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Neue Anime-Serie auf NetflixRache, Blut, Schnee

Die Netflix-Serie „Blue Eye Samurai“ ist ein ästhetisch beeindruckender, antikolonialer Splatter-Anime. Sie erinnert an Tarantinos „Kill Bill“.

Das Markenzeichen der Protagonistin Mizu in der Serie ist ihre Holzbrille mit orangefarbenen Gläsern Foto: Netflix

In der Anime-Serie „Blue Eye Samurai“ ist jedes Bild ein bisschen indigofarben, düster und mystisch. Ständig hängt Nebel über den Tälern und Wäldern Japans, oft liegt Schnee. In den Abendstunden fällt dichter japanischer Regen. Lediglich irgendwo in einer Holzhütte brennt dann ein kleines Feuer.

In diese düstere, warme Stimmung hinein hält in der Eröffnungssequenz ein Herr in einer Taverne eine Pistole auf Mizu. Man ist im Japan des 17. Jahrhunderts. Langsam kommt das Gesicht der weiblichen Samurai unter einem Reishut zum Vorschein. Man sieht ihre elegante Holzbrille mit orangen Gläsern, ihr Markenzeichen. Mizu bringt einen coolen Spruch und hackt dem Mann zwei Finger ab.

Die Serie

„Blue Eye Samurai“. Staffel 1, läuft auf Netflix

„Blue Eye Samurai“ ist vielleicht einer der ästhetisch aufregendsten Animes der letzten Jahre. Seine Handlung spielt zu Beginn der Edo-Zeit, jener 250-jährigen, von 1603 bis 1868 dauernden Friedensphase und fast genauso lange anhaltenden Abschließung Japans. Fast alle europäischen Händler und Missionare waren in dieser Zeit der Insel verwiesen. Auch die Einfuhr von Feuerwaffen war strengstens verboten. Diese politische Lage grundiert die gesamte, immer zwischen Frieden und Gewalt oszillierende Serie.

Vor ihrer Geburt vergewaltigten „Weiße“ Mizus Mutter. So werden die Europäer in der Serie genannt. Da sich zu dieser Zeit lediglich noch vier von ihnen im Land befanden, hat Mizu gleich vier mögliche Väter. Als ob ein Fluch auf ihr liegen würde, wird kurz nach ihrer Geburt auch noch ihre Mutter ermordet. Aus Rache möchte Mizu die Männer töten, die ihr das angetan haben. Alle vier möglichen Väter. Die Suche nach einem von ihnen bildet die Handlung der ersten Staffel.

Der verdrängte Horror

Mizus Zorn wird noch dadurch verstärkt, wie die japanische Gesellschaft auf sie als „Unreine“ reagiert. Ihre saphirblauen Augen verraten sie als eine Person, die nicht nur japanische Vorfahren hat. In ihrer Kindheit erfährt sie deshalb schreckliche Gewalt durch ihre Altersgenossen. In ihrem Erwachsenenleben wird sie gefürchtet. Die junge Frau verkörpert den ganzen Horror, der dem scheinbar ewigen Frieden vorausging. Doch die Gewalt, die er zu bannen versucht, ist längst Teil der japanischen Gesellschaft geworden. Mizu steht für das Verdrängte der in Japan oft romantisierten Edo-Zeit, den sie heimsuchenden Schatten.

Die Frau muss sich in vielerlei Hinsicht verstecken. Zum einen verbirgt sie ihre Augen hinter ihrer Holzbrille mit den orangen Gläsern. Zum anderen muss sie ihr Geschlecht verbergen. Mizu gibt sich als Mann aus.

Vier Männer, Vergewaltigung, Mutter, Rache: Im japanischen Kino gab es diese Konstellation zuvor schon im Actionklassiker „Lady Snowblood“ (1973), der auf einem Manga basierte. Quentin Tarantino setzte dem Film mit „Kill Bill – Volume One“ (2003) ein Denkmal.

Es geht um Rache

Wie Lady Snowblood, und damit anders als die Samurai, will Mizu keine Ehre. Sie will Rache. Und selbst wenn sie zwischendurch mal etwas anderes wollte, findet sie niemanden, der es mit ihr aushalten würde. Denn sobald die Menschen herausfinden, wie gefährlich sie ist – Mizu ist eine begnadete Kämpferin – und dass kein Gesetz sie bändigen kann, kriegen sie es mit der Angst. Ihr Umfeld sieht in ihr einen Dämon.

Folgt man der Hauptfigur gerade einmal nicht durch eine nebelverhangene Winterlandschaft zwischen morschen Bäumen hindurch, erstrahlen die Bilder von „Blue Eye Samurai“, in Bordellen, Tavernen oder in den Gärten und Häusern des japanischen Adels, in goldenem Glanz. Dieser Wechsel zwischen warmen Licht und dunklem Indigo erinnert manchmal an Inszenierungen der in Japan spielenden Oper „Madama Butterfly“ (1898) von Giacomo Puccini.

Aber erst in Verbindung mit dem Sound werden die stimmungsvollen, weichen Animationen zu dem Meisterwerk, das sie sind. Die Geräusche sind so rein und realistisch, dass allein das Schaukeln von Lampions im Wind oder das Schlagen von Eisen in einer Schmiede aufregend ist. Auch reden die Figuren oft langsam. Jeder Sound hat seinen Raum, genauso wie jeder Satz. Die Musik ist episch und romantisch.

In Mizus Stimme, die ihr die amerikanisch-japanische Schauspielerin Maya Erskine leiht, ruht „Blue Eye Samurai“ wie in einem trügerisch-sanften, aber gefährlichen Gewässer. Fast knurrt Mizu ihre Sätze in die schneebedecke Stille Japans, ihr Ton ist ruhig und bestimmt und immer schrecklich cool. Dennoch ist die Serie auch witzig. Mizus dicklicher Begleiter Ringo, der einst der beste Ramenkoch der Welt werden wollte, fordert Mizus’ Ernsthaftigkeit durch seine kindliche Abenteuerlust heraus.

Grausig-schöne Szenen

In „Blue Eye Samurai“ spritzt regelmäßig Blut in alle Richtungen, manchmal vor einem orange-violett flirrenden Sonnenuntergang. Doch selbst solche Szenen sind stets grausig-schön anzusehen und erinnern oft an Tarantino – nicht nur wegen „Kill Bill“ und dessen Splatter-Charakter, sondern auch wegen der auratischen Einsamkeit Mizus und der Sprüche, mit denen diese ihren Feinden begegnet.

Geschrieben wurde der Anime von US-Amerikanern. Michael Green verfasste zum Beispiel das Drehbuch für „Blade Runner 2049“ (2017). Die zweite Drehbuchautorin, Greens Frau Amber Noizumi, war bis dato eher unbekannt.

Wenn man so eine Ruhe und Eleganz bei gleichzeitiger Bildschärfe in Animationen schon einmal gesehen hat, dann vielleicht in den Zwischensequenzen von Videospielen; in Animes kaum. Die erste Staffel wurde bejubelt, Netflix hat bereits die Produktion einer zweiten angekündigt.

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3 Kommentare

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  • ‚Antikolonial‘ finde ich in Bezug auf die Edo-Epoche fast zu euphemistisch, xenophob bis rassistisch passt wohl besser, vor allem angesichts der Tatsache zu welch brutal-imperialistischen Kolonialmacht dann Japan im 20.Jahrhundert selbst wurde.

  • Es gibt tausende echte Animes. Sogar auf Netflix. Warum wird jetzt so ein Aufstand um einen westlichen Zeichentrickfilm gemacht, der typische Anime-Tropes verwendet? Und verglichen wird mit US-Filmen und einer italienischen Oper...statt mit anderen Animes. Hab mal reingeschaut und es nicht lange ausgehalten. Jeder Slice-of-life oder Isekai ist besser von der Storytiefe. Wer Anime schaut (only sub, no dub!) kann hier nur müde lächeln. Wer noch nie Anime geschaut hat, findet so vielleicht einen Einstieg...den er/sie aber auch mit anderen Anime finden kann.

    Oh, und Danke! für den Mainspoiler des Geschlechts ohne Ankündigung. Man stelle sich vor, der Zuschauer würde überrascht werden. Was da passieren kann...

  • Ein Leuchtturm in Ozean der unzähligen schlechten bis mittelmäßigen Anime Produktionen. Schön das Blue Eye Samurai in der TAZ Aufmerksamkeit bekommt. Persönlich hat mir der Film sehr gut gefallen, nur den deutlich sichtbaren Einsatz von Computergrafik empfand ich anfangs als etwas gewöhnungsbedürftig. Ich empfinde den Artikel als sehr treffend geschrieben.

    Eine Winzigkeit zum Schluss.

    "Wenn man so eine Ruhe und Eleganz bei gleichzeitiger Bildschärfe in Animationen schon einmal gesehen hat, dann vielleicht in den Zwischensequenzen von Videospielen; in Animes kaum."

    Hier hätte meiner Meinung nach ein Verweis auf Hayao Miyazaki nicht geschadet.