigen der Opfer.“

Auch dass beim Umgang von Polizei und Justiz mit Angehörigen und Überlebenden nach der Tat Fehler gemacht wurden, ist nicht länger strittig: „Wir bedauern, dass das Vorgehen im Umgang mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer nach der unfassbaren Tat dazu geführt hat, dass sie sich in diesem Moment alleine gelassen und unverstanden gefühlt haben und dadurch Vertrauen in unser Land verloren gegangen ist“, heißt es in dem gemeinsamen Text.

Bei aller Gemeinsamkeit bleibt es gleichwohl in Details bei unterschiedlichen Einschätzungen, die sich in vier abweichenden Minderheitsvoten von SPD, Linken, FDP und AfD wiederfinden. Nach Überzeugung von CDU, FDP und AfD war die Tat nicht abwendbar. Dass der Täter vierzehn Tage vor dem Anschlag im Internet in einem „Manifest“ rassistische Morddrohungen geäußert hatte, ändere daran nichts. Jeden Tag erschienen drei Millionen neue Webseiten, sagte Müller und fügte hinzu: „Freiheit hat manchmal einen fürchterlichen Preis“. Der Polizei bescheinigte die CDU „insgesamt eine gute Arbeit“.

SPD-Obfrau Heike Hofmann sprach hingegen von „erheblichem Organisationsverschulden“. Der später ermordete Vili-Viorel Păun, der den Täter auf dem Weg vom ersten zum zweiten Tatort mit seinem Auto verfolgt hatte, war beim Polizeinotruf nicht durchgekommen, weil der mangelhaft ausgestattet gewesen sei, erinnerte Hofmann. „Keine Übernahme von Verantwortung“ durch Polizeiführer oder den Innenminister beklagte Hofmann in diesem Zusammenhang.

RednerInnen aller Fraktionen wandten sich mit Worten des Bedauerns an die Betroffenen; die Obfrauen von SPD, Grünen und Linken dankten ihnen für ihre Mitwirkung bei der Aufklärungsarbeit. Auch nach 42 Ausschusssitzungen mit 84 ZeugInnen und Sachverständigen blieben viele Fragen offen, räumten die Abgeordneten ein.

Dass die Opferfamilien und ihre UnterstützerInnen von der „Initiative 19. Februar“ mit der Arbeit des Parlaments unzufrieden sind, haben sie mehrfach zu Protokoll gegeben. Der Vater des ermordeten Hamza, Armin Kurtović, betonte nach der Debatte, ähnlich wie nach der NSU-Mordserie seien so gut wie keine Konsequenzen gezogen worden, Verantwortliche der Polizei seien nach gravierenden Fehlern sogar noch befördert worden.